Man wird immer nur eine gewisse Anzahl von Kunstwerken auf
diese Weise mit dem Nimbus des Unbezahlbaren und deshalb
Schützenswerten versehen können, und es würde ein gewis-
ser, zu den Werken selbst in Widerspruch stehender Zynismus
gehören, wollte man planmäßig immer mehr solcher Magne-
ten schaffen, was zweifellos mit Hilfe von Werbung möglich
wäre und was im Interesse des Kunsthandels und aller derer
liegt, die aus Kunstwerken Objekte mit schwindelerregendem
Geldwert machen möchten. Die Einstellung des Konservators
zum Publikum wird schief, wenn er sich in Planspiele anderer
Gruppen hineinziehen läßt, aber er muß sie kennen. Vor allem
für das breite künstlerische Mittelgut, das über das ganze
Land verstreut ist und verstreut bleiben sollte, scheint mir der
radikale Weg der Errichtung von Schatzhäusern nicht gangbar.
Der Konservator muß als Wissenschaftler im Verhältnis zum
Publikum die Position der Vernunft vertreten. Er muß mit Argu-
menten überzeugen und warnen. Das bedeutet Abbau der
pseudoreligiösen Kunstverehrung und nach Möglichkeit ihren
Ersatz durch Einsicht. So sollte er auf die Besucherströme ein-
wirken. Wenn die Öffentlichkeit von Kunst im öffentlichen Be-
sitz eingeschränkt wird, darf als Argument nur die Konservie-
rung zählen. Ein ausgebildetes Auge entnimmt einem Faksi-
mile, ja sogar einer bescheidenen Reproduktion weit mehr als
ein unausgebildetes einem Original. Die Ausbildung ist es aller-
dings nicht allein, es gehört zur Steigerung des Schauwertes
eine Aufgeschlossenheit, die auch von Stimmungen abhängt.
Wer begeisterungsfähig ist, kann vor einer Kunstpostkarte
unendlich viel mehr erleben als ein stumpfer Betrachter vor
dem Original.
Was wäre nun die Wunschvorstellung des Konservators, der
einen Auftrag hat, die Kunstwerke nicht nur materiell zu erhal-
ten, sondern auch in ihrer geistigen Wirkung? Denn wenn
diese nicht mehr stattfindet, weil niemand sie aufnimmt,
bedeutet dieses zugleich die Gefährdung ihrer Substanz. (Die
Kommerzialisierung ist immer nur eine Notlösung, obgleich
vieles zweifellos nur deshalb vor dem Untergang bewahrt wird,
weil es auf dem Kunstmarkt hohe Preise erbringt.) Zum Kunst-
werk gehört ja nicht nur das räumliche Ambiente - beim Bau-
denkmal ist das selbstverständlich sondern auch der Le-
benszusammenhang, der im Anschauen und Nachdenken
über das Gesehene besteht.
Wir wünschen uns ein verständiges Publikum, das im Umgang
mit den Kunstwerken immer mehr die Notwendigkeit einsieht,
pfleglich mit ihnen umzugehen, das aufgrund dieser Einsich-
ten zum Verzicht bereit ist und das sich durch eine an Repro-
duktionen gewonnene Erkenntnis entschädigen läßt.
Diese gesteigerte Erkenntnisfähigkeit führt dann vor dem Ori-
ginal zu einer neuen Qualität von Begegnung. Erfüllung des Bil-
dungsauftrages und Schutz der Kunstwerke greifen somit
ineinander. Das ist aber wohl nur möglich, wenn die Begeg-
nung mit dem Original weiterhin gestattet, allerdings als etwas
Besonderes empfunden wird.
Diese Bildungs- und Aufklärungsarbeit müßte mit einer ein-
dringlichen Schilderung der durch den Kunsttourismus entste-
henden Schäden verbunden werden. Während inzwischen
viele die Zerstörung der Natur durch die Lebensgewohnheiten
unserer Gesellschaft anprangern, wird zu wenig darauf hinge-
wiesen, daß diese Einstellungen auch die Kulturdenkmale be-
drohen. Wir gehen mit den Kunstwerken genauso rücksichts-
los um wie mit der Natur.
Man sollte sich keine Illusionen über die Schwierigkeiten ma-
chen, das Verhalten des Publikums zu ändern.
Da Öffentlichkeit und Demokratie zusammengehören, wird je-
der andere Grund der Einschränkung mit Recht abgelehnt.
Einige Überlegungen zum Thema Schauwert und Original kön-
nen für eine Argumentation der Konservatoren gegenüber
dem Publikum und den Politikern hilfreich sein. Wer im Dahle-
mer Kupferstichkabinett die Zeichnung von Dürers Mutter
sehen will, bekommt ein Faksimile unter Glas. Wer es merkt,
erhält das Original. Auch die Albertina, die über hervorragende
Faksimiles ihrer Hauptblätter von Dürer verfügt, zeigt dem Be-
sucher, der Dürer sehen will, diese Drucke.
