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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 21.1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.48816#0055
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56

„Wer hätte das geahnt, als ich in glücklichster
Stimmung von Hanse fortritt," bemerkte Demetrius
bitter, als der Pastor eine Pause eintretcn ließ, „nein,
ich kann nicht glauben, daß mein Vater mit dem Plan
einer Trennung umgeht, wie Sie eine solche andeuten."
„Weil Sie seine Beweggründe nicht kennen. Hören
Sie aufmerksam zu, damit kein Schatten zwischen uns
schwebe, wir nach wie vor uns gegenseitig ungetrübten
Blickes in die Augen schauen mögen.
Als Sie zum ersten Male mein Haus betraten,
war Priscilla noch Kind. Es hinderte Euch daher
nichts, obwohl Ihr beiden Burschen so viel älter, Euren
kindlichen Spielen, Zänkereien und Versöhnungsscenen
nach Herzenslust obzuliegen. Unmerklich wurden die
beiden Jünglinge Männer, unmerklich erblühte Pris-
cilla zu einer Jungfrau, wohl geeignet, einem heiß-
blütigen Burschen den Verstand zu umnebeln. In
Eurem geschwisterlichen Verkehr bereitetet Ihr Drei
uns mancherlei Freude, und in erhöhten: Grade, weil
nichts darauf hindeutete, daß das geschwisterliche Ver-
hültniß einen anderen Charakter hätte annehmen können.
Doch wenn wir darüber vollständig beruhigt waren
und noch sind, so ist nicht zu erwarten, daß Diejenigen,
die von dem auffallend schönen Mädchen und Ihren
regelmäßigen Besuchen hier hören, ebenfalls ein wahres
Bild von der Sachlage gewinnen, und so wäre es
natürlich, wenn Ihr Vater Ereignissen vorzubeugen
trachtete, welche er für unersprießlich hält. Und nun
entscheiden Sie selbst, mein theurer Demetrius, wenn
Jemand Befürchtungen in dieser Hinsicht hegt und eine
Trennung herbeizuführen sucht, ob es da nicht Pflicht
der anderen Partei ist, den deutlich erkennbaren Wün-
schen entgegenzukommen, anstatt durch Säumniß irgend
einen bösen Schein gegen sich hcrauszufordern?"
„Es ist unmöglich, niemes Vaters Berechnungen
können nicht so weit gehen," antwortete Demetrius
leidenschaftlich. „Bin ich doch kein Kind, welches auf
Schritt und Tritt überwacht zu werden braucht. Wäre
ich aber glücklich genug, eines Tages mit Priscilla vor
meinen Vater hintreten, zu ihm sprechen zu dürfen:
,Hicr bringe ich Dir eine Tochter/ so würde er nimmer-
mehr zwischen uns treten — nein, ich traue es ihm
nicht zu. Geschähe es dennoch, nun, so stände Die-
jenige, die entschlossen ist, des Lebens Freud und Leid
mit mir zu theilen, mir näher, als meine Eltern."
Bei dieser ungestümen Erklärung, welche einen
allerdings noch schlummernden starren Willen verrietst,
erschrak der Pastor sichtlich. Doch in der Besorgniß,
durch eine sofortige Erwiederung den drohenden Geist
des Widerspruchs noch mehr aufzustacheln, sah er nach-
denklich vor sich nieder. So schritten sie eine Weile
schweigend einher.
„Sie sprechen unbesonnen," hob der Pastor endlich
wieder an, „in Ihnen wohnt eben noch zu viel von
jener Ueberzcugung, Himmel und Erde im muthigcn
Ansturm besiegen zu können. Aber ich wiederhole, Ihr
Vater ist ein angesehener Herr und Edelmann, dem es
Wohl gebührt, in seiner Familie als das entscheidende
Oberhaupt betrachtet zu werden. Die von ihm erzielten
Erfolge sind ebenso viele Beweise für die Schärfe seines
Verstandes und berechtigen ihn gewiß, seinem Urtheil
Geltung zu verschaffen, seine und der Seinigen Zukunft
im eigenen Sinne zu gestalten. Er ist daher auch in
seinem Recht, wenn er der Vereinigung seines Sohnes
mit einer jungen, ich möchte fast sagen namenlosen
armen Waise vorzubeugen trachtet."
„Was gedenken Sie also zu bestimmens" fragte
Demetrius wie im Traum.
„Ich bestimme nichts. Dagegen richte ich als auf-
richtiger Freund die Bitte an Sie, den Wünschen Ihres
Vaters Rechnung zu tragen. Zugleich aber halten Sie
an der Ueberzeugung fest, daß sich in den sonstigen,
auf herzliche Zuneigung begründeten Verhältnissen nichts
zwischen uns ändert."
„Mit anderen Worten: Sie verbieten mir Ihr
Haus?" fuhr Demetrius leidenschaftlich auf.
„Ruhig, ruhig," ermahnte der Pastor und in seiner
Stimme offenbarte sich, wie schwer ihm seine Aufgabe
wurde, „vermeiden Sie Worte, von welchen Sie vor-
aussetzen müssen, daß sie mich schmerzlich berühren.
Und ich erfülle in der That nur eine unabweisbare
Pflicht, indem ich Ihnen dringend rathe, Ihres Vaters
Willen allein als Richtschnur zu betrachten."
„Auch wenn ich die Ueberzeugung hege, daß es zu
meinem Glück nicht beiträgt?"
„Die Eltern haben stets das Beste ihrer Kinder
im Auge."
„Vielleicht nach ihren Begriffen. Denn um das
mit Zuversicht behaupten zu dürfen, müßten sie das
Denken und Trachten der Kinder zu dein ihrigen machen
können. Sie berechnen deren Glück von ihren: Stand-
punkte aus; mein Vater verfügt über das meinige als
starrer Kaufmann und erwartet, daß ich mich einem
Berufe hingebe, der mich geradezu anwidert."
„Vergessen Sie nicht," wendete der hochwürdige
Nathanael milde ein, „daß die Väter in: Allgemeinen
ihre Söhne besser kennen, als diese sich selbst."
„Und darauf hin soll ich mich wie ein Blinder in

Das Buch für Alle.
meinen Bewegungen lenken lassen? Nein, Herr Pastor, !
nimmermehr kann das ernstlich von mir gefordert werden. I
Wenn Sie bisher als Geistlicher spräche::, der nur Güte
und Nachsicht kennt, nur zur Eintracht und zum Frieden
ermahnt, die Kindespflichten in allen Fällen obenan stellt,
so frage ich Sie jetzt als lieben väterlichen Freund, von
dem ich weiß, daß aufopfernde Treue in seiner Brust
wohnt: wenn ich um den Preis, Priscilla heimzu-
führen — und ich beging nichts in meinem Leben, was
mich eines solchen Glückes unwerth machte — ich wieder-
hole, wenn ich um solchen Preis Ehre, Rang, Reich-
thum, Eltern, Alles, Alles mit Freuden von mir stieße?
Wenn ich, fußend auf das, was ich mir an Kennt-
nissen erwarb, also mit eigenen Kräften mir eine aus-
kömmliche Lebensstellung schaffte und dann um Pris-
cillas Hand anhielte, würde darin etwa mehr zu suchen
sein, als ein Schritt, welchen zu thun jeden: von ehren-
haften Absichten getragenen Manne freisteht?"
Der Pfarrer war stehen geblieben. Auf seinem
Antlitz ruhte der Ausdruck des Schreckens, während aus
seinen Augen eine seltsame, gegen Verlegenheit käm-
pfende Wehmuth lugte. Dann setzte er sich wieder in
Bewegung, das Haupt geneigt und unbewußt mit ge-
räuschvollen Zügen die vernachlässigte Pfeife zu frischem
Glimmen anfachend. Auch Demetrius sah vor sich
nieder. Er bereute, seine Leidenschaftlichkeit nicht mehr
in Schranken gehalten zu haben.
Nach einer längeren Panse hob der alte Herr wie-
der mit feierlichem Ernste an: „Demetrius, ich hoffe,
Sie mißverstanden zu haben, oder daß Sie in dem
dumpfen Gefühl gekränkten männlichen Selbstbcwußt-
seins sich zu weit fortreißen ließen."
„Nein, Herr Pastor," antwortete Demetrius nun-
mehr ruhig, „wenn Sie verstanden, daß ich durch meine
Neigung mich unauflöslich an Priscilla gekettet fühle,
so waltet kein Jrrtstum, und ich stehe nicht an, heilig
zu bethcuern, daß meine Neigung zu Priscilla eine so
ernste und treue ist, wie nur je eine, auf der ein dauern-
des Glück aufgebaut wurde. Keine Macht der Erde
soll mich abhalten, mit allen mir zu Gebote stehenden
Mitteln nach Priscillccks Besitz zu streben."
Wiederum sah der Pfarrer grübelnd vor sich nie-
der. Sein Antlitz, eben noch erregt, erhielt mehr und
mehr einen Ausdruck tiefer Traurigkeit, welche De-
metrius mehr beunruhigte, als es durch herbe Zurecht-
weisungen hätte geschehen können. Plötzlich blieb er
stehen, und den jungen Mann fest anschauend, sprach
er feierlich: „Ich achte Ihre Aufrichtigkeit und hoffe,
daß es nie anders werden möge. Wenn Sie indessen
mit so viel Zuversicht über Ihre Pläne und Empfin-
dungen sich äußern, so müssen Sie nothgcdrungen etwas
besitzen, worauf Sie fußen. Demetrius, antworten
Sie als ein ehrlicher Mann: sprachen Sie je zu Pris-
cilla darüber? Haben Sie schon die Saat zur Stö-
rung des Seelenfriedens in der jungen unschuldigen
Brust ausgcstreut?"
„Hätte ich es gethan, wäre es vielleicht besser," er-
klärte Demetrius finster, „vielleicht hätte sie dann ihre
Vorstellungen mit den meinigen geeinigt. So aber
muß ich bekennen, daß ich nie ein Wort an sie verlor,
welches als der wahre Ausdruck meiner Hoffnungen
hätte gedeutet werden können."
Der Pastor seufzte erleichtert auf.
„So frage ich Sie," sprach er weiter, „mit welchem
Rechte erheben Sie Ansprüche, so lange Sie nicht wissen,
ob Priscilla damit einverstanden? Und bei einem Ge-
müth, wie das ihre, gehört mehr dazu, als eine immer-
hin herzliche Freundschaft, um sich einen: Manne zu
eigen zu geben."
„Was ich wissen wollte, sagte mir mein eigenes
Gefühl, las ich aus ihren Augen, aus ihrem Antlitz,
aus ihrem ganzen Wesen," versetzte Demetrius über-
zeugend. „Säumte ich aber mit einer offene:: Erklä-
rung, so geschah eS, weil ich im gewohnten Verkehr
nut ihr, in der Bewahrung meines Geheimnisses vor-
läufige Befriedigung fand. In der Zuversicht, daß sie
mir nie geraubt werden könne, sollte die entscheidende
Frage erst dann zur Lösung gelangen, wenn ich, nach
Einigung mit meinem Vater, mir erst eine Stellung
begründet haben würde."
„Anderes erwartete ich nicht zu hören," erklärte
der Pfarrer nunmehr freier, „und es ist also noch nicht
zu spät. Denn erfahren Sie: Selbst wenn Ihr Vater
sich über alle Vorurtheile hinwegsetzte, wenn er Pris-
cilla als Tochter willkommen hieße, so würde an eine
Verbindung zwischen Euch nie gedacht werden können.
Sie blicken bestürzt, entrüstet, und doch sage ich nicht
mehr, als mir von meinem Gewissen vorgcschriebcn
wird. Und so vertraue ich Ihnen, wenn auch nut
Widerstreben an: Priscilla's Herkommen ist in den
niedrigsten Volksschichten zu suchen. Es besteht also
zwischen Euch Beiden eine Kluft, die nie überbrückt
werden kann, es geschähe denn auf die Gefahr hin,
daß bittere Reue den: unbesonnenen Schritt folgte."
Trotzig warf Demetrius sich in die Brust und fast höh-
nisch klang seine Stimme, indem er erwiederte: „Glau-
ben Sie wirklich, durch solche Gründe meinen Entschluß
zu erschüttern? Herr Pastor, mit aller Ehrerbietung

. Hrft 3.
vor meinem väterlichen Freunde spreche ich cs ans:
das müßte eine cigenthümliche Liebe sein, die sich durch
solche Einwände beeinflussen ließe. Mag Priscilla's
früheste Kindheit liegen, wo sie wolle, und wäre sie
auf der Straße gefunden worden, mich sollte das nicht
hindern, mit allen Fasern meines Daseins um ihren
Besitz zu kämpfen. Priscilla ist mein guter Genius,
mein Sehnen, mein Hoffen, ich lasse nicht von ihr."
„Wir sind mit unserer Unterhaltung wohl etwas
auf Abwege gerathen," versetzte der alte Herr nunmehr
bedächtig, „wir gingen von den Ursachen aus, welche
eine Einschränkung Ihrer regelmäßigen Besuche hier
bedinge::, und darauf müssen wir zurückkommen. Was
darüber hinausreicht, kann zwischen uns nicht erörtert
werden. Lassen Sie Jahr und Tag darüber hingchen,
Prüfen Sie sich unterdessen streng, und ich weiß, Sie
werden anders, verständiger urtheilcn."
„Ich soll den einzigen Ort meiden, an dem ich
mich glücklich fühle?" fragte Demetrius bitter.
„Nur die regelmäßigen Besuche unterlassen," er-
klärte der Pastor tröstlich, „dagegen bleibt Ihnen un-
verwehrt, sich gelegentlich von unserer Aller unverän-
derten Gesinnungen zu überzeugen." Er reichte De-
metrius die Hand. „Und nun noch einen Rath, eine
Bitte. Wenn wir uns den Meinigen wieder zugesellen,
so beherrschen Sie sich. Verrathen Sie so wenig wie
möglich durch Wesen und Mienen den Charakter un-
seres Gespräches. Denken Sie, ich sei ein Arzt ge-
wesen, der Ihnen eine zwar bittere, jedoch heilsame
Arznei reichte."
- Demetrius antwortete nicht. Der Pastor, seine
Stimmung berücksichtigend, gönnte ihm gern Zeit und
Gelegenheit, sich einigermaßen zu sammeln und auf
den Verkehr mit den übrigen Familienmitgliedern vor-
zubereiten.
Schweigend wandelten sie noch einmal um den
ganzen Garten herum. Als sie wieder in der Nähe
des Hauses eintrafen, ergriff Demetrius die Hand sei-
nes väterlichen Freundes.
„Gewiß war es eine bittere Arznei," sprach er mit
einer Heiterkeit, die zu lebhaft für den wahren Aus-
druck seiner Empfindungen, „ob aber heilsam in Ihrem
Sinne, ist fraglich. Für mich in so weit heilsam, daß
ich weiß, woran ich bin. Was Sie von nur forderten,
sage ich mit Freuden zu. Nicht einmal Bernhard soll
erfahren, was ich über mich ergehen lassen mußte."
Sie bogen um die Hausecke herum. Auf der Bank
neben der Thüre saß die Frau Pastorin und Bern-
hard. In demselben Augenblicke erschien Priscilla in der
Thüre. Flüchtig schweifte ihr Prüfender Blick zwischen
dem Pfarrer und Demetrius hin und her, und heiteren
Antlitzes erklärte sie, daß man gerade zur rechten Zeit
komme. Aber aus ihren klugen, glanzvollen Augen
sprach verstohlen heimliche Besorgniß.
Bei dem ferneren Beisammensein standen anfänglich
Alle mehr oder minder unter der Herrschaft einer ge-
wissen Befangenheit. Allmählig aber trat die gewohnte
Heiterkeit wieder in ihre vollen Rechte ein. Doch früher
als an sonstigen Tagen rüstete Demetrius sich zur
Heimkehr. Es geschah unter dem Vorwande, von
seiner Mutter erwartet zu Werden.
Mit einen: fröhlichen: „Auf baldiges Wiedersehen!"
warf er sich in den Sattel; dann drückte er dein Pferde
die Sporen in die Weichen und den Hut um's Haupt
schwingend galopirte er davon.
Selbigen Abends schrieb der Pfarrer noch einen
laugen Brief. Als er ihn folgenden Tages in der
Frühe über den Gartenzaun hinweg den: zur bestimm-
ten Stunde vorüberkommenden Postboten einhändigte,
las er zuvor noch einmal die Aufschrift.
„An Herrn Barnabas Rostig, genannt Kapitain
Eisenfinger." Es war jener Brief, welcher die lebhafte
Berathung zwischen seinem Bruder und der Frau Par-
chend zur Folge hatte.
Siebentes Aaxitel.
Väterliche Bestimmungen.
Wie an: vorhergehenden Tage und genau zu der-
selben Stunde befand der geheime Kommerzienrat!)
von Kohlgart sich einsam in seinem Arbeitszimmer. Vor
ihm auf den: Tisch lag ausgebreitet der Tags zuvor-
empfangene Bries seines Sohnes. Seit sieben oder
acht Minuten erwartete er denselben; ob mit Ungeduld
oder Gleichmut!;, hätte schwerlich Jemand aus seinen
verschlossenen Zügen herausgelesen. Demetrius dagegen,
obwohl eines Versäumnisses sich bewußt, eilte noch nicht.
Vielleicht daß heimliche Scheu ihn veranlaßte, zu-
vor in den Kassenraun: einzutreten und seinen Freund
Eulenberg über die Stimmung des Vaters und die Ursache
auszufragen, wcgen deren er zu ihm beschieden worden.
„Guten Tag, Comptoireule," redete er den alten
Herrn leise an, indem er sich neben ihn an das Pult
drängte und die Blicke auf das geöffnete Kassenbuch
senkte.
„Schlingel, wer erlaubt Dir, mit mir zu sprechen,
wie mit Deines Gleichen?" knurrte Eulcnberg, ohne
aufznsehcn.
 
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