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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Umgang mit dem Original — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 7.1988

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Börsch-Supan, Helmut: Schauwert und originale Substanz
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https://doi.org/10.11588/diglit.51140#0034
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übrigen Räumen, in denen die Besucher die Freiheit haben,
sich ein Werk so lange anzuschauen, wie sie wollen oder auch
schnell vorbeizueilen, manchmal eine Überfüllung ein, die nicht
nur eine konzentrierte Betrachtung unmöglich macht, sondern
auch die Dinge gefährdet. Das Klima gerät außer Kontrolle,
Kunstwerke werden angefaßt, und ein kaum vorstellbarer
Schmutz wird, sofern er nicht durch undichte Fenster herein-
dringt, in die Räume getragen und lagert sich auf Wandbe-
spannungen, Möbeln und Bildern ab. Wer auf eine Leiter steigt
und mit der Hand über Bilderrahmen und Gesimse fährt,
erschrickt über die Staubschichten, die dort lagern. Frisch
renovierte Räume sehen nach kurzer Zeit so aus, als habe eine
Familie eine Generation lang darin gehaust. Würde man die
Räume und die Kunstwerke nach Hausfrauenstandard reini-
gen, wäre das Gold bald von den Bilderrahmen gewischt. Zum
Glück fehlt das Geld für das Reinigungspersonal.
Diese Zustände ließen sich eher hinnehmen, wenn das zahlrei-
che Publikum einen Schloßbesuch nach Kräften zur Bildung
nutzen würde. Aber gerade weitläufige Anlagen regen dazu
an, nur durchzulaufen. Man möchte alles gesehen haben und
sieht nichts. Es ist gewiß schön, wenn Jugend an Kunst heran-
geführt wird und ihr bei einem Schloßbesuch die Augen für das
Ineinanderwirken von Kunst und Geschichte geöffnet werden,
aber das kann nur mit einer klugen Anleitung geschehen. Nur
selten werden hier Erfolge erzielt. Der Alltag sieht anders aus.
Halbwüchsige, die lieber eine Disco besuchen würden, wer-
den bei ihrem Pflichtbesuch in Berlin von unwissenden Lehrern
ins Schloß getrieben. Sie traben mit brummigem Gesicht
durch die Räume, auf Gelegenheiten sinnend, wo sie ihre
Aggressionen abreagieren können. Man ist froh, wenn diese
jungen Leute, über deren Vitalität man sich sonst freut, das
Haus wieder verlassen. Für die Statistik sind diese Invasionen
freilich immer etwas Feines. Die Statistik ist für viele Museums-
direktoren die Meßlatte ihres Erfolges. Nur damit lassen sich
Kulturpolitker beeindrucken. Die Demontage der Schwellen
als ein Akt der Demokratisierung, an sich gewiß etwas Gutes,
soll zu einem Dammbruch werden, weil man daran gern ein
hohes geistiges Niveau des Volkes demonstrieren möchte.
Daß es nicht damit getan ist, die Massen nur ins Museum zu
locken, sondern daß man sie auch zum Sehen erziehen muß,
können Menschen, die selber ihre Augen nicht zu gebrauchen
verstehen, freilich nicht begreifen.
Es wird gezählt und nicht gewogen. Was ein Besucher sieht
und wie er durch das Gesehene bereichert wird, läßt sich nicht
vordergründig messen. Man könnte es nur an der Hebung
eines allgemeinen Bildungsniveaus ablesen und das würde
sich in pfleglichem Umgang mit den Kunstdenkmalen abzeich-
nen. Andere Beeinträchtigungen bringen die Empfänge mit
sich. Es kommt immer wieder vor, daß Gruppen, denen ein
Fest im Schloß gegeben wird, das nur wirklich genießen, wenn
sie sich schlecht benehmen können, trotz Rauchverbot rau-
chen, Zigaretten auf dem Fußboden austreten oder in chinesi-
sche Vasen werfen, Gläser fallen lassen und die Scherben auf
dem Parkett zertreten. Lustmindernd bei diesem Treiben wäre
der Hinweis, daß der Fußboden nach 1945 erneuert worden
ist.
Weder die Touristen, die nur durch das Schloß flanieren, noch
die Gäste, die bei den Empfängen durch Bewirtung und Ge-
plauder in historischer, höfischer Atmosphäre ausgezeichnet
werden sollen, sehen viel. Die einen sehen nur vielerlei, die
anderen fast gar nichts. Der Partygast, der sich in ein Bild ver-
tieft, würde nicht nur die Häppchen, den Sekt und die Anspra-
chen versäumen, er würde auch die Gesellschaft stören, die
Unterhaltung will. In einem Nobelrestaurant würde ja auch nur
der Einfältige das Tischgespräch unterlassen, um dem Musi-
ker zuzuhören, der im Hintergrund eine Mozartsonate spielt.
Eine gewisse Achtlosigkeit im Umgang mit den alten Dingen
gehört zum guten Ton. Hier begegnen sich der privilegierte
Gast mit Manieren und der gelangweilte Pennäler ohne diese.

