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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Umgang mit dem Original — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 7.1988

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Treinen, Heiner: Das Original im Spiegel der Öffentlichkeit
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51140#0032
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gründ produziert eben ein Verhalten, das auf Fachleute und
Vermittler kulturhistorischer Werte geradezu kränkend wirken
muß, eben weil die je eigenen Anstrengungen und vor allem
der jeweilige fachwissenschaftliche Hintergrund scheinbar
nicht ernst genommen werden. Jedoch: für Skepsis, Resigna-
tion oder gar Verzweiflung ist kein Anlaß. Nurwer glaubt, über
die Anschauung kulturhistorischer Originale neuartige Lernvor-
gänge oder gar kompakte Wissens- und Bildungsbestandteile
vermitteln zu können, wird pessimistisch werden müssen.
Tatsächlich aber kann der Ausgangspunkt für die Wirkung von
Originalen auf Öffentlichkeit - speziell auf Besucher und indi-
rekt auf diejenigen, die über Massenmedien davon erfahren -
auch anders begriffen werden, nämlich als Ausdruck von
Spielräumen, der freien Wahl und freien Benutzung von Kultur-
objekten in der außerberuflichen Welt.
Von dieser Betrachtungsweise her wird ohne jede Ideologie
verständlich, daß Menschen - auch wir selbst - vor allem sol-
che Kulturobjekte aufsuchen, deren Bedeutung bereits öffent-
lich festgestellt wurde und mit denen oder mit deren Objekt-
klasse wir uns bereits vorweg befaßt haben. Ist dies der Fall,
dann entschlüsseln sich mögliche Wirkungen des kulturellen
window-shoppings unmittelbar. Man muß sich nur vergegen-
wärtigen, daß Ausstellungs- und Museumsbesuche nur selten
isoliert auftreten. Dies bedeutet, daß Museumsbesuche und
die Nutzung kulturhistorischer Ausstellungen in Zusammen-
hang mit anderen kulturellen Aktivitäten gesehen werden müs-
sen. Eine scheinbar oberflächliche Objektanschauung kann
für Besucher mit ausgedehntem Vorwissen größere Bedeu-
tung aufweisen, als es der Außenstehende vermeint. Wir benö-
tigen dann möglicherweise wenig Zeit, um einen Merkposten
abzuhaken, Gedanken anzuregen, Wissen zu vervollständi-
gen, Widersprüche zu bisherigen Vorstellungen zu entdecken
und vieles andere mehr. Alles andere - Objekte also, für die
uns Merkposten fehlen - wird „mitgenommen“, als blanke Ab-
wechslung behandelt und rasch vergessen.
Diese - zugegebenermaßen oberflächliche - Interpretation
psycho-physischer Vorgänge beim modalen Besucher bietet
gleichzeitig problematischen Stoff für die Analyse der Möglich-
keiten, die Vermittlern zu Verfügung steht, um Besucher von
historischen Objekten zu Bildungserlebnissen zu führen. Um
es skizzenhaft formuliert auszudrücken: als Motiv zum Aufsu-
chen kulturhistorisch authentischer Objekte reichen Bestre-
bungen, den eigenen kulturellen Status in den Augen relevan-

ter Anderer aufrecht zu erhalten oder ihn zu erhöhen. Ein Bil-
dungseffekt ist nicht notwendigerweise für den Betrachter
damit verbunden; dies gilt vorzugsweise erst dann, wenn vor
dem Besuch oder aus Anlaß des Besuches externes Wissen
über Gegenstand und Bedeutung vorliegt. Aber: Originale,
geglaubte Authentizität von Objekten also, erhalten bei direk-
ter Anschauung eine Eigenart, die über abstraktes und indirekt
erworbenes Wissen nur schwerlich zu erlangen ist. Mit dieser
Eigenart ist der Tatbestand gemeint, daß bei Betrachtung
authentischer Objekte eine Aporie erzeugt wird - ein unauflös-
barer Widerspruch, der jedem kulturhistorischen Objekt zu-
schreibbar ist, nämlich die nicht schließbare Lücke zwischen
sinnlich erfahrbarer historischer Ferne und ebenso sinnlich
erlebter gegenwärtiger Nähe. Hiermit mag eine Ambivalenz,
also eine nicht aufhebbare kognitiv-emotionale Spannung ver-
bunden sein. Gegenstände und Symbole, die Ambivalenzen
erzeugen, aber bleiben als Gedächtnisspurerhalten, und dies
ist wiederum Voraussetzung für Bildungserlebnisse im Nach-
hinein.
Das Objekterlebnis kann als Katalysator für die weitere Be-
schäftigung mit den Hintergründen und der Herkunft der Ob-
jekte dienen, sei dies in Gesprächen mit Bekannten, sei es
durch Anreicherung des Wissens über vorbewußte Auswahl
massenmedialer Inhalte, mit der unbewußten Folge einer ge-
zielten Teilhabe an Kulturinhalten.

Anmerkungen
1 H. Treinen, Ansätze zu einer Soziologie des Museumswesens, in:
Albrecht, G. et al. (Hrsg.), Soziologie, Opladen 1973.
2 Als Hinweis sei darauf verwiesen, daß auch Nicht-Besucher von
Museen von der Bedeutung historischer Objektdokumentationen
überzeugt sind. VgL M. Eisenb.eis, Museum und Publikum, in: Mu-
seumskunde, Band 45, Heft 1,1980.
3 C. Screven, The Measurement and Facilitation of Learning in the
Museum Environment. Smithsonian Press, Washington D.C. 1974.
4 Zum differentiellen Besuch von Museen und ihre Grundlagen vgL: H.
Klein, M. Bachmayer, Museum und Öffentlichkeit, Berlin 1981.
5 R Bourdieu, unart moyen, Paris 1965.
6 H. Treinen, Das Museum als Massenmedium, in: ICOM (Hrsg.), Mu-
seumsarchitektur für den Besucher, Hannover 1980.
7 H. Treinen, Museumspädagogik und Besucherverhalten, in:
Sowi, Jahrgang 10, Heft 4,1981.

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