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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 9
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0266
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260 <Z»-

Zug, der um die Mundwinkel spielte, Kunde
davon gaben, wie der Mann heiterem Lebensge-
nuß keineswegs abgeneigt war.
Der Fremde hatte das Dorf Laubach er-
reicht. Feierliche Glockenklänge schallten ihm
von dem Thurm der Kirche entgegen. Es war
die Stunde des Kirchganges. Der Fremde warf
einen aufmerksamen Blick auf die Reihen der
znm Gotteshause Wallenden. Es waren fast
nur Weiber und Kinder, die ihm begegneten —
Männer fand er nur wenige unter den Kirchen-
gängern. Seine Augen blickten finsterer, und
mit dem spanischen Rohre, das er in der Rech-
ten trug, heftig auf den Boden stoßend, ging
er rascher weiter. Er schritt dem Kruge des
Dorfschulzen Kaspar Kassebom zu, der, an der
Hauptstraße des Dorfes liegend, sofort an einem
großen himmelblauen hölzernen Schilde kennt-
lich war, auf dem ein gefülltes Schnapsglas
gar sauber gemalt stand, und unter dem die
Firma des Wirthshauscs: „Zum letzten Heller
bei Kaspar Kassebom" in goldig glänzenden
Buchstaben prangte. Der Mann betrat den Krug
und begab sich, über die Diele schreitend, in
die straßcnwärts belegens Gaststube, in der er
den Wirth, einen kleinen behenden Kerl, der
eben mit dem Spülen von Flaschen und Glä-
sern beschäftigt war, vorfand. Beim Erblicken
des Fremden unterbrach der Wirth sofort seine
Arbeit, trocknete sich die Hände und begrüßte
den Gast mit einer tiefen Verbeugung und einem
gehörigen Kratzfüße.
„Was steht dem Herrn zu Diensten?" fragte
er dann, beide Hände reibend.
„Besorge Er mir ein Glas Schnaps!" be-
fahl der Fremde.
„Schnaps! — So — oh!" Der Wirth
schien auf eine andere Bestellung gerechnet zu
haben. „Ich bin auch zum Weinschank von
hohem herzoglichen Amte concessionirt," wandte
er höflichen Tones ein, „und führe eine vortreff-
liche Sorte, welche ich dem Herrn aus voller
Ueberzeugung empfehlen kann — noch aus dem
Komctenjahrc 68. Sollte der Herr nicht ein
Fläschchen von meinem Rothen verziehen?" schloß
er schmunzelnd seine Rede.
„Nein," entgegnete der Gast barsch, „ich
wünsche ein Glas Schnaps."
„Auch gut," sprach Kaspar Kassebom devot.
„Wie der Herr befehlen. Darf ich Euch bitten,
mir zu folgen."
„Wohin?"
„Nun in die Honoratioren-Gaststube."
„Ich bleibe hier!"
„Oh — das geht wohl nicht gut an,"
wandte der höfliche Wirth ein. „Dies hier ist
die allgemeine Gaststube, in der Alles und Jedes
zusammenkommt, Hinz und Kunz, Bauern und
Fuhrleute, Kesselflicker und —"
„Einerlei, ich bleibe hier," fiel der Gast
kurz ein. „Besorge Er mir jetzt endlich mein
Glas Schnaps.«
In der Stimme des Fremden lag etwas so
Gebietendes, daß Kapsar Kassebom sich weitern
Widerspruch oder Einwand nicht erlauben mochte.
„Sonderbarer Kerl," brummte er für sich
und ging an den Schrank, in dem die verschie-
denen Schnapssorten in dickbäuchigen Flaschen
ausbewahrt wurden.
„Welche Sorte befiehlt der Herr? Wachhol-
der, Pfeffermünz, Pomeranzen oder Nordhäuser?"
fragte er dann.
„Gebe Er mir einen Nordhäuser!"
„Schön! — Hier! Ein prächtiger Trank!
Was? Klar wie die Sonne! Nicht?"

