Sie vollendete nicht. Wild sprang sie auf. Die Fäuste gegen die
Schläfen pressend, irrte sie in der Kemenate auf und ab.
„Ich muss zu ihm! Ich muss zu ihm! ... Und ich werde ihn
finden.“
* *
*
Eine Zeit darnach konnte man im Frankenreich eine hohe Frauen-
gestalt durch Dörfer und Städte wandern sehen; in schwarzem Gewand,
mit schwarzem Schleier schritt sie daher; ihr goldblondes Haar war in
ein seidenes Netz zusammengedrängt. Neben ihr schritt ein weisses
Windspiel.
Man schenkte ihr nicht viele Beachtung. Man hatte nicht viele
Lust, über absonderliche Wanderer nachzugrübeln. Denn das grosse
Sterben, der schwarze Tod, war über Frankreich gekommen. Gott hatte
ihn wohl geschickt, weil die Menschen so üppig geworden waren. Von
Osten nach Westen wanderte der Würgengel, den schwarzen Stab in
den fleischlosen gelben Händen. Er hob ihn gegen die Türen und die
Menschen in den Häusern starben. In Sammet und Seide, in Lumpen
und Flicken. Ein Hauch brachte den Tod. Da sah man Tote, von
der schwarzen Brüderschaft in Reihen hinausgetragen, und in den
Gärten, an denen die Totengräber vorbeikamen, schallte Musik, Gelächter,
Geschrei. Wilde Tänze wurden da aufgeführt, deren Ende die Wollust
im Feld des Todes war. Oft mochte es vorkommen, dass die
Tanzenden mitten im Reihen tot zu Boden fielen. Die Pest hatte ihnen
die Hand auf die Brust gelegt. Niemals waren so viele Seufzer der
Wonne und der Todesnot, so viele Schreie der Lust und der Angst
oder Verzweiflung zu der unbekannten Gottheit emporgestiegen.
In den Kirchen lagen die Priester Tag und Nacht vor dem Aller-
heiligsten. Das ewige Licht flammte düster auf dem goldenen Taber-
nakel. Und der Priester, der den Gläubigen das Abendmahl austeilte,
vermochte manchmal die Hostie nicht mehr aus der silbernen Kapsel
zu nehmen. Mitten in der heiligen Handlung war der Tod zu ihm
getreten. Man schien nicht mehr in der Zeit zu leben. Und über all
dem Ungeheuerlichen blaute in wunderbarer Heiterkeit der Maihimmel.
Stiegen die Sterne leuchtend auf und nieder. Taute der Mond friedliche
Kühlung. Die Rosen dufteten und die Aue glänzte und lud zum
minniglichen Reihen.
38
Schläfen pressend, irrte sie in der Kemenate auf und ab.
„Ich muss zu ihm! Ich muss zu ihm! ... Und ich werde ihn
finden.“
* *
*
Eine Zeit darnach konnte man im Frankenreich eine hohe Frauen-
gestalt durch Dörfer und Städte wandern sehen; in schwarzem Gewand,
mit schwarzem Schleier schritt sie daher; ihr goldblondes Haar war in
ein seidenes Netz zusammengedrängt. Neben ihr schritt ein weisses
Windspiel.
Man schenkte ihr nicht viele Beachtung. Man hatte nicht viele
Lust, über absonderliche Wanderer nachzugrübeln. Denn das grosse
Sterben, der schwarze Tod, war über Frankreich gekommen. Gott hatte
ihn wohl geschickt, weil die Menschen so üppig geworden waren. Von
Osten nach Westen wanderte der Würgengel, den schwarzen Stab in
den fleischlosen gelben Händen. Er hob ihn gegen die Türen und die
Menschen in den Häusern starben. In Sammet und Seide, in Lumpen
und Flicken. Ein Hauch brachte den Tod. Da sah man Tote, von
der schwarzen Brüderschaft in Reihen hinausgetragen, und in den
Gärten, an denen die Totengräber vorbeikamen, schallte Musik, Gelächter,
Geschrei. Wilde Tänze wurden da aufgeführt, deren Ende die Wollust
im Feld des Todes war. Oft mochte es vorkommen, dass die
Tanzenden mitten im Reihen tot zu Boden fielen. Die Pest hatte ihnen
die Hand auf die Brust gelegt. Niemals waren so viele Seufzer der
Wonne und der Todesnot, so viele Schreie der Lust und der Angst
oder Verzweiflung zu der unbekannten Gottheit emporgestiegen.
In den Kirchen lagen die Priester Tag und Nacht vor dem Aller-
heiligsten. Das ewige Licht flammte düster auf dem goldenen Taber-
nakel. Und der Priester, der den Gläubigen das Abendmahl austeilte,
vermochte manchmal die Hostie nicht mehr aus der silbernen Kapsel
zu nehmen. Mitten in der heiligen Handlung war der Tod zu ihm
getreten. Man schien nicht mehr in der Zeit zu leben. Und über all
dem Ungeheuerlichen blaute in wunderbarer Heiterkeit der Maihimmel.
Stiegen die Sterne leuchtend auf und nieder. Taute der Mond friedliche
Kühlung. Die Rosen dufteten und die Aue glänzte und lud zum
minniglichen Reihen.
38