Diese Methode ist nicht ganz fein, aber sie dient dem Schutz
der kostbarsten Werke, die gerade, weil sie so kostbar sind,
am häufigsten verlangt und am stärksten gefährdet werden.
Der Besucher, der die Schwelle der Albertina überschreitet
und Dürerzeichnungen zu sehen wünscht, gehört schon zu
einer Elite des Publikums. Er erwartet, etwas Besonderes zu
sehen. Was geschieht?
Eine Dürerzeichnung enthält eine kaum zu erschöpfende Aus-
sage. Das ausgezeichnete Faksimile bietet nahezu alles, was
das Original auch bietet, nur etwas fehlt, die Originalität, die
allein das geübte Auge und derjenige vermißt, der weiß, daß es
sich um ein Faksimile handelt. Das ungeübte Auge nimmt nur
sehr wenig von dem auf, was Dürer in seiner Zeichnung mit-
teilt, aber es kommt ein Erlebnis zustande: Ich habe eine Zeich-
nung von Dürer in der Hand gehabt, und es ist ein geheimnis-
voller Funke übergesprungen. Der Schauwert, der übermittelt
wird, besteht also aus zweierlei: der Einsicht in einen künstle-
rischen Gedanken und diesem eigentümlichen Gefühl der un-
mittelbaren Begegnung mit dem Genius über einen Gegen-
stand.
Das erste ist rational nachzuvollziehen, das zweite ist etwas
Irrationales, das dennoch nicht einfach abgetan werden kann.
Die Rührung, die man im Beethovenhaus in Bonn in dem
Raum empfindet, in dem das Genie geboren wurde, ist keine
Sentimentalität, dessen sich der Vernünftige schämen muß.
Der Besucher, der das Dürerfaksimile betrachtet, weiß in der
Regel zweierlei nicht. Erstens, daß er ein Faksimile statt des
Originals vor sich hat, und zweitens - und das ist viel wesent-
licher -, daß er aus dem Blatt viel mehr herauslesen könnte,
wenn sein Auge ausgebildet wäre. Sollte er merken, daß er in
der zweiten Art von Schauwert getäuscht worden ist, dann
könnte er in der ersten Art reichlich entschädigt werden.
Jedoch nur ein kleiner Teil des Publikums will durch das Anse-
hen des Kunstwerkes Erkenntnis gewinnen, sich auf die lust-
volle Arbeit einlassen, in ihm und in seinen Zusammenhängen
mit Entstehungszeit und -ort einen ganzen Kosmos zu entdek-
ken. Um das zu können, ist Übung erforderlich und wohl noch
anderes. Gewiß ist es möglich, durch Bildungsarbeit den Kreis
derer zu vergrößern, die wirklich sehen; ich welchem Maß, das
wage ich jedoch nicht zu sagen. Ein erheblicher Teil jedoch will
immer nur den mehr oder weniger starken Schauer erleben,
der an den berühmten Namen in Verbindung mit einem Origi-
nal gebunden ist. Steht dieser Name da, dann fließen augen-
blicklich Assoziationen, früher Erlebtes und Gewußtes zu einer
Vorstellung zusammen, die jedes kritische und aufnahmebe-
reite Sehen trübt. Von dieser schwammigen Vorstellung wird
angenommen, es sei die elektrisierende Begegnung mit dem
Kunstwerk. Ein vorzügliches Werk eines wenig bekannten
Künstlers wird weniger Wirkung ausüben als ein mittelmäßi-
ges, das irrtümlich einem der Großen zugeschrieben ist. Man
möchte sich und anderen die Zugehörigkeit zur Schicht derer
beweisen, die Bescheid wissen. Auf Reisen Neues zu sehen,
bedeutet so viel wie das Ausfüllen eines vorgegebenen Rah-
mens. Nie wird man diese Menschen in ihrem Selbstbewußt-
sein verunsichern können, indem man sie zum Abenteuer des
Erkennens verführt, an dessen Anfang das Eingeständnis
eines Nichtwissens steht. Dabei muß man sich fragen, ob es
erlaubt ist, sie zu diesem Abenteuer zu drängen und ihnen ihre
Sicherheit zu nehmen. Ist es nicht, als stoße man einen Nicht-
schwimmer ins Becken für Schwimmer?
