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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0127
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'N 119 <Z>-

der sich zauberhaft ausnebmen muß in dem
Glanz seiner tausend Lustres, deren Lichter aus
den Spiegeln der in dem Fond der Gallerten
und der Logen angebrachten Spiegel ins End-
lose vermehrt zurückgeworsen werden.
Non dem Schloß selbst sind seine Gärten
nicht zu trennen, die in einen großen und in
einen kleinen Park sich gliedern. In welcher
Richtung man dieselben durchwandelt, stets wird
man durch neue Sceuerien überrascht. Unter
den gewaltigen Bäumen befinden sich zahlreiche
Boskcts von verschiedener Gestalt und Größe,
und im freien Nasen oder zwischen den Alleen
breiten sich Wasserbecken mit mächtigen Fontänen
aus, während anderwärts wieder zwischen einer
Unzahl eherner und marmorner Statuen und
Vasen die verschiedensten Wasserwerke spielen.
Eine Ppobe davon bietet unsere Abbildung, das
Bassin des Neptun darstellend. Im Umfang
des Parks liegen die Lustschlösser Groß- und
Klein-Trianon. — Zu Versailles wurde 1783
der berühmte Frieden geschlossen, welcher Nord-
amerika von dem britischen Reiche trennte.

Chancery.
Chambery, gegenwärtig die Hauptstadt des
französischen Gouvernements Savoyen, nachdem
es vor der Annexation die des gleichnamigen
zu Sardinien gehörigen Herzogtums gewesen,
liegt in einem anmuthigen, ziemlich weiten, sich
rundenden Thal, das von mäßig hohen, mit
Villen, Gärten und Landhäusern besetzten Ber-
gen umgeben ist. Das Thal wird von der Laisse
und der Albana bewässert, von denen letztere in
der Nähe einen 220 Fuß hohen Wasserfall bil-
det, und vereinigt mit der Großartigkeit einer
Gebirgsscenerie alle Anmuth und Lieblichkeit
einer schönen Fruchtebene. Die Stadt selbst, welche
19,000 Einwohner zählt, war früher befestigt
und besteht großentheils nur aus engen, unregel-
mäßigen Straßen, hat aber, da früher der zahl-
reiche, wenn auch nicht sehr bemittelte Landadel
nach italienischer Sitte hier die Einkünfte seiner
Güter zu verzehren pflegte, respektable Häuser
und gewinnt allmählich um seiner Lage an der
Eisenbahn willen ein großstädtisches Aussehen.
Unter den Bauten verdienen genannt zu wer-
den: die dreischiffige Kathedrale im gothischen
Styl, die Kirche der heiligen Jungfrau und die
heilige Kapelle, das Hospiz des heiligen Bene-
dikt, das Museum, die Bibliothek, das Theater,
die Arkaden des General Boigne und das alte
Schloß. Bemerkenswerth sind ferner: der Markt-
platz mit einer schönen Fontäne, die Promenade
Verney, der Grand Jardin und der botanische
Garten. Unter den Landhäusern der Umgegend
befindet sich das durch Rousseau berühmt ge-
wordene 1.68 OIiarni6tt68. Der General Boigne,
dessen Andenken in Chambery hoch geehrt und
durch eine Statue am Ende der Promenade,
wie auch durch eine der neuen Straßen, die
seinen Namen führt, gefeiert ist, hat der Stadt
sein ganzes, aus vierthalb Millionen Frauken
bestehendes Vermögen vermacht und damit viele
wohlthätige Anstalten gegründet. Die Stadt ist
Sitz eines Erzbischofs und mehrerer gelehrten
Institute. Es herrscht hier ein reger Gewerbe-
fleiß, besonders in Destillation, in Leinen, Leder,
Spitzen und Hüten; auch der hier erzeugte Roth-
wein ist berühmt, und die Lage in dem Knoten
von drei Hauptstraßen begünstigt einen lebhaften
Speditionshandel.