„Stelle Er das Glas dahin," befahl der
Fremde in seiner kurzen Weise.
Der Wirth leistete dem Befehle Folge. Eine
Pause entstand. Kaspar Kassebom kehrte zu dem
vorhin unterbrochenen Geschäft des Flaschen-
und Gläserspülens zurück, und der Fremde unter-
zog die Gaststube einer näheren Musterung.
„Der Herr sind wohl ans einer Reise be-
griffen?" nahm der Wirth nach einer kleinen
Weile das Gespräch wieder auf.
„Allerdings!"
„Der Herr reisen wohl nicht in Geschäften,
sondern nur zum Vergnügen? Was?"
„Das wird sich finden!"
„Wird sich finden! So, so! Ei, ei! Ver-
stehe ich nicht!"
„Ist auch nicht vonnöthen!"
Wiederum entstand eine Pause. Diesmal
ward dieselbe von dem Gaste unterbrochen.
„Hat er reichlich Zuspruch hier in seinem
Kruge?" fragte er den Wirth. „Nährt der-
selbe seinen Mann?"
„Und ob!" entgegnete der Wirth, sich in die
Brust werfend. „Der Krug des Kaspar Kassebom,
noch mehr aber sein Schnaps sind berühmt drei
Meilen im Umkreise. Das geht hier lustig zu
von Morgens früh bis Abends spät. Mein
Haus ist fast keine Stunde des Tages über von
Gästen leer, Sonntags wie alle Tage. Solch 'nen
Krug, wie meinen, gibt's keinen zweiten im
Herzogthum!"
„Des Sonntags besuchen die Gäste ihn doch
nur des Nachmittags nach beendigtem Gottes-
dienste? Während desselben bleiben dieselben
seinem Kruge doch fern? Was?" fragte der
Fremde, einen durchdringenden Blick auf den
Wirth werfend.
„Fällt Keinem ein," entgegnete dieser über-
müthig. „Der Herr sollen das bald gewahr-
werden. Wenn's zum letztenmal geläutet hat,
dann werden meine Gäste auch schon hier sein."
„Aber darf Er denn während der Stunden
des Gottesdienstes Schnaps ausschenken? Mei-
nes Wissens verbietet dies ja eine herzogliche
Verordnung?" wandte der Fremde ein.
„Hahaha, herzogliche Verordnung! Wie
kommt Ihr mir vor? Wer scheert sich darum!"
lachte der Wirth höhnisch.
„Nun, Er mag sich darum vielleicht nicht
schecren! Aber was sagt denn der Schulze dazu ?"
fragte der Fremde.
„Der scheert sich erst recht nicht darum! Der
Schulze bin ich selbst, muß Er wissen!"
„Ah deßhalb!"
„Jawohl, deßhalb!"
„Es geht doch Alles natürlich zu in der
Welt," meinte der Fremde. „Doch was sagt
denn das Amt zu der Gesetzwidrigkeit?"
„Das sagt nichts dazu! Denn der Vogt,
seht, der trinkt selbst gern einen, womöglich
auch mehrere, Notabene, wenn's ihm nichts
kostet, und das kann er bei mir haben. Den
wollte ich schön ansehen, wenn er mir mit her-
zoglichen Verordnungen kommen wollte. Und
was endlich unseren dicken Amtshanptmann an-
geht, so ist's dem schon völlig einerlei, ob die
Bauern in die Kirche oder in den Krug gehen.
Wenn ihn nur keiner stört — er stört schon
längst keinen."
Der Fremde, in dessen Zügen bei der Er-
zählung des aufrichtigen Wirths eine tiefe Er-
regung sichtbar geworden, wollte etwas entgeg-
nen, doch kam er nicht dazu, denn in demselben
Augenblick ward die Thür der Gaststube hastig
anfgcrissen und an die zwanzig Bauern drangen

mit Lärmen und Lachen in letztere ein. Sie
warfen wohl einen kurzen Blick, in dem fast
etwas wie Verwunderung zu lesen war, auf den
Fremden, nahmen aber im übrigen wenig Notiz
von ihm. An demselben Tische, hinter dem jener
sich niedergelassen und der gerade ansreichte,
daß sämmtliche anwesende Gäste ein Unterkom-
men daran finden konnten, nahmen auch sie
Platz. Die Tafelrunde ward dadurch geschlossen.
