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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

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Voepel, Otto: Baukunst und handwerkliche Schulung
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https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0087
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rung bereits klar vollzogen: die Fortbildungs- und
Gewerbeschule, auf die Durchschnittsleistung ein-
gestellt, sucht ihren Pflichtschülern eine möglichst
gleichmäßig tüchtige Allgemeinbildung zu geben
und sie im vertieften Erfassen des Handwerklichen
zu unterstützen. Der Begabtere wird in Abend- und
Meisterkursen oder auf der Kunstgewerbeschule
über den Durchschnitt hinaus gefördert.
Eine ähnliche Auslese wird auch in der allge-
mein baufachlichen Ausbildung ganz von selber
sich einstellen. Die Hochschule wird — im jetzigen
Beharrungszustande — immer mehr zur Beamten-
schule werden, an der auch der wohlhabende Sohn
des Bauunternehmers auf ziemlich bequeme Weise
seiner Firma den langersehnten Titel erwerben kann.
Der lediglich auf bestmögliche Ausbildung seiner
Fähigkeiten bedachte, im Handwerklichen
wurzelnde Kunst jünger findet anderswo
günstigeren Nährboden.
Die Meister der alten Baukunst sind
alle aus dem Handwerk hervorgegangen,
durch natürliche Auslese. Und die ersten
Akademien betrachteten lediglich das als
ihre Aufgabe: dem über das Handwerk-
liche Hinausstrebenden das Letzte zu geben,
was überhaupt noch durch Lehren über-
mittelt werden kann. Heute ist es umge-
kehrt: der junge Akademiker hat von
irgendeinem grundlegenden Handwerk
keine Ahnung und sucht ihm im theore-
tischen Unterricht näher zu kommen. Es
ist aber viel leichter möglich, daß jemand,
der ein Handwerksgebiet, z. B. das des
Steinmetzen oder Schreiners, vollkommen
beherrscht, sich auch in andere handwerk-
liche Tätigkeiten hineindenkt und über
dem Suchen nach Proportionen und Ge-
samtwirkung zur allumfassenden Baukunst
kommt, als daß umgekehrt ein Akade-
miker mit der erstrebten allgemeinen um-
fassenden Ausbildung sich nachträglich in
das Handwerkliche so tief hineinarbeitet,
daß er wirklich aus eigener technischer
Erfahrung heraus entwerfen kann. Eine
Reihe erfolgreicher jüngerer Architekten,
die aus dem Kunsthandwerk hervorge-
gangen sind, mögen hierfür als Zeugen
dienen. Der Grundsatz, der im Kunst-
gewerbe selbstverständlich ist: „Erst prak-
tisches Können, dann Entwerfen,“ wird
um so mehr auch für das Schaffen des
Baukünstlers Geltung erlangen, als die
rein technischen Voraussetzungen seiner
Kunst komplizierter werden. Und unser
Vertrauen auf eine endlich doch gedeih-
liche Entwicklung der Baukunst aus allem
Akademismus heraus zur organischen
Form wird in dem Maße wachsen, wie wir

beobachten können, daß eine Gesundung von unten
herauf sich allmählich durchringt.
Die Gewähr für eine solche Gesundung bietet die
erfreuliche Entwicklung unserer niederen und mitt-
leren Fachschulen in den letzten Jahren.
Jeder auf die Tüchtigkeit seiner Handwerker an-
gewiesene Architekt wird die große Bedeutung er-
messen können, die einer intellektuellen und techni-
schen Förderung der Handwerkerausbildung bei-
kommt. Ihr zu dienen, ist in erster Linie der Zweck
der neu gegründeten und organisierten Gewerbe-
schulen. In dreijährigem Pflichtunterricht wird an
ihnen die Volksschulbildung der Lehrlinge in der
Richtung auf das Berufliche vertieft (Geschäftsauf-
sätze, gewerbliches Rechnen, Buchführung, Bürger-
kunde) ; daneben im Zeichen- und Werkstattunter-

Vaterländischer
Gedenkstein

Alfred Fischer (B.D.A.)
Essen (Ruhr)

Architektonische Rundschau 1914
Seite 75
 
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