Ich überzeichne ein wenig. Es gibt natürlich bei Empfängen
Gäste, die ein Schloßambiente zu würdigen wissen, und es
kann dann eine Atmosphäre entstehen, in der Geschichte wie-
der lebendig wird und die Kunstwerke deutlicher als sonst
sprechen.
Auf ein oberflächliches Verhalten zur Kunst richten sich die Mu-
seumsneubauten bereits ein. Stirlings Staatsgalerie in Stutt-
gart und das Kölner Wallraf-Richartz-Museum und Museum
Ludwig, letzteres städtebaulich ein großer Wurf und sicher von
großem architektonischem Reiz, sind Flaniermuseen. Sie sind
so gebaut, daß man nirgends verweilen kann, sondern durch
immer neue interessante Durchblicke weitergetrieben wird.
Nur so können schließlich auch die Massen bewältigt werden.
Es wimmelt wie in einem Ameisenhaufen.
Bei dem geplanten Historischen Museum für Berlin sprach
kürzlich einer der Hauptverantwortlichen für das Projekt ganz
zutreffend vom Durchlauf. Tausend Jahre deutsche Ge-
schichte müssen schließlich in längstens zwei Stunden ver-
daut werden. Es ist verführerisch, große Zeiträume in Kunst-
geschichte und Geschichte, die in ihrer Fülle von nicht nur
erfreulichen Ereignissen eine Last sind, die den Einzelnen for-
dert, ja hoffnungslos überfordert, durch einen panoramaarti-
gen Überblick vom Feldherrenhügel der Ignoranz scheinbar zu
bewältigen.
Das Wachstum, zu dem alle Sammlungen tendieren, verteilt
zwar die Massen, aber die Weitläufigkeit der Museen befördert
andererseits auch wieder die Flüchtigkeit der Wahrnehmung.
Der Schauwert des Kunstwerkes ist zwar hoch, aber der vom
Betrachter aufgenommene ist minimal. Vergleicht man das
Kölner Museumspublikum und die Leute, die Geschäfte mu-
sternd durch die Hohe Straße fluten, dann ist der Unterschied
in ihrem Verhalten nicht allzu groß.
Hier liegt die Problematik der Museen, die zu große Epochen,
manchmal die Geschichte der europäischen Malerei vom Mit-
telalter bis zur Gegenwart darstellen, und zugleich Schatzkam-
mer, stolze Präsentation öffentlichen Kunstbesitzes sein wol-
len. Die Schatzkammer duldet nur Originale, sie will durch die
unerschöpfliche Fülle des Großartigen überwältigen, aber die
Kunstgeschichte ließe sich viel besser aus Büchern mit ver-
ständig ausgewählten Reproduktionen statt aus einer zufälli-
gen Zusammenstellung von Originalen erlernen.
Ausstellungen suchen zwar enger begrenzte Gebiete der
Kunstgeschichte zu präsentieren und bieten konzentrierteren
Lernstoff, aber nachdem sich herumgesprochen hat, welchen
Strapazen und Gefahren empfindliche Kunstwerke bei Aus-
stellungen ausgesetzt sind, halten sich die Leihgeber immer
mehr zurück, sodaß bei Ausstellungen mehr und mehr gerade
die wichtigsten Objekte, die ein Thema veranschaulichen
könnten, fehlen. Es gibt zu diesen Fragen des Kunstverschlei-
ßes eine radikale Position: Kunst wird nicht mehr transportiert.
Die Museen werden zu Tresoren oder Hochsicherheitstrakten.
Die Gemälde werden verglast. Was sich in Vitrinen stellen läßt,
kommt dort hinein. Alles was außerdem gefährdet ist, wird
durch Kopien ersetzt.
Drakonische Maßnahmen rütteln auf, aber es ist verschiede-
nes gegen diese kostspielige Methode einzuwenden. Die auf
diese Weise erzeugte Tresor- und Schatzhausatmosphäre
macht zwar das Kostbare und Schützenswerte der Kunst-
werke sinnfällig, aber es nimmt ihnen ihre natürliche Ausstrah-
lung. Im Louvre ist die Mona Lisa so verglast und so in eine
Bankschalterarchitektur eingebaut, daß der astronomische
Versicherungswert unmittelbar anschaulich wird. Gerade dies
zieht die Touristen an, die inTrauben davorstehen, während ein
paar Meter weiter die viel schönere Felsgrottenmadonna un-
geschützt und relativ wenig beachtet hängt. Eigentlich kann
man die Mona Lisa nicht mehr richtig sehen, aber gerade das
macht einen Teil ihrer Faszination aus. Zum Kultobjekt gehört
die Entrückung.

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