Was die Erwartung des Publikums, sein Kunsterlebnis vor dem
Original zu haben, angeht, so läßt sich entgegnen, daß es sich,
soweit ich sehe, nicht dagegen wehrt, daß gefährdete Skulp-
33
diese Weise mit dem Nimbus des Unbezahlbaren und deshalb
Schützenswerten versehen können, und es würde ein gewis-
ser, zu den Werken selbst in Widerspruch stehender Zynismus
gehören, wollte man planmäßig immer mehr solcher Magne-
ten schaffen, was zweifellos mit Hilfe von Werbung möglich
wäre und was im Interesse des Kunsthandels und aller derer
liegt, die aus Kunstwerken Objekte mit schwindelerregendem
Geldwert machen möchten. Die Einstellung des Konservators
zum Publikum wird schief, wenn er sich in Planspiele anderer
Gruppen hineinziehen läßt, aber er muß sie kennen. Vor allem
für das breite künstlerische Mittelgut, das über das ganze
Land verstreut ist und verstreut bleiben sollte, scheint mir der
radikale Weg der Errichtung von Schatzhäusern nicht gangbar.
Der Konservator muß als Wissenschaftler im Verhältnis zum
Publikum die Position der Vernunft vertreten. Er muß mit Argu-
menten überzeugen und warnen. Das bedeutet Abbau der
pseudoreligiösen Kunstverehrung und nach Möglichkeit ihren
Ersatz durch Einsicht. So sollte er auf die Besucherströme ein-
wirken. Wenn die Öffentlichkeit von Kunst im öffentlichen Be-
sitz eingeschränkt wird, darf als Argument nur die Konservie-
rung zählen. Ein ausgebildetes Auge entnimmt einem Faksi-
mile, ja sogar einer bescheidenen Reproduktion weit mehr als
ein unausgebildetes einem Original. Die Ausbildung ist es aller-
dings nicht allein, es gehört zur Steigerung des Schauwertes
eine Aufgeschlossenheit, die auch von Stimmungen abhängt.
Wer begeisterungsfähig ist, kann vor einer Kunstpostkarte
unendlich viel mehr erleben als ein stumpfer Betrachter vor
dem Original.
Was wäre nun die Wunschvorstellung des Konservators, der
einen Auftrag hat, die Kunstwerke nicht nur materiell zu erhal-
ten, sondern auch in ihrer geistigen Wirkung? Denn wenn
diese nicht mehr stattfindet, weil niemand sie aufnimmt,
bedeutet dieses zugleich die Gefährdung ihrer Substanz. (Die
Kommerzialisierung ist immer nur eine Notlösung, obgleich
vieles zweifellos nur deshalb vor dem Untergang bewahrt wird,
weil es auf dem Kunstmarkt hohe Preise erbringt.) Zum Kunst-
werk gehört ja nicht nur das räumliche Ambiente - beim Bau-
denkmal ist das selbstverständlich sondern auch der Le-
benszusammenhang, der im Anschauen und Nachdenken
über das Gesehene besteht.
Wir wünschen uns ein verständiges Publikum, das im Umgang
mit den Kunstwerken immer mehr die Notwendigkeit einsieht,
pfleglich mit ihnen umzugehen, das aufgrund dieser Einsich-
ten zum Verzicht bereit ist und das sich durch eine an Repro-
duktionen gewonnene Erkenntnis entschädigen läßt.
Diese gesteigerte Erkenntnisfähigkeit führt dann vor dem Ori-
ginal zu einer neuen Qualität von Begegnung. Erfüllung des Bil-
dungsauftrages und Schutz der Kunstwerke greifen somit
ineinander. Das ist aber wohl nur möglich, wenn die Begeg-
nung mit dem Original weiterhin gestattet, allerdings als etwas
Besonderes empfunden wird.
Diese Bildungs- und Aufklärungsarbeit müßte mit einer ein-
dringlichen Schilderung der durch den Kunsttourismus entste-
henden Schäden verbunden werden. Während inzwischen
viele die Zerstörung der Natur durch die Lebensgewohnheiten
unserer Gesellschaft anprangern, wird zu wenig darauf hinge-
wiesen, daß diese Einstellungen auch die Kulturdenkmale be-
drohen. Wir gehen mit den Kunstwerken genauso rücksichts-
los um wie mit der Natur.
Man sollte sich keine Illusionen über die Schwierigkeiten ma-
chen, das Verhalten des Publikums zu ändern.
Da Öffentlichkeit und Demokratie zusammengehören, wird je-
der andere Grund der Einschränkung mit Recht abgelehnt.
Einige Überlegungen zum Thema Schauwert und Original kön-
nen für eine Argumentation der Konservatoren gegenüber
dem Publikum und den Politikern hilfreich sein. Wer im Dahle-
mer Kupferstichkabinett die Zeichnung von Dürers Mutter
sehen will, bekommt ein Faksimile unter Glas. Wer es merkt,
erhält das Original. Auch die Albertina, die über hervorragende
Faksimiles ihrer Hauptblätter von Dürer verfügt, zeigt dem Be-
sucher, der Dürer sehen will, diese Drucke.