O je! Er hat mich!
Humoreske von Ar. Nick.
Der Flickschneider und Meßner - Assistent zu
Dingsdorf war ein sehr pflichttreuer Mann und
Beamter. Gewissenhaft hielt er jeden Abend in
der Kirche und deren Umgebung genaue Visita-
tion. Beim Mondschein ging diese Visitation
ganz ins Einzelne. Stand aber der Mond nicht
am Himmel, leuchteten nur die Sterne vom Fir-
mament —.dann betrat er die Kirche nicht, son-
dern beschränkte seine Ronde nur auf den Got-
tesacker, in dessen Mitte die Kirche stand. Bei
finsterer Nacht dagegen ging er bloß an der
äußeren Mauer des Friedhofs hin, und über-
zeugte sich horchend, daß Alles in Ordnung war.
„An einem so stockfinsteren Abend wie heute,"
sagte er zu seinem Weibe, „mücht' ich doch lie-
ber daheim bleiben, als nochmals aus den Kirch-
hof gehen. Du weißt wohl, ich habe Konrage
wie Keiner — aber die Nacht ist eben niemals
keines Menschen Freund nicht. Heute hat's da-
zu noch einen Nebel, daß man ihn schneiden
könnte. Ich sollte nur dableiben; die Kirche
stiehlt Niemand nicht!"
„Geh' nur," mahnte das Weib; „es ist
Dein Amt, und wer ein Amt hat, der warte
seines Amts, heißt's in der Schrift. Die Kirche
stiehlt man freilich nicht. Dich aber auch Keiner,
und wenn auch, so bringt er Dich wieder, so-
bald er Dich beim Licht besieht!"
Seufzend legte der Meßner-Assistent seine
Jacke an, bedeckte seinen bereits grauen Schädel
mit einer wollenen, sogenannten Pudelmütze, zog
seine nägelbeschlagenen Stiefel an die dürren
Beine, ergriff Knotcnstock und Schlüssel und
Laterne und trat den schweren Gang an. Lang-
sam schritt er durch die wirklich dichte Finster-
niß der Nacht der Wohnung der Tobten zu.
Es war still, kein Laut war hörbar.
Vor einer Stunde erst war er in der Kirche
gewesen und hatte die Abendglocke geläutet, und
nachher Alles in Ordnung dort gefunden; es war
also nicht nöthig, daß er jetzt wieder hinging.
Inzwischen kommt er an der Kirchenthür vor-
über und bleibt horchend stehen. Ein arges Ge-
poltär im Innern des heiligen Hauses dringt
an sein Ohr. Ohne Furcht, denn diesen Begriff
kennt er gar nicht, steht er wie festgebannt. Das
Gepolter wird immer ärger und scheint näher
zu kommen. Jetzt überläust's den furchtlosen
Mann, Flickschneider und Meßner-Assistenten eis-
kalt. Stock und Laterne entfallen seiner zittern-
den Hand, und trotz der stockfinsteren Nacht rennt
er seiner Behausung zu, wo er verstört und
keuchend bei seiner Ehehälfte ankommt, welche
am Tische sitzt und Kartoffeln schält.
„Was ist Dir, Alter? Was hast?" fragt sie
erschrocken, indem sie den pflichtgetreuen Beam-
ten des Dorf-Kultdepartements ängstlich anblickt.
„Was werd' ich haben?" keucht dieser. „In
der Kirche drüben ist ein gräulicher Spuk, daß
mir's schier angst und bange geworden ist, und
ich bin schnell hergelaufen, Dir's zu sagen. Ach
Gott, was fang' ich an!"
„Ein Spuk in der Kirche!" wiederholte die
Frau, kreideweiß vor Schrecken. „Geh' schnell
zum Herrn Pfarrer und meid's ihm!"
„Mein Gott, so muß ich noch einmal hin-
aus in die trostlose Nacht!" jammerte derMeß-
ner-Assistent. „Allein es muß sein!" setzte er
seufzend hinzu, während er aus dem Wandkäst-
chen eine Flasche hervorlangte und einen tüchtigen
Schluck daraus nahm. Dann tappte er zum
Hause hinaus, dem nahen Psarrhofe zu. — Der

