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234

Das Buch für All e.

kommandirt. Da müßte mir schon Jemand Anders
helfen."
„Ah so!" Es war, als wenn ein leises Roth über
ihre schönen Züge huschte. Sie sand Gerd anmaßend.
Er wechselte sofort das Gespräch und hielt es während
des ganzen Tanzes höflich aufrecht.
„Das wäre eine angenehme Gattin!" lächelte er
spöttisch, als sie sich nut einer förmlichen Verbeugung
trennten. „Mit ihrem Protektionsvater!" — —
Nun begann das Festmahl an kleinen Tischen und
Büffets. Das war ein lustiges Mahl! Die Kavaliere
flogen nur so mit Tellern voll Rehbraten und Himbeer-
saure, Lachs und Citronenspcise zu ihren Damen.
Gretchen kam aus dem Lachen gar nicht mehr heraus.
Das Gedränge und Gewoge um das Büffet hatte auch
etwas stark Drolliges.
Da schoß plötzlich der Präsident Langermann durch
den Strom. Er hatte einen ganzen Teller Konfekt und
Knallbonbons zusammengepackt und entführte ihn in's
Nebenzimmer. Als er Frau v. Nönue erblickte, blieb
er stehen und bat sie scherzend, einen vollen Griff in
den süßen Raub zu thun.
Dabei bemerkte er auch Margarethe, welche mit
Ellinor, Herrn v. Glembach, Hans v. Kaiserling und
einigen anderen Herren an demselben Tische speiste.
„Darf ich's hier auch wagen?" fragte er, sein Auge
fester auf das allerliebste Gesichtchen richtend, welches
so neugierig jeder seiner Bewegungen folgte. „Bitte!
Ich hole mehr!"
Gretchen nahm hastig. Eine riesige Krachmandel
brach entzwei.
„Ein Vielliebchen! Wahrhaftig!" rief sie rasch.
„Welches Glück für mich!" sagte der Präsident mit
seinem etwas verkniffenen Lächeln, welches dem sein
geschnittenen Munde mit den ffchmalen Gourmandlippen
eigenthümlich war. „Das essen wir natürlich! Bitte,
meine Hälfte, gnädiges Fräulein!"
„Hier, bitte!" sagte Gretchen etwas verlegen, aber
nicht ohne Koketterie. „Worauf denn?"
„ckFxonssU lächelte er, ihr dunkles Auge im Stillen
bewundernd.
Beim Champagner brachte Hans v. Kaiserling
das Wohl der schönen Frau v. Rönne mit schwung-
vollen Worten aus. Er ließ dabei das sich vor-
bereitende Liebhabertheater im Voraus leben.
Das ward zum Stichwort.
Theater! Selbst Ellinor legte ihre Würde ab und
wurde gesprächig. — Welches Stück denn? — Nun, die
„Hochzeitsreise" von Benedix. — O, bewahre! — Wußte
vielleicht Herr v. Glembach etwas Besseres? — Gewiß!
Eben erst hatte er in Straßburg eine Liebhaberaufführung
arrangirt.
„Ach, übernehmen Sie doch die Regie, Herr v. Glem-
bach!" ries Frau v. Rönne, ihre Fächerspitze liebens-
würdig auf seinen rothen Aermelaufschlag drückend.
„Ja? Sie verstehen sich daraus. Jawohl, man sieht
es Ihnen an! Nicht wahr, mein theures Fräulein
Ellinor?"
„Gewiß!"
Gretchen wurde es ganz heiß um's Herz. Sie
hatte keine Aufforderung erhalten. Natürlich! Ihre
Eltern kannten die Familie v. Rönne kaum dem Namen
nach. Doch die elegante junge Frau wandte sich schon
klugerweise zu ihr. Eine so allerliebste Soubrette war
stets zu gebrauchen.
„Und Sie, Fräulein v. Rempler? Dars ich nicht
auch aus Ihre Theilnahme rechnen? Ellinor nimmt
Sie gewiß unter ihre Fittige! Also?"
„O, so schrecklich gern!" rief Gretchen so aufrichtig
und aus tiefstein Herzensgründe, daß die ganze Tafel-
runde hell auflachte.
„Das ist ja reizend! Aber in vier Wochen muß —"
„In vier Wochen," fiel Hans v. Kaiserling ein,
„muß die Geschichte klappen, dann ist mein Urlaub zu
Ende. Und Sie werden mir das Herz nicht brechen
wollen, gnädigste Frau!"
„Das ist jetzt Sache des Regisseurs!" lächelte sie
Gerd v. Glembach zu. „Wisseu Sie, kommen Sie Alle
morgen Nachmittag zu mir! Rönsberg liegt so nahe —
eine knappe Stunde. Herr v. Glembach, Sie bringen
Theaterstücke mit und —"
„Nur unter einer Bedingung," rief Hans, einen
schelmischen Blick auf Gretchens strahlendes Gesicht
werfend, der diese Einladung die Eröffnung eines
Paradieses dünkte, „könnte ich für meine unentbehrliche
Anwesenheit gut sagen!"
„Und diese wäre?" scherzte Ellinor, ihrem hübschen
Bruder zunickend.. „Sagen Sie im Voraus Nein, Frau
v. Rönne. Ihre Güte verwöhnt ihn ganz."
„Nach der Arbeit ein Tänzchen," sagte er, das Glas
der jungen Frau galant füllend. „Im runden Salon.
Rönsberg, Fräulein Gretchen, ist nämlich ein Juwel -
wie seine gnädige Besitzerin!"
„Genug! Genug! Man steht auf! O, Sie! An
dem Herrn dürfen Sie sich ja kein Beispiel nehmen,
Herr v. Glembach!"
Ellinor's Kavalier war gerade nach einer Schale
Staubzucker in's Nebenzimmer geeilt. Beim plötzlichen

Aufbruch stand sie ohne Begleiter. Gerd v. Glembach
bot ihr seinen Arm, und das schöne Mädchen nahm
rnhig, wie selbstverständlich, seine Ritterdienste an. -
Gretchen eilte zu ihrer Mutter.
„Mama, denke doch!"
„Ich weiß Alles, mein Kind! Errege Dich nicht
zu sehr. Du wirst sonst zu roth, mein Herz." Dabei
strich ihre Hand liebkosend und stolz über die weiche
Wange der hübschen Tochter.
„Ei, ei, ich störe, wie ich sehe!" sagte in diesem
Augenblick die Stimme des LandgerickMprüsidenten
Langermann.
„O, gar nicht, Herr Präsident!" versetzte Frau
v. Rempler, ihren etwas altersschwachen Fächer vor-
sichtig benutzend. „Die Kleine vertraute mir nur au,
daß sie bei Rönnes