Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Umgang mit dem Original — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 7.1988

DOI issue:
Exkursionsberichte
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.51140#0129
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Als erste Maßnahme führte die Werkstatt des Instituts für
Denkmalpflege in Hannover eine weitere Bekämpfung der
Säurerückstände durch. Sie verwendete dabei Bariumcarbo-
nat, das mit Schwefelsäure ungefährlichen Schwerspat bildet,
einen Füllstoff für Pigmente, Papier, Pappe usw. Bei diesen Ar-
beiten wurde erkennbar, daß die Säure nicht überall bis auf die
eigentliche Maloberfläche und die Grundierung durchdringen
konnte, da das gesamte Bild in jüngerer Zeit, vor allem 1927,
mehr oder weniger deckend übermalt worden war bzw. große
alte Fehlstellen aufweist, die durch übergreifende Kittungen
und Retuschen kaschiert erschienen. Da Malsubstanz und
Holzträger im Laufe der Zeit durch Klimaeinwirkung „gearbei-
tet“ hatten, erwies es sich immer wieder als notwendig, die
aufgestandenen Schichten, besonders in den Kittungsberei-
chen, zu festigen. Zahlreiche dicke Wachsrückstände bewie-
sen die Intensität der immer wieder erfolgten Konservierun-
gen, wobei die Retuschen stets erneuert, deren Ausdehnung
gleichzeitig größer wurden, so daß schließlich mehrere Retu-
schen und Kittungen übereinanderlagen.
Die Tafel zeigte sich bei der Übernahme in die Werkstatt stark
gefährdet. Die Grundierung war insgesamt sehr mürbe und
stand, besonders entlang den Fugen, blasig auf. Während eine
- wie bereits erwähnt - sich gelöst hatte, wurden die anderen
noch teilweise durch eine originale Fugensicherung mittels
Leinwandüberklebung gehalten. Um die alten Kittstellen war
die Spannung ebenfalls so stark, daß sich Abscherungen zeig-
ten. Tiefgehende Schädigungen erwiesen sich als so umfang-
reich, daß eine durchgreifende Restaurierung als unumgäng-
lich anzusehen war. Es wäre unter irreversibler Verklebung von
originaler Substanz sowie späteren Übermalungen und Kittun-
gen möglich gewesen, den Ist-Zustand des Gemäldes zu be-
wahren, ohne die Gewähr zu bieten, einen langandauernden
Ruhestand zu erreichen.
Die Abnahme aller späteren Ergänzungen, die somit für eine
sachgerechte Restaurierung unabdingbar war und zuerst im
Rahmen- und Fugenbereich vorgenommen wurde, um eine
Verleimung der Stöße und eine anschließende Rahmung des
Bildes zu ermöglichen, legte große Fehlstellen frei; Zerstörun-
gen, die am unteren Rand bis zu einer Höhe von sieben Zenti-
metern reichen, ebenfalls entlang den Fugen, wo sie auch auf
ein frühzeitiges Abreißen der Leinwandstreifen mitsamt Mal-
schicht zurückzuführen waren.
Als Außenseite zeigt sich das „Opfer des Melchisedek“ stärker
beeinträchtigt als die ehemalige, gegen klimatische Schwan-
kungen stärker geschützte Innenseite; eine Tatsache, die auch
an anderen Altären zu beobachten ist. Die Schäden sind aller-
dings nicht nur klimabedingt, sondern sicher auch auf mecha-
nische Beeinträchtigungen infolge der wechselhaften Ge-
schichte der Altartafel zurückzuführen.
Die umfangreichen Fehlstellen entfachten eine rege Diskus-
sion über die Art und den Umfang der Retuschen. Nach lan-
gen Überlegungen und Kolloquien entschloß man sich, auf
Drängen der Gemeinde, die Fehlstellen mit einer Vollretusche
zu schließen. Fehlstellen, die bis zum Träger reichten, wurden
mit einem farbigen Wachs-Harzkitt geschlossen, der dem
Grundton des Umfeldes entsprach. Durch die Vorgehens-
weise und Materialwahl der Vergangenheit sowie die seinerzeit
offensichtlich fehlende Auseinandersetzung mit dem Objekt,
auch im Hinblick auf spätere Maßnahmen, mußte man sich
entschließen, mit Wachs-Harz zu arbeiten, da man nicht im
ursprünglichen System aufbauen konnte. Die Kittungen wur-
den dem Umfeld entsprechend strukturiert und mit einer Harz-
retusche farblich angeglichen.
Ein weiterer Punkt, der zur Diskussion stand, war die Aufstel-
lung der Tafel in einer Vitrine, um Klimaschwankungen entge-
genzuwirken. Dabei hätte man ein Binnenklima geschaffen,
das in der Folge zu erneuten Schäden hätte führen müssen.
Das Klimaproblem lag in der Kirche selbst, es war durch ent-

