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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Umgang mit dem Original — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 7.1988

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Mörsch, Georg; Reinhardt, Uta; Osterhausen, Fritz von: Nutzung des Originals
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https://doi.org/10.11588/diglit.51140#0052
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abgebrannt, aber beliebig wieder aufführbar und, wenn es ge-
fällt, auch vervielfältigungsfähig.
Sehen wir dies deutlich genug? Wenn ja - reagieren wir richtig,
nämlich koordiniert, langfristig, grundsätzlich und beherzt?
Die Zeichen, hier von fachdenkmalpflegerischer Seite Grund-
sätzliches zu ändern, stehen schlecht. Ob es ein Echo für wei-
terreichende, tiefgründigere Ansprüche an unser Publikum
gibt, wird kaum intensiv ausgelotet: Wo wird z. B. ernsthaft
gegen die wohl bedenklichste Form der Aushöhlung ge-
kämpft, den Austausch des historischen Bodens einer Stadt
durch unterirdische Parkgaragen? Mit welcher Zielsicherheit
Großkaufhäuser die historische Altstadt, den historischen
Marktplatz zerstörend als Standort gesucht haben, wissen wir
seit der verdienstvollen Untersuchung Friedrich Mielkes2.
Wenn der heutige Trend anhält, werden wir in wenigen Jahr-
zehnten den historischen Boden unserer geschichtlichen
Siedlungskerne ausgetauscht haben gegen Tiefbauanlagen,
die für den historischen Ort ebenso zerstörerisch und würde-
los wie nichtentfernbar sind. Wo wird das Vetorecht deutscher
Denkmalpfleger bei der Anwendung des Einkommensteuer-
paragraphen 82 i und k, um den Sie mit Recht so beneidet wer-
den, konsequent als Mittel gegen die Auskernung hinter kulis-
senhaften Fassaden benutzt? Ja, selbst die modernen Denk-
malschutzgesetze leisten der Reduktion des Denkmals auf
bloß Sichtbares, Wiederholbares logischen und praktischen
Vorschub, wenn auf ungenehmigten Abbruch der Wiederauf-
bauzwang als Sanktion angedroht wird - so, als ob bei Tot-
schlag die Strafe in der Herstellung eines Retortenbabys be-
stünde. Gäbe es nicht andere, ebenso abschreckende.Straf-
androhungen, ohne dieses irritierende Mißverständnis von der
Wiederholbarkeit des Denkmals zu suggerieren, das den
Denkmalbegriff im Innersten trifft?
Viel zu sehr haben wir uns angewöhnt, auf die unbequeme
Frage nach der Verantwortbarkeit z.B. einer törichten Rekon-
struktion, eines längstverjährten und damit peinlichen Wieder-
aufbaus, einer unnötigen und verschleißintensiven Renovie-
rung mit der populistischen Gegenfrage zu antworten, ob man
denn einem so vielstimmig geäußerten Volkswillen widerspre-
chen könne. Man kann nicht nur, man muß! Und wer anders
könnte es als wir? Dabei kommen wir an der mühsamen Erar-
beitung des integralen Denkmalbegriffes nicht vorbei. Der Er-
folg ist damit zwar nicht garantiert, aber jedenfalls die einzige
Basis geschaffen, auf der die Grundsätzlichkeit unseres Anlie-
gens von inhaltlicher Glaubwürdigkeit getragen werden
könnte.
Mancher mag einwenden, die Konsumgewohnheiten um uns
herum seien so übermäßig zerstörerisch, daß eine andere Art
von Denkmalpflege höchstens an wenigen erlesenen Objek-
ten möglich sei. An solchem Einwand ist zweierlei falsch: Er-
stens ließe sich zeigen, daß gerade den sogenannten Spitzen-
denkmälern kein schonenderes Schicksal bereitet wird. Ge-
rade sie werden im Streß von Übernutzung, funktionalem und
ästhetischem Erwartungsdruck, zwischen übereilter Renovie-
rung und technologischem Überstandard zerrieben. Und
zweitens setzt die große und kleine Zerstörung nicht erst da
an, wo sie uns von übermächtigen Gegnern aufgezwungen
wird, sondern wo wir sie selbst planen und durchführen. Wo
wir das Erscheinungsbild verbessern, aber die Substanz
schmälern; die Nutzung intensivieren, aber die Lebensdauer
verkürzen; den Ausbaustandard erhöhen, aber die Instandset-
zungsfähigkeit in der Zukunft verteuern und reduzieren; die Zu-
gänglichkeit von Denkmälern erleichtern, aber die Folgen nicht
beherrschen; das Verdeckte freilegen, aber die Umweltein-
flüsse auf das Freigelegte weder kennen, noch gar meistern;
Subventionen geben im Wissen von der Zerstörungsintensität
heutiger Baustellenpraxis; uns mit Partnern zusammentun, die
uns nach aller möglichen Erfahrung als nützliche Idioten und -

