Friesband ist im 19. Jahrhundert erneuert worden. Die Fenster
liegen nicht übereinander, sondern sind in jedem Geschoß mit
unterschiedlichen Abständen gereiht. Im Bürgerhausbau wird
eine derart betonte horizontale, geschoßweise Schichtung
erst im 16. Jahrhundert üblich. Um das Hauptportal herum,
das zwar in der optischen, nicht aber in der geometrischen
Fassadenmitte sitzt, gibt es ab dem ersten Obergeschoß eine
Störungszone (Abb. 2, 6). Sie wurde verursacht durch die
spätere, etwas brachiale Einfügung des Aufzugserkers mit den
notwendigen Windeluken, wodurch die Symmetrie der Fas-
sade gestört wird. Die Verwendung von Taustabprofilen für die
Gewände der Windeluken macht diese Änderung für die Zeit
kurz nach 1500 wahrscheinlich.
Im Tympanon des Hauptportals befindet sich eine Darstellung
Georgs mit dem Drachen, des Schutzpatrons der Waffen-
schmiede. Diese Terrakotta ist neu, sie wurde bei der Sanie-
rung von 1976 in das vorher leere Tympanon eingefügt. Wir
wissen aber, daß früher ein St. Georg in Verbindung mit dem
Portal vorhanden war. Mithoff1 beschreibt ihn als eine „in Ton
gebrannte“ Figur, die über dem Portal, von dessen Rahmung
umzogen, gesessen habe. Im Inventar von 19062 finden wir
nur noch die Nachricht, daß sich früher auf der Spitze des
Portals ein St. Georg als grün glasierte Terrakotta befunden
habe, also in Farbe und Material mit den Friesen korrespondie-
rend.
Wie dieser ursprüngliche St. Georg in einer Nische über dem
Portal gestanden haben könnte, macht das Hauptportal des
Rathauses deutlich. Hier ist es eine Darstellung des Samson.
Eine etwa gleichzeitig mit dem Glockenhaus entstandene
Skulptur des St. Georg, als vergoldete Holzplastik, gibt es im
Giebel der Kämmerei. Ähnlich könnte der St. Georg am Glok-
kenhaus ausgesehen haben. Er muß bei einem Umbau im letz-
ten Viertel des 19. Jahrhunderts verschwunden sein, als
gleichzeitig das ganze Portal verändert wurde: die Bekrönung
vereinfacht und das segmentbogige innere Portal mit dem ge-
putzten Tympanon hergestellt wurde. Wahrscheinlich wurde
dabei auch der untere Terrakottafries erneuert.
Der Ostgiebel (Abb. 5) ist etwas einfacher gestaltet, es läuft —
wie auf der Rückseite - nur das obere Gurtgesims um. im Gie-
beldreieck steht, monumental fast geschoßhoch aus Ziegel-
formsteinen im Relief gesetzt, die Stadtmarke A. Der einzige
mir bekannte Fall, daß ein Buchstabe als Stadtmarke und
damit Besitzernachweis nicht nur als Ornament, sondern
sogar als monumentales Architekturglied verwendet wurde.
Die Rückseite zum Glockenhof ist in den beiden Obergeschos-
sen so sorgfältig durchgebildet wie die Hauptfassade. Das
Erdgeschoß, das großenteils immer durch Anbauten verdeckt
war, ist etwas sorgfältiger gestaltet. Eine echte Hinterhoffas-
sade ist dies aber nicht.
Noch einmal kurz zur Hauptfassade. Für mich hat diese Fas-
sade viel mehr gemeinsam mit den Palastfassaden der Floren-
tiner Frührenaissance als mit gleichzeitigen Trauffassaden in
Lüneburg und dem Hanseraum (Abb. 7). Etwa mit Micheloz-
zos 30 Jahre früher entstandenem Palazzo Medici. Das gilt für
die abnehmenden Geschoßhöhen, für die schrittweise Zu-
rücknahme der Gestaltung in den Geschossen (in Florenz
durch abnehmendes Relief der Quaderflächen, hier durch ab-
nehmende Fenstergrößen), für die Geschoßtrennung durch
Brüstungsgesimse, die die wirklichen Geschosse eher ver-
schleiern als deutlich machen (hier in Lüneburg ganz raffiniert
abgewandelt in Gurtgesimse, die nur wie Brüstungsgesimse
wirken), und es gilt für das mit einer dichten Reihung sehr gro-
ßer Öffnungen besonders betonte Erdgeschoß.