Weitere Gäste konnten an dem Tische nicht Platz
finden. Kaum hatten sich die Bauern niederge- '
lassen, als sie auch schon ungestüm von Kaspar
Kassebom Schnaps forderten. Der aufmerksame
Wirth beeilte sich, solchen Wünschen sofort ge-
recht zu werden, und das Gelage war bald in
vollem Gange. Auch die Unterhaltung, welche
bislang nur die einzelnen Tischnachbarn mit ein-
ander geführt, ward eine allgemeinere.
„Was hast Du denn nut Deinem Ange ge-
macht, Lemke?" fragte einer der Gäste einen
dicht bei dem Fremden sitzenden dickköpfigen,
breitschultrigen Kerl, dessen kolbige Nase im tief-
sten Viylet erglänzte, indeß sein linkes Auge
mit einer starken Geschwulst umsäumt war, das
rechte aber sehr verschwommen in die Welt blickte.
„Hast Du mit Deiner Alten wieder 'mal Skan-
dal gehabt? Was?"
„Hab' ich!" entgegnete Jener mit sehr beleg-
ter Stimme. „Hat der Schwarzrock schuld. Der
Bonze ist gestern Abend wieder bei meiner Alten
gewesen, hat sie trösten wollen — meinetwegen,
der dumme Kerl! Setzt meinem braven Weibe
damit nur Raupen in den Kopf! Als ich nun
gestern Abend, oder vielmehr heute Morgen" —
sein Mund verzog sich zu einem breiten Grin-
sen — „fröhlich und heiteren Herzens heimge-
kehrt bin, hat die Alte mit mir zu krakehlen
begonnen, und da sind wir denn ein wenig an
einander gerathen. Sie ist mit 'ner geschwolle-
nen Nase, ich mit 'nem geschwollenen Auge zu
Bett gegangen. So kann's 'nem braven Gatten
und treuen Hausvater ergehen, kann es! Prost,
Nachbar!"
„Du hattest aber gestern auch riesig einen
genommen, Du und der Heinrich Bente," meinte
ein anderer Gast. „Möchte wissen, wie ihr
Beiden hcimgekommen seid? Hat den Bente Einer
von euch heute Morgen schon gesehen? Dem ist
doch kein Unglück passirt? Was?"
„O ne," entgegnete ein Dritter. „Ich und
Klinge haben ihn zu Hanse gebracht! War aber
weiß Gott ein Stück Arbeit! Der Bengel war
höllisch dicke."
„Ja, ja," meinte der mit dem geschwollenen
Auge, indem er sein großes, bis an den Rand
gefülltes Schnapsglas mit einem Zuge hinab-
kippte, „der Junge kann nichts vertragen, den
reißen schon drei Kannen um! Muß noch lernen!
"Kassebom, noch 'en lütjen!"
In dieser Weise ward das Gespräch eine
Weile fortgeführt. Der Fremde war stummer
Zuhörer desselben. Sonderliche Freude bereitete
ihm dasselbe indeß anscheinend nicht, denn sein
Blick ward nach und nach ein immer finsterer,
und seine Stirne begann sich in tiefe Falten
zu legen.
In der Gaststube ward's von Minute zu
Minute lauter. Wie auf 'ner Kirchweih ging's
einher. Der Lärm war bald so laut, daß
Keiner sein eigen Wort mehr verstehen konnte.
Die Bauern lachten, johlten, sangen, tranken
und trieben allerhand Kurzweil. Die einzig
Ruhigen und Vernünftigen in der Stube waren
nach Kurzem nur noch der Fremde und der
biedere Wirth Kaspar Kassebom, der alle Hände
 
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