viel schlimmer - die Denkmäler als kommerzielles und politi-
sches Verschleißmaterial mißbrauchen - überall da betreiben
auch wir selbst Denkmalverbrauch.
Wo bleibt, als kleines Beispiel nur, z.B. unsere fachkundige und
interdisziplinär argumentierende Warnung vor den vielfältigen
Zerstörungen durch Dachausbau, der ja nicht nur die Dach-
landschaft optisch verändert, sondern der dem Haus die Fä-
higkeit zu lagern nimmt, oft bauliche Folgemaßnahmen nötig
macht, die Bauphysik der Dachhaut völlig ändert, die Revi-
sionsfähigkeit des empfindlichsten Gebäudeteiles radikal ver-
schlechtert und auch in das Mietpreisgefüge eingreift und
damit in das soziale Geflecht einer Siedlung?.
Es gibt viele Gebiete der Denkmalpflege, auf denen sich der
Eindruck einstellen kann, daß wir an den Ernst unserer Auf-
gabe kaum noch glauben. Das gilt für Kleines und Großes: Den
Kampf um das richtig konstruierte Holzfenster hatten wir bis
auf wenige aufgegeben. Fast hat es den Anschein, als ob
einige moderne Architekten sich mit größerer Verbissenheit
und Kompetenz der Rückeroberung dieses formal, wohnphy-
siologisch und energetisch kostbaren Elements widmen, als
wir es bei seiner fälligen Verteidigung taten. Und im Großen:
Wir haben uns in den Jahren des scheinbaren Erfolges zuwe-
nig klar gemacht, welche argen Spielverderber unsere Denk-
mäler und ihre Verteidiger zwangsläufig sein müssen in einer
Zivilisation des schnellen Verbrauchs, der wechselnden, alles
umfassenden Konsummoden, des beliebigen Tauschs ohne
inhaltlichen Widerstand, der ironischen Verfremdung und der
ökonomischen Verfügbarkeit, der, entschuldigen Sie Georg
Dehios Wort, Pietätlosigkeit. Wir haben uns dabei auch zu
wenig klar gemacht, wie unverstanden und allein wir mit unse-
rem Anliegen geblieben sind, Dinge der Vergangenheit gewiß
in all’ ihrer Schönheit, aber auch in ihrer Stückhaftigkeit, ihrer
Zerbrechlichkeit, ihrer oft noch und teilweise wohl immer rät-
selhaften Aussage so ungeschmälert zu erhalten, daß die Hoff-
nung, sie fänden ihre verständnisfähigen Partner immer wie-
der, sich nicht mit ihrer Materie auflösen muß.
„Allein und unverstanden“ nicht gemeint als elitäre Zurückge-
zogenheit, sondern durchaus als gravierendes Defizit in unse-
rem Wirken. Aber haben wir uns denn wirklich offen genug
nach allen Seiten nach Partnern umgesehen, nach Partnern,
die zwar auch keine Patentrezepte haben, die aber bei nähe-
rem Hinsehen in ihrer Bereitschaft, Überliefertes nicht primär
nach Leistungsfähigkeit zu sortieren, sondern in Achtung vor
seiner grundsätzlichen Vielfalt zu erhalten, gleichen Geistes
sind?
Wenn es wirklich stimmt, daß das Sich-erinnern-wollen vorge-
schichtlich geformter und damit auf einzigartige Weise glaub-
würdiger Materie einem menschlichen Grundbedürfnis ent-
spricht, dann müssen wir uns von den Anwälten eines anderen
Axioms, dem der Erhaltung der natürlichen Umwelt, häufig
beschämen lassen. Welche Kompetenz und Verantwortung in
ethischer, wissenschaftlicher, ökonomischer und politischer
Hinsicht finden wir dort oft vorbildlich vereint - getragen vom
Mut zu Utopien und von tapferer Zärtlichkeit.
„Zärtlichkeit“ - wie lange ist es her, daß einer von uns dies als
tragenden Grund für die Pflege der Denkmäler formuliert hätte!
Blättern wir zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts als Be-
weis dafür, daß es einmal möglich war, erfolgreich möglich war,
und lassen Sie mich schließen mit einer Stelle aus John Rus-
kins „The Stones of Venice“, 1849, die eine grundsätzliche
Wende in Theorie und Praxis der Denkmalpflege Europas ein-
leitete. Die Stelle findet sich im 7. Kapitel, der „Lampe der Erin-
nerung“, im 19. Abschnitt. Sie löst nicht alle Einzelprobleme,
steht aber für eine Grundhaltung, die nicht überholt sein darf.
„Laßt uns nicht von Restaurierung sprechen! Das Ding ist eine
Lüge vom Anfang bis zum Ende. ...Das moderne Prinzip be-

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