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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 30.1914

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Langen, Gustav: Gemeinsame Arbeit der einzelnen Architekten im Städtebau
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https://doi.org/10.11588/diglit.42063#0106
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Verheyen & Stobbe
(B.D.A.), Düsseldorf

Evangelische Kirche mit
Pfarrhaus in Obercassel

lange man ihr Werk für sich betrachtet, als archi-
tektonische Lösung eines Einzelfalles, wie sie ja
auch in den meisten Architekturzeitschriften, in
Abbildungen und Baurissen als Einzellösung ver-
öffentlicht werden. Aber eben dies selbstbewußte
Sichhinsetzen ist noch der letzte Rest der heute über-
wundenen Bauperiode, der Punkt, auf welchem die
Überlieferung der alten Zeit noch nicht genügend
übernommen worden ist.
Hier setzt nun die Stadtbaukunst ein. Es handelt
sich hier um die Betrachtung und Führung der Bau-
tätigkeit in ihrer Gesamtwirkung, um die Abhängig-
keit der verschiedenen Gebäude voneinander und
um ihren harmonischen Zusammenklang mit der
Nachbarschaft und dem Stadtganzen. Wohl ist hier
schon außerordentlich wertvolle Arbeit geleistet, und
eine Anzahl großer Ausführungen und Entwürfe
haben schon seit Jahrzehnten in weitgehendem
Maße städtebauliche Rücksichten genommen. Aber
immer waren es doch Einzelfragen, gewisse sensatio-
nelle, öffentlich erörterte Bauaufgaben, welche eine
derartig großzügige Behandlung erfuhren. Einzelne
Monumentalgebäude aber machen die Stadt nicht,
selbst wenn sie an hervorragenden Punkten für das
Gesamtbild von besonderer Wichtigkeit sind. Die
Schönheit — auch die rein architektonische — der
Städte beruht vielmehr auf den vielen unwägbaren
Kleinigkeiten, deren Beachtung nur eine langsam
eingebürgerte, jede kleinste Tat des Architekten
sicher leitende Baukultur ermöglichen kann.

Wie die Gesundung un-
seres heutigen Bauwesens
eine Frucht ernster Studien
alter Architekturen gewesen
ist, so kann auch diese neue
Baukultur erst durch das
Studium der alten Leistungen
geweckt und gepflegt werden.
Schon Camillo Sitte hat die
Wirkungen alter Platz- und
Straßenbilder geprüft und
dem modernen Architekten
zur eingehenden Beachtung
empfohlen. Aber er ging
noch im wesentlichen von
der Arbeit des Städtebauers
im engeren Sinne, der Ge-
staltung der Raumgebilde
alter Städte durch den be-
sonderen Grundriß der Bau-
fluchtlinien aus und gab so-
mit mehr dem Städtebauer
als dem Einzelarchitekten
die Möglichkeit zu einer
tatenfrohen Mitarbeit. Ohne
schätzenswerte Arbeiten an-
derer damit übergehen zu
wollen, darf man wohl
sagen, daß dann die Arbeiten Brinckmanns auf die
einzelnen Wirkungen und Elemente der baulichen Ge-
samtheit und städtebaulicher Raumgebilde besonders
eingegangen sind. Sprach Sitte hauptsächlich von
Geschlossenheit der Bildwirkung, richtiger Lage der
Monumentalgebäude und Denkmäler, Gruppierung
und Rhythmus städtebaulicher Gebilde, so tauchen
bei Brinckmann, ganz folgerichtig und organisch
auf Sittes Arbeit aufgebaut, nun die Elemente auf,
mit denen auch der Einzelarchitekt arbeiten, mit
denen er sich der Gesamtwirkung anschließen und
unterordnen kann. Gesimse, Fenstergrößen, Stock-
werkshöhen, Ausbildung der Straßenwandungen, der
Baublöcke, der Gartenumfriedigungen, ja sogar die
Arten der Dachdeckung, die mit ihren gleichartigen
Mustern wertvollen Anhalt für maßstäbliche Wir-
kung geben, werden nicht vergessen. Damit ist die
Methode gekennzeichnet, nach welcher nun das
Studium des einzelnen Architekten je nach der Ört-
lichkeit und der ihm zugewiesenen Bauaufgabe sich
auf besonderem, fest umgrenztem Feld auswirken
kann. So sehr aber auch der Einzelne sich seine
Überzeugungen bilden mag, so liebevoll er sich die
Eigentümlichkeit der ihm nahestehenden alten
Stadtbilder zu eigen macht und sich feste Ideale von
dem Charakter der neuen Stadtteile bilden mag, so
wird er doch als Einzelner nur schwache
und wenig ermutigende Versuche wagen
können, und alle die vielen von Archi-
tekten oft mit tiefster Begeisterung ge-

Architektonische Rundschau 1914
Seite 94
 
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