sprechende Maßnahmen (Heizung) zu verbessern. Die Tafel
wurde in einer starren Rahmenkonstruktion befestigt, um Er-
schütterungen und Folgeschäden entgegenzuwirken.
Für die Konservierung und Restaurierung des Tafelbildes stell-
ten und stellen sich auch heute noch aus dem oben Ausge-
führten eine Reihe von Fragen. Die Abnahme von Übermalun-
gen, die im Laufe der Zeit originale Farbschichten überdeckt
haben, kann insofern als bedenklich bezeichnet werden, als
damit ein Teil der Bildgeschichte unwiderbringlich vernichtet
wurde. Je weiter die Zerstörung eines Kunstwerkes fortge-
schritten ist - und wir haben im „Opfer des Melchisedek“ in
großen Teilen ein Fragment vor uns - desto näher liegt zudem
der Gedanke, den vorgefundenen Ergänzungen eine bedeu-
tende Rolle in der Traditionskette zuzuschreiben; desto vor-
sichtiger muß man auch das durch die Bearbeitung zu errei-
chende Ziel gegen die bisherige, durch Übermalung geschlos-
sen wirkende Form des Kunstwerkes abwägen.
Der Schritt zur völligen Abnahme von Übermalungen, den Re-
stauratoren heute nicht mehr ohne Zwang gehen, da auch in
der Beseitigung jüngerer Schichten durchaus zeitgebundene
Bewertungskriterien mitsprechen können, mußte hier getan
werden, um das zuunterst liegende erhaltene Original über-
haupt in seiner Weiterexistenz sichern zu können. Der nun
offenliegende Befund gab nicht mehr den originalen Zustand
des 15. Jahrhunderts wieder. Nicht nur die Alterungsspuren
der Farben, das Craquelesystem, besonders aber die umfang-
reichen, bis auf den Holzträger reichenden Ausbruchstellen
sind als irreversible Veränderungen des Originals anzuspre-
chen, die die Aussage des Kunstwerkes minderten.

Frage nach dem originalen Zustand
Die Erörterungen, die mit Kirchengemeinde, kirchlichen Behör-
den, Fachkollegen aus Museen und Denkmalpflege geführt
worden sind, welcher Zustand denn nun der für das Tafelbild
„Abraham und Melchisedek“ - wenn man so will und über-
haupt sagen kann - angemessen sei, haben letztlich zu einer
völligen Ergänzung aller Fehlstellen geführt.
Das vom Institut für Denkmalpflege und ihren Restauratoren
angestrebte „originale Fragment“ konnte nicht durchgesetzt
werden. Die Absicht war, die geminderte Ablesbarkeit des Dar-
gestellten einerseits durch eine allzu konservierende Behand-
lung nicht weiter ungebührlich zu erschweren, andererseits die
ohnehin durch die Zeitläufe schon erheblich verminderte bzw.
veränderte Originalsubstanz nicht durch zu umfangreiche, in
wichtige kompositorische Bereiche eingreifende Reparaturen
in ihrer ohnehin begrenzten Aussagemöglichkeit noch stärker
einzuschränken.
Diese Aufgabe wäre nach meiner Meinung nur folgenderma-
ßen zu erfüllen gewesen: Ergänzung durch zurückhaltende
Retuschen, um eine Vorstellung des ursprünglichen Ganzen
entstehen zu lassen. Weder eine Normal- noch Totalretusche
hätten hierbei überzeugende Lösungen bringen können, da
Fehlstellen in wichtigen Bereichen nicht ohne künstlerische
Phantasie zu schließen gewesen wären.
Das Gegenbild „Abendmahl“ zeigt eine solche Ergänzung in
seinem rechten, 1927 rekonstruierten Randteil und belegt in
deren qualitativen Abfall gegenüber Bornemanns Malerei, wie
auch deren Zeitgebundenheit, die Problematik solchen Begin-
nens. Der in diese Richtung der Totalretusche zielende Kom-
promißvorschlag, die Fehlstellen über einem dünnen Grund,
gegenüber der Originaloberfläche eingetieft, farblich vollstän-
dig zu komplettieren, scheitert darüber hinaus an dem un-
lösbaren Problem des unterschiedlichen Klimaverhaltens der
originalen und ergänzten Teile: Spannungen in den Grenzberei-
chen hätten sehr bald zu Abscherungen der Malsubstanz
geführt. Auf die Gefahren einer Klimavitrine hat Herr Frey oben

127
 
Annotationen