Es ist wahrscheinlich, daß der (unbekannte) Architekt des
Glockenhauses, dem ich auch den Kämmereiflügel des Rat-
hauses zuschreibe, zuvor in Florenz war oder wenigstens die
Paläste Medici und Rucellai (von Alberti) in Abbildungen ge-
Fig. 107 01ockenh»u«; Amkbt and Oründrifl.
1 Lüneburg, Glockenhaus. Grundriß Erdgeschoß nach dem Inventar.
2 Lüneburg, Glockenhaus. Ansicht von der Glockenstraße.
3 Lüneburg, Glockenhaus. Querschnitt.
kannt hat, und er hat ihre Entwurfsprinzipien hier in Lüneburg
in Backstein zu verwirklichen gesucht. Es wäre dies eine sehr
frühe und direkte Übernahme von Ideen der Renaissance in
Norddeutschland, ohne den bekannten Umweg über die Nie-
derlande, der erst 50 Jahre später zu ersten und auch anders-
artigen Renaissancelösungen im Lüneburger Raum führte.
Soviel zur Geschichte und Baugeschichte.
Dieses Glockenhaus stand in den 60er Jahren, seit Jahrzehn-
ten nur noch teilweise als Baulager genutzt, mit mehreren
rückwärtigen Anbauten am Rande des städtischen Bauhofes,
dessen Zentrum eine herrliche alte Kastanie bildete (Abb. 8).
Ein Idyll, das man eher am Rande als im Zentrum einer lebhaf-
ten Geschäftsstadt erwartet.
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liegen nicht übereinander, sondern sind in jedem Geschoß mit
unterschiedlichen Abständen gereiht. Im Bürgerhausbau wird
eine derart betonte horizontale, geschoßweise Schichtung
erst im 16. Jahrhundert üblich. Um das Hauptportal herum,
das zwar in der optischen, nicht aber in der geometrischen
Fassadenmitte sitzt, gibt es ab dem ersten Obergeschoß eine
Störungszone (Abb. 2, 6). Sie wurde verursacht durch die
spätere, etwas brachiale Einfügung des Aufzugserkers mit den
notwendigen Windeluken, wodurch die Symmetrie der Fas-
sade gestört wird. Die Verwendung von Taustabprofilen für die
Gewände der Windeluken macht diese Änderung für die Zeit
kurz nach 1500 wahrscheinlich.
Im Tympanon des Hauptportals befindet sich eine Darstellung
Georgs mit dem Drachen, des Schutzpatrons der Waffen-
schmiede. Diese Terrakotta ist neu, sie wurde bei der Sanie-
rung von 1976 in das vorher leere Tympanon eingefügt. Wir
wissen aber, daß früher ein St. Georg in Verbindung mit dem
Portal vorhanden war. Mithoff1 beschreibt ihn als eine „in Ton
gebrannte“ Figur, die über dem Portal, von dessen Rahmung
umzogen, gesessen habe. Im Inventar von 19062 finden wir
nur noch die Nachricht, daß sich früher auf der Spitze des
Portals ein St. Georg als grün glasierte Terrakotta befunden
habe, also in Farbe und Material mit den Friesen korrespondie-
rend.
Wie dieser ursprüngliche St. Georg in einer Nische über dem
Portal gestanden haben könnte, macht das Hauptportal des
Rathauses deutlich. Hier ist es eine Darstellung des Samson.
Eine etwa gleichzeitig mit dem Glockenhaus entstandene
Skulptur des St. Georg, als vergoldete Holzplastik, gibt es im
Giebel der Kämmerei. Ähnlich könnte der St. Georg am Glok-
kenhaus ausgesehen haben. Er muß bei einem Umbau im letz-
ten Viertel des 19. Jahrhunderts verschwunden sein, als
gleichzeitig das ganze Portal verändert wurde: die Bekrönung
vereinfacht und das segmentbogige innere Portal mit dem ge-
putzten Tympanon hergestellt wurde. Wahrscheinlich wurde
dabei auch der untere Terrakottafries erneuert.
Der Ostgiebel (Abb. 5) ist etwas einfacher gestaltet, es läuft —
wie auf der Rückseite - nur das obere Gurtgesims um. im Gie-
beldreieck steht, monumental fast geschoßhoch aus Ziegel-
formsteinen im Relief gesetzt, die Stadtmarke A. Der einzige
mir bekannte Fall, daß ein Buchstabe als Stadtmarke und
damit Besitzernachweis nicht nur als Ornament, sondern
sogar als monumentales Architekturglied verwendet wurde.
Die Rückseite zum Glockenhof ist in den beiden Obergeschos-
sen so sorgfältig durchgebildet wie die Hauptfassade. Das
Erdgeschoß, das großenteils immer durch Anbauten verdeckt
war, ist etwas sorgfältiger gestaltet. Eine echte Hinterhoffas-
sade ist dies aber nicht.
Noch einmal kurz zur Hauptfassade. Für mich hat diese Fas-
sade viel mehr gemeinsam mit den Palastfassaden der Floren-
tiner Frührenaissance als mit gleichzeitigen Trauffassaden in
Lüneburg und dem Hanseraum (Abb. 7). Etwa mit Micheloz-
zos 30 Jahre früher entstandenem Palazzo Medici. Das gilt für
die abnehmenden Geschoßhöhen, für die schrittweise Zu-
rücknahme der Gestaltung in den Geschossen (in Florenz
durch abnehmendes Relief der Quaderflächen, hier durch ab-
nehmende Fenstergrößen), für die Geschoßtrennung durch
Brüstungsgesimse, die die wirklichen Geschosse eher ver-
schleiern als deutlich machen (hier in Lüneburg ganz raffiniert
abgewandelt in Gurtgesimse, die nur wie Brüstungsgesimse
wirken), und es gilt für das mit einer dichten Reihung sehr gro-
ßer Öffnungen besonders betonte Erdgeschoß.
Es ist wahrscheinlich, daß der (unbekannte) Architekt des
Glockenhauses, dem ich auch den Kämmereiflügel des Rat-
hauses zuschreibe, zuvor in Florenz war oder wenigstens die
Paläste Medici und Rucellai (von Alberti) in Abbildungen ge-
Fig. 107 01ockenh»u«; Amkbt and Oründrifl.
1 Lüneburg, Glockenhaus. Grundriß Erdgeschoß nach dem Inventar.
2 Lüneburg, Glockenhaus. Ansicht von der Glockenstraße.
3 Lüneburg, Glockenhaus. Querschnitt.
kannt hat, und er hat ihre Entwurfsprinzipien hier in Lüneburg
in Backstein zu verwirklichen gesucht. Es wäre dies eine sehr
frühe und direkte Übernahme von Ideen der Renaissance in
Norddeutschland, ohne den bekannten Umweg über die Nie-
derlande, der erst 50 Jahre später zu ersten und auch anders-
artigen Renaissancelösungen im Lüneburger Raum führte.
Soviel zur Geschichte und Baugeschichte.
Dieses Glockenhaus stand in den 60er Jahren, seit Jahrzehn-
ten nur noch teilweise als Baulager genutzt, mit mehreren
rückwärtigen Anbauten am Rande des städtischen Bauhofes,
dessen Zentrum eine herrliche alte Kastanie bildete (Abb. 8).
Ein Idyll, das man eher am Rande als im Zentrum einer lebhaf-
ten Geschäftsstadt erwartet.
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