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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0128
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ILO <ZS-

zurücken, beim bei einer so wichtigen und ge-
fährlichen Unternehmung kam es sehr darauf
an, erst richtig zu sehen und sicher geführt zu


losen Gedanken gar nicht weiter denken, sondern
rannte um ein Haus weiter, wo der Herr Pro-
visor wohnte. Dem trommelte er mit beiden
Fäusten so lange und nachdrücklich an den
Fensterladen, bis er sich wirklich nach we-
nigen Minuten blicken ließ.
Dießmal war der rechte Mann gefun-
den, denn kaum hatte der Meßner-Assistent
die Ursache der nächtlichen Allarmirung an-
gedeutet, so wurde er von dem Herrn Pro-
visor in die Stube genöthigt, um hier
beim Hellen Lampenschein die schauerliche
Begebenheit umständlich auseinander zu
setzen. Dabei vergaß aber der Berichter-
statter in der Bestürzung zu sagen, daß
er schon vergeblich beim Herrn Pfarrer und
Schulmeister gewesen, oder that er es ab-
sichtlich, um den Herrn Provisor nicht zu
beleidigen, daß er zu ihm zuletzt gekom-
men, oder weil er dachte, der Herr Pro-
visor möchte seinen hohen Vorgesetzten nach-
ahmen. Der schlaue Böckle behauptete
vielmehr keck, er sei expreß sogleich herge-
rannt, weil er in einer so wichtigen Sache
ohne Zeugen allein nichts hätte^interneh-
men wollen, und weil er hierzu keinen
geeigneteren Mann im ganzen Flecken wüßte,
als den Herrn Provisor. Auch sei er der
Einzige im Oit, der außer -dem Bettel-
vogt einen Säbel als Waffe besitze.
Der Herr Provisor schüttelte bei- dem
Bericht des ihm als wahrheitsliebende Per-
son bekannten und überdies als beeidigter
Meßner-Assistent öffentlichen Glauben ge-
nießenden Dieners gleichwohl bedenklich
den Kopf, sprach von verrückten Hirnge-
spinnsten, von abstrakten Visionen, Prevorst-Unsinn
u. dcrgl. und schenkte dem erschreckten Manne,
dem man übrigens die Wahrheit im Gesicht an-
sah, erst vollen Glauben, als dieser auf Kirchen-
dienst- und Meßnerehre betheuerte, wie er ganz
genau gehört, daß der gräuliche Spuk mit einem
schrecklichen Gepolter begonnen, bald aber in ein
höllisches Getöse ausgeartet und bis vor wenigen
Minuten noch fortgedauert habe. „Es ist keine
Zeit zu verlieren," setzte Böckle drängend hinzu,
„kommen Sie nur mit, Herr Provisor, wir
müssen nach der Sache sehen, die ganze Gemeinde
wird uns dankbar sein!" — „Meinetwegen!" sagte
der Provisor und es klang fast wie ein Seufzer.
Nachdem sich der Herr Provisor in der Eile
vollends angekleidct und mit einem alten Säbel
bewaffnet hatte, welcher seit den einst so schnell
entschwundenen glorreichen Tagen der Bürger-
wehrzeit hinter der Bettlade dem stillen Vergnü-
gen schöner Erinnerungen sich hingab, gingen
beide Männer beim Scheine der Laterne, welche
der beherzte Böckle trug, der bekanntlich keine
Furcht kannte, der Kirche zu, dem Abenteuer ent-
gegen. Vorsichtig schlichen sie längs der Fried-
hofsmauer hin. Auf einmal stutzte der Herr
Provisor, der aufmerksam horchend stehen blieb.
Der unerschrockene Böckle, der jetzt recht zur Un-
zeit eine Anwandlung von Herzklopfen bekam, so daß
§r vor Zittern Stock und Laterne kaum halten
Tonnte, hielt sich, in pflichtmäßiger Erinnerung,
daß er nur eine untergeordnete Person im Kir-
chendienst war, aus schuldigem Respekt vor der
Rangordnung, hart hinter seinem Vorgesetzten.
Dieser aber, das Heldenschwert fest in der Faust,
stand aufrecht und stolz, wie cs einem deutschen
Mann in Noth und Fährlichkeit geziemt. Er
glaubte wirklich von der Kirche her etwas wie
ein Gepolter zu hören. Kurz und bündig be-
fahl er seinem Begleiter, mit der Laterne vor¬

werden. „Vorwärts, Böckle!" ermunterte er die-
sen mit derselben Siegessicherheit, wie einst der
alte Blücher seine Heldenschaaren. „Vorwärts!
Muth! Nur herzhaft voran mit der Laterne,
Schritt vor Schritt, denn wenn ich vorausgeh',
seh' ich nichts! — So, ganz leis und äouoe-
mont!" flüsterte der Herr Provisor, der, vor der
Kirchthür angekommen, jetzt schnell seine Dispo-
sitionen traf. „Vor der Kirchthür," fuhr er ge-
gen seinen Begleiter gewendet mit gedämpfter
Stimme fort, „vor der Kirchthür bleibt Er dann
stehen, Böckle, und rührt sich nicht. Den großen
Kirchthürschlüssel hab' ich schon bei der Hand.
eilder-käthstl.



