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Heft 4. JUustnrte Famrlren-Dertung. ^ahrg. M4.




Hehcimrath Professor vr. W. v. H^etlenlroser. (S. 91)
Nach einer Photographie von F. Müller, herzoglich bayrischer Hofphotograph in Mii

In der Nahe des sogenannten alten Arsenals in
Neapel, der mittelalterlichen Königsbnrg der Hohen-
staufen, der Ansons, der Arragonesen nnd anderer
Herrscherfannlien stand der ebenfalls noch ans dein
Mittelalter stammende Palazzo dei Tibaldi, die Winter-
wohnung der herzoglichen Familie. Es mar ein mas-
siges, auf mächtigen Fundamenten nnd in riesigen
Quadern aufgeführtes Gebäude mit gewaltigem Unter-

riveckoreiU — —
Nachdenklich ritt Herr Ghilazzi auf einein kleinen
flinken Eselchen nach Castellamare zurück. Er hatte jetzt
statt einer sogar zwei Spuren zu verfolgen. Welche war
die richtige?
Eine war nothwendigerweife falsch, vielleicht beide.
Was dann?

Im Uamre der Camorra
R oman

von
Woldemar Urban.
(Fortsetzung)
(Nachdruck verboten )
och sonderbarer finde ich es," fuhr der
Staatsanwalt fort, „daß sich der junge
Castaldi seit zwei Wochen zur Kräftigung
feiner Nerven in Positano aufhält."
„Hat er das gesagt?" fragte der Herzog.
„Ja-"
„Hm! Aber ein wohlhabender Mann,
wie Herr Castaldi, kann doch
unmöglich auf solche Dinge verfallen."
„Es fragt sich, ob Herr Castaldi wirk-
lich der vermögende Mann ist, als den Sie
ihn kennen, und auch dann dürfte von
einer Unmöglichkeit keine Rede sein. Darf
ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen?"
„Bitte."
„Sie ist aus dem Leben des alten Herrn
Castaldi, aber sie thut gleichwohl ihre Dienste
hier. Es handelte sich darum, daß Herr
Castaldi einer armen Wittme mit drei klei-
nen Kindern die Prozeßkosten erlassen sollte,
und ich war unglücklicherweise beauftragt,
ihn zu dieser Barmherzigkeit, zu dieser Frei-
gebigkeit zu veranlassen. Wissen Sie, was
er mir antwortete?"
„Nun?"
„Er sagte: Herr Ghilazzi, die Beduinen
Afrika's halten die Freigebigkeit für die
größte Tugend der Menschen. Ich würde
das vielleicht auch thun, wenn ich nichts
besitzen würde. So aber kann ich nur
wünschen, daß alle Menschen, mich ausge-
nommen, Beduinen wären/ — Sehen Sie,
Herr Herzog, das ist Herr Castaldi wie
er leibt und lebt. Alles haben, und doch
niemals genug! Die Wittwe mußte ihr
Bett verkaufen, um ihn zu bezahlen."
„Sie haben wirklich Verdacht auf ihn?"
„Ein richtiger Staatsanwalt hält alle
Welt in Verdacht."
„Nun, es ist nur in meinem Interesse,
Ihnen glücklichen Erfolg zu wünschen."
„Sie werden von mir hören, Herr Her-
zog. Kommen Sie zu der großen Wohl-
thätigkeitsvorstellung morgen in die Stadt?"
„Ich werde morgen Abend in Neapel
sein und wohl auch übermorgen, Herr Staats-
anwalt. Ich stehe Ihnen natürlich zu jeder
Stunde zur Verfügung."
„Nun, ich besuche Sie vielleicht ein-
mal in Ihrer Loge in San Carlo, oder
auch im Palazzo dei Tibaldi in Neapel.
Auf Wiedersehen also, Herr Herzog."

bau, vergitterten Fenstern und soliden, zuverlässigen
Zugängen, ivie man es in den finsteren Zeiten des
Mittelalters, in den Zeiten oft wechselnder Herrschaft
und kriegerischer Familienfehden für praktisch gehalten
hatte. Es war natürlich ebenfalls im Innern bedeutend
modernisirt worden, aber die riesigen Säle und großen
Hallen, die breiten schweren Marmortreppen, sowie die
überall mit Steinplatten ausgelegten Zimmer und Gänge
hatte mair gelassen, wie sie waren.
Momentan war das ganze große Haus nur vom
Herzog Attilio und seinem Diener bewohnt.
Ersterer saß in seinem Arbeitszimmer und sah einige
Journale durch. In allen war von dem großen Dia-
mantendiebstahl auf dem Schloß dei Tibaldi in Posi-
tano die Rede, und eine Zeitung suchte die andere durch
innner ungeheuerlichere Angaben zu überbieten. Es war
geradezu lächerlich, was inan dem Publikum darüber
vorfabelte. Heftig warf endlich Attilio den ganzen
Zeitungskram bei Seite und stand ärger-
lich aus.
„Das ist unglaublich!" rief er aus und
blieb aufgeregt vor seinem Freunde, dem
Grasen Emilio Tozzo, stehen, der ihm die
Zeitungen vor wenigen Augenblicken gebracht
hatte und nun bequem auf einem Divan
lag und eine Cigarette rauchte. Graf Tozzo
war nur einige Jahre älter als der zweiund-
zwanzigjährige Attilio, aber bei Weitem
ruhiger, besonnener, vorsichtiger. Vor Allem
nahm er das Leben ernsthafter und gewissen-
hafter, als fein Freund Attilio, der in sei-
ner herzoglichen Selbstherrlichkeit aufgezogen
war und seinen: leichtlebigen, aufsprudeln-
den, quecksilberigen Temperament nur zu sehr
nachgab. In der sicheren Stellung eines
reichen Erben, von allem hochadeligen Kom-
fort umgeben, hatte er das Leben und feine
Gefahren noch zu wenig kennen gelernt,
um die Tragweite feiner Handlungen ernst
zu überlegen und zu erfassen.
„Was ist unglaublich?" fragte Graf
Tozzo.
„Wie die Leute, die solche Zeitungen
schreiben, sich mit den Angelegenheiten frem-
der Menschen, die sie gar nichts angehen, in
dieser Weise beschäftigen können."
„Du bist koinisch, Attilio. Wenn Du das
sogenannte große Publikum besser keimtest,
so würdest Du auch wissen, daß es für die
meisten Menschen keinen interessanteren und
amüsanteren Unterhaltungsstoff gibt, als
Sachen, die sie absolut nichts angehen."
„Ein Diebstahl!" ereiferte sich Attilio
weiter, „ein großer Diebstahl! Welcher Un-
sinn! Cesina wird die Schachtel verlegt
haben, und der Schmuck wird sich wieder-
finden. Ich begreife nicht, wie man nur
solche ungeheuerliche Lügen erfinden kann!
Da faselt solch' ein Mensch von mehreren
Millionen Verlust, der Andere weiß eine
abenteuerliche Geschichte von einer Stricklei-
ter zu erzählen und munkelt sogar in fast
beleidigender Weise von einem unbekannten
 
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