Diese Methode ist nicht ganz fein, aber sie dient dem Schutz
der kostbarsten Werke, die gerade, weil sie so kostbar sind,
am häufigsten verlangt und am stärksten gefährdet werden.
Der Besucher, der die Schwelle der Albertina überschreitet
und Dürerzeichnungen zu sehen wünscht, gehört schon zu
einer Elite des Publikums. Er erwartet, etwas Besonderes zu
sehen. Was geschieht?
Eine Dürerzeichnung enthält eine kaum zu erschöpfende Aus-
sage. Das ausgezeichnete Faksimile bietet nahezu alles, was
das Original auch bietet, nur etwas fehlt, die Originalität, die
allein das geübte Auge und derjenige vermißt, der weiß, daß es
sich um ein Faksimile handelt. Das ungeübte Auge nimmt nur
sehr wenig von dem auf, was Dürer in seiner Zeichnung mit-
teilt, aber es kommt ein Erlebnis zustande: Ich habe eine Zeich-
nung von Dürer in der Hand gehabt, und es ist ein geheimnis-
voller Funke übergesprungen. Der Schauwert, der übermittelt
wird, besteht also aus zweierlei: der Einsicht in einen künstle-
rischen Gedanken und diesem eigentümlichen Gefühl der un-
mittelbaren Begegnung mit dem Genius über einen Gegen-
stand.
Das erste ist rational nachzuvollziehen, das zweite ist etwas
Irrationales, das dennoch nicht einfach abgetan werden kann.
Die Rührung, die man im Beethovenhaus in Bonn in dem
Raum empfindet, in dem das Genie geboren wurde, ist keine
Sentimentalität, dessen sich der Vernünftige schämen muß.
Der Besucher, der das Dürerfaksimile betrachtet, weiß in der
Regel zweierlei nicht. Erstens, daß er ein Faksimile statt des
Originals vor sich hat, und zweitens - und das ist viel wesent-
licher -, daß er aus dem Blatt viel mehr herauslesen könnte,
wenn sein Auge ausgebildet wäre. Sollte er merken, daß er in
der zweiten Art von Schauwert getäuscht worden ist, dann
könnte er in der ersten Art reichlich entschädigt werden.
Jedoch nur ein kleiner Teil des Publikums will durch das Anse-
hen des Kunstwerkes Erkenntnis gewinnen, sich auf die lust-
volle Arbeit einlassen, in ihm und in seinen Zusammenhängen
mit Entstehungszeit und -ort einen ganzen Kosmos zu entdek-
ken. Um das zu können, ist Übung erforderlich und wohl noch
anderes. Gewiß ist es möglich, durch Bildungsarbeit den Kreis
derer zu vergrößern, die wirklich sehen; ich welchem Maß, das
wage ich jedoch nicht zu sagen. Ein erheblicher Teil jedoch will
immer nur den mehr oder weniger starken Schauer erleben,
der an den berühmten Namen in Verbindung mit einem Origi-
nal gebunden ist. Steht dieser Name da, dann fließen augen-
blicklich Assoziationen, früher Erlebtes und Gewußtes zu einer
Vorstellung zusammen, die jedes kritische und aufnahmebe-
reite Sehen trübt. Von dieser schwammigen Vorstellung wird
angenommen, es sei die elektrisierende Begegnung mit dem
Kunstwerk. Ein vorzügliches Werk eines wenig bekannten
Künstlers wird weniger Wirkung ausüben als ein mittelmäßi-
ges, das irrtümlich einem der Großen zugeschrieben ist. Man
möchte sich und anderen die Zugehörigkeit zur Schicht derer
beweisen, die Bescheid wissen. Auf Reisen Neues zu sehen,
bedeutet so viel wie das Ausfüllen eines vorgegebenen Rah-
mens. Nie wird man diese Menschen in ihrem Selbstbewußt-
sein verunsichern können, indem man sie zum Abenteuer des
Erkennens verführt, an dessen Anfang das Eingeständnis
eines Nichtwissens steht. Dabei muß man sich fragen, ob es
erlaubt ist, sie zu diesem Abenteuer zu drängen und ihnen ihre
Sicherheit zu nehmen. Ist es nicht, als stoße man einen Nicht-
schwimmer ins Becken für Schwimmer?
Was die Erwartung des Publikums, sein Kunsterlebnis vor dem
Original zu haben, angeht, so läßt sich entgegnen, daß es sich,
soweit ich sehe, nicht dagegen wehrt, daß gefährdete Skulp-
33