Weg führte ihn wieder an der Kirche vorbei,
und obgleich er — nicht aus Furcht, denn die
kannte er ja nicht, sondern aus Vorsicht — seine
Schritte möglichst weit ab lenkte, hörte er den-
noch das Gepolter noch deutlich, ja es kam ihm
sogar vor, als sei cs noch ärger als das
erstemal.
Am Pfarrhaus angelangt, dessen Thüre bei
so später nachtschlafender Zeit natürlich verschlos-
sen war, zieht er die Hausglocke ein-, zwei-,
dreimal. Endlich öffnet sich das kleine Fenster-
chen neben der Hausthüre und die ihm wohlbe-
kannte Stimme der alten Pfarrmagd fragte schei-
ternd: „Wer ist da? Was will man so spät?
Ist Jemand am Sterben, oder brennt's?"
„Ach, ich bin es ja, der Meßner-Assistent
Böckle!" versetzt dieser schnaufend — „sag' sie
doch um Gotteswillen dem Herrn Pfarrer, er
soll mit in die Kirche 'nübergehen, es ist ein
gräßliches Gepolter drüben — so arg — so
arg — ach Gott!"
Eilig zieht die Magd ihren Kopf zurück, den
sie aber nach fünf Minuten wieder herausstreckt.
„Der Herr Pfarrer haben gesagt, Sie könn-
ten jetzt unmöglich aufstehen" — beschick sie den
trostlosen Kirchendiener — „Sie thäien im Au-
genblick in einem gelinden Schweiß liegen. Der
Schulmeister soll nach der Sache sehen!" Da-
mit schlug die Pfarrmagd das Fenster zu.
„O, ich geschlagener und geplagter Mann!"
! jammerte der Meßner-Assistent. „Jetzt soll ich
auch noch zum Schulmeister!"
Seufzend steuerte er dem Schulhaus zu, das
einige Häuser entfernt lag. Bald ist er am
Ziel. Da am Schulhaus keine Hausglocke ist,
j donnert er mit der Faust an den Fensterladen
der im unteren Stock befindlichen Lehrer-Woh-
nung. Rasch wird hierauf Fenster und Laden
geöffnet, und die Frau Schulmeistcrin, den Kopf
mit einer ungeheuren Nachthaube bedeck', schaut
heraus. Das Gesuch nebst psarramtlicher Ordre
wird in möglichster Kürze dringend angebracht.
Aber hier will man ebensowenig davon wis-
sen, als vorhin im Pfarrhause. „Ja wohl,
sonst nichts!" belferte die Schulmeisterin zum
Fenster heraus. „Das fehlt noch! Wenn der
Pfarrer schwitzt, ist der Schulmeister natürlich
gut genug zum Aufstehen, ob er auch einen Ka-
tarrh hat, das ist ganz gleich, dem Schulmeister
thut's nichts! Ich sag', mein Mann ist jetzt im
Augenblick sehr heiser, und ich leid's nicht und
duld's nicht, daß er aussteht, wegen einem Ge-
polter in der alten Kirche. Er ist's mir und
seiner Familie schuldig, daß er im Bett bleibt,
j Geh Er nur, Böckle. Wenn's Ihm so darum zu
thun ist, mit dem Teufel Händel anzufangeu, so
weck' Er den Provisor, der ist ein junger, un-
j verheiratheter Mann, der soll's wagen und den
Satan verjagen, wenn sich's der gefallen läßt!"
Trostlos und wie vom Donner gerührt stand
der arme Mann da. Die Sache hatte aber Eile,
die Kirche stand vielleicht in großer Gefahr, und
er als Kirchendiener mit. Der Herr Pfarrer
konnte leider nicht zu Hülfe eilen, er hätt's ja
gewiß gern gethan, aber er lag in einem gelin-
den Schweiß. Der Schulmeister wollte und durfte
nicht, weil er an einem hartnäckigen Katarrh
litt, der sich in der kalten Nachtluft jedenfalls
verschlimmert hätte. Nur noch auf Einem be-
ruhte die Hoffnung des getreuen Meßner-Assi-
stenten — aus dem ritterlichen Provisor, der ja
in der gefährlichen Zeit der deutschen Revolution
stets vorne dran gewesen war. Wenn auch der
nicht konnte oder wollte — oder gar vielleicht
nicht daheim sein sollte! Er mochte den tröst-
 
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