-tuslösiing de» Lildcr-lläthsel, im dritten heft
Reimr Mu"d und treue Hand
Gehen durch das ganze Land.

Sobald ich aufgeschlossen habe, folgt Er mir auf
dem Fuße nach. Er nimmt dann den Stock,
ich meinen Säbel fest in die Hand, und dann
vorwärts! Drauf, fest drauf los! Hat Er
mich verstanden?" „Gewiß, Herr Provi-
sor!" versetzte der Meßner-Assistent bebend
und stotternd, „ich werde pünktlich Alles
thun, werde Ihnen zur Hölle folgen, wenn's
sein muß, denn Sie wissen ja, ich kenne
keine Furcht nicht ! Verlasse mich aber da-
bei natürlich ganz auf Sie, und hoffe,
daß Sie mich nicht im Stiche lassen!"
Nachdem dieses Schutz- und Trutzbünd-
niß durch echt deutschen Handschlag feier-
lichst besiegelt war, wurde rasch und kühn
auf die Gefahr losgegangen.
Mit jedem Schritt überzeugte sich der
kühne Herr Provisor mehr und mehr, daß
der pflichtgetreue Meßner-Assistent wahr
geredet. Das stille Gotteshaus schien sich
wirklich in einen Lärm- und Tummelplatz,
in eine nächtliche Turnhalle verwandelt zu
haben, denn es polterte im Innern der
Kirche so entsetzlich, daß es auch dem ge-
wiß beherzten Herrn Provisor, der in be-
wegter Zeit das Schwert mit Ehren ge-
tragen, ein wenig kühl den dürren Rücken
hinauflief.
Lautlos langten die beiden Helden hart
vor der Kirchthür an. Mit zitternder Hand
schneuzte Blöckle das Licht in der Laterne,
welches im entscheidenden Augenblicke zu
erlöschen drohte, und seufzend wischte er
in der Eile mit dem Aermel seiner Jacke
die Gläser der Laterne ab, welche etwas
angelaufen waren. Dann ließ er den
Strahl des Lichts auf das Schlüsselloch fallen,
das er nur mit Mühe sand. Inzwischen nahm
der Herr Provisor eine stärkende Prise und steckte
den Schlüssel so geräuschlos als möglich in's
Schloß. Nach etlichem Drehen öffnet sich das-
selbe, die Thür dreht sich ächzend in den schwe-
ren Angeln-ein entsetzlicher Stoß erfolgt
von innen — eine schwarze gehörnte Bestie
stürmt schnaubend und funkensprühend daher und
zwischen die gespreizten Beine des zum Tod er-
schrockenen kühnen Provisors und rast mit diesem
mehrere Schritte im Galopp davon. „Böckle!
Böckle! O je! Er hat mich! Hilf!" stieß der
Unglückliche hervor, aber Böckle hörte den Jam-
merruf nicht, er hatte, nachdem die Laterne von
dem grausigen Anprall erlöscht und weit weg-
geflogen war, eilig sein Heil in der Flucht ge-
sucht, aber schon nach wenigen Schritten hatten
ihm seine Kniee den Dienst versagt, und er war
zwischen zwei Gräbern in Ohnmacht gesunken, wo
er einige Zeit betäubt liegen blieb, bis ihn einige
derbe Stöße und eine rauhe Zunge, die sein kal-
tes Gesicht leckte, wieder zum Bewußtsein brachten.
Mit Staunen sah er, daß es sein eigener Zie-
genbock war, welcher ihm diesen Liebesdienst er-
wies. Das muthwillige Thier war von dem
fetten Futter des Kirchhofs, wo es den ganzen
Tag über in Hoffährtiger Ueppigkeit gegrast, über-
müthig geworden und so verwegen und frech
gewesen, sich beim Abendläuten durch die offene
Thüre in die Kirche zu schleichen, wo cs, sich
bald eingeschloffen sehend, einen so gottlosen
Spektakel verführte, bis die Kühnheit seines Brod-
Herrn und des Herrn Provisors es aus der Ge-
fangenschaft befreite.
Der Provisor zog von da an nie mehr bei
Nacht auf Heldenthaten aus.
 
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