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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 21.1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.48816#0477
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Alltorrechte Vorbehalten.




Neber und unter Tage.
Ober schlesische Bergmanns-Novelle
von
A. Oskar Manßmann.
1. (Nachdruck verboten.)
itten in dem ungeheuren Tannenforst, der
viele Ouadratmeilen bedeckt, und in seinem
Innern noch unerschlossenen Urwald auf-
weisen kann, befindet sich ein mächtiger
Aushieb, und auf diesem liegt ein großes
Bergwerks-Etablissement: Die Gertrud-
grube.
Wer der Chaussee gefolgt ist, die sich, dem
Terrain sich anschmiegend, schnurgerade durch
den rauschenden Forst dahinzieht, ist überrascht,
hier mitten in der Einsamkeit des Waldes auf
ein industrielles Werk größter Ausdehnung zu
stoßen.
Hier stehen die mächtigen Gebäude für
die Wasserhaltungsmaschinen, die Riesen-
pumpen, die aus der „Teufe"' die unter-
irdischen Wasser herausheben, dort die För-
dermaschinen über den Schächten, aus denen
sie, zischend und pustend, unermüdet die
Steinkohlen, die „schwarzen Diamanten"
herausfördern, und die thurmartigen Auf-
bauten, in denen sich diese Maschinen befin-
den, geben dem ganzen Bilde einen eigen-
artigen Charakter.
Richt weit ab liegt das große Gebäude,
welches die Kanzleien der Oberbeamten, die
Schichtmeisterei, die technischen und Rechnungs-
bureaux enthält, und links drüben, hart am
Rande des Waldes, stehen in dicht gedräng-
ten Reihen die Gebäude der Arbeiterkolonie.
Letztere besteht aus ungefähr dreißig für je
vier Familien eingerichteten, einstöckigen Häu-
sern, die so peinlich gleichmäßig gebaut sind,
daß der Unkundige eines von den anderen
schwerlich würde unterscheiden können.
Am entgegengesetzten Ende des Aushiebs
erheben sich einige villenartige Gebäude, die
Beamtenwohnungen enthaltend, von denen
besonders das letzte durch den Prächtigen
blumenreichen Garten auffällt, der es umgibt.
Bis dorthin dringt nur gedämpft das
Arbeitsgeräusch des Werkes, das Fauchen
und Stampfen der Dampfmaschinen, das
Klappern der kleinen vierräderigen Förder-
wagen auf der schmalspurigen Schienenbahn.
Im ersten Stock der Hinterfront dieses
Hauses waren die Fenster geöffnet, um unge-
hindert den Frühlingsdust des nahen Waldes
bis in das Krankenzimmer dringen zu lassen,
in dem die Frau mit dem wachsbleichen
Gesichte in den Kissen des Bettes lag.
Sie strich mit der mageren, durchsichtigen

„Aber Tante Elisabeth, ich beschwöre Dich, sprich
nicht so!" rief Mazda, in Thränen ausbrechend.
„Mein Kind, es muß einmal darüber gesprochen
werden, wenn es vielleicht in Deinem unschuldigen,
liebevollen Herzen auch schmerzliche Gefühle hervorruft.
Ich mache mir Vorwürfe, daß ich Deine Jugend gleich-
sam an meine Krankheit gekettet und Dich mit mir
unglücklich gemacht habe. Allerdings, ich ahnte ja
nicht, welche Prüfung mir der Himmel auserlcgcn
wollte, und in den ersten Jahren durfte und konnte ich
auf Genesung hoffen. Als ich aber einsah, daß nur
der Tod mich von meiner Krankheit befreien kann, daß
nur das Ende dieses Lebens, das zu nichts nützt und
nur Anderen zur Last ist, mich erlösen wird — laß
mich ausreden mein Kind — da hätte ich den Muth
haben sollen, Dich von mir zu senden, denn
Deine Zukunft steht auf dem Spiele, und ich
trage die Verantwortung dafür. Du mußtest
hinaus in die Welt."
„Nein, nein, Tante, niemals! Ich fürchte
mich vor diesem Leben da draußen. Es
ängstigt mich schon der Gedanke daran, fort
zu müssen von hier, von Dir, wo mein Platz
ist, und wo ich bleiben will, ohne diese
,Welll kennen zu lernen. Nein, nein, ich
sürchte mich vor ihr!"
„Närrchen, Du fürchtest Dich, weil Du
die Welt nicht kennst. O, glaube mir, sie
ist schön!" — ein Seufzer entrang sich der
Brust der Kranken — „und schon die Erin-
nerung an ihre Freuden kann selbst den
Elendesten noch aufrichten. Wenn ich Nachts
schlaflos auf-meinem Marterbette hier liege
und Stille im Hause und nm dasselbe herrscht,
dann klingt es mir aus dem Rauschen des
Waldes dort drüben wie Ballmusik und
Jugendlust, Erinnerungen umschweben mich
an die goldenen Tage der Jugend und des
Glücks, und indem kurzen Schlummer, der
mich gegen Morgen erquickt, gaukelt mir der
Traum Gesundheit und Lebensglück vor, bis
ich wieder erwache als die elende, hoffnungs-
lose Kranke. Nein, nein, Du sollst nicht um
die Lebensfreuden kommen, die Du fürchtest,
weil Du sie nicht kennst. Du wirst diesen
Sommer an den kleinen gesellschaftlichen Ver-
gnügungen hier Theil nehmen und im Winter
nach Breslau zu meiner Freundin geschickt
werden, damit Dich diese in die Gesellschaft
einführt. Nein, nein, schüttle nicht den Kopf,
ich habe mir Alles Wohl überlegt. Du nncht
fort in Deinem Interesse und zu meiner
Beruhigung. Oder glaubst Du, hier an diesem
Krankenbette, hier in diesem Hause der Trüb-
sal, das kauni einen Besuch empfängt, hier
mitten in diesem Walde werde Dich ein Mann
finden, der Deiner würdig ist?"
„Aber Tante! Ein Mann? Ich bitte
Dich
„Ja, ein Mann, der Dich liebt und der
Dich als sein Weib heimführt. Lächle nicht,

Hand über den braunen Scheitel eines vielleicht acht-
zehnjährigen Mädchens, das neben dem Bette saß und
seinen Kopf zu der Kranken herabgebeugt hatte.
„Wie soll ich Dir danken, Mazda, für Deine Liebe
und Aufopferung —"
„O bitte, Tante, sprich nicht so, Du zerreißest mir
das Herz," unterbrach Mazda die Leidende und drückte
deren Hand an die Lippen, „ich bin es, die Dir zu
danken hab Bist Du mir nicht Mutter geworden, mir,
der Verlassenen und Verwaisten?"
„Es war eine traurige Mutterschaft für mich und
für Dich. In den zehn Jahren meiner Krankheit, die
ich in diesem Bette verbracht, habe ich gleichzeitig auch
Dich an diese Krankenstube gefesselt und Dich um alle
Freuden der Kindheit und der Jugend betrogen."

Magenstiirkimg. Nach einem Gemälde von W. Löwit h. (S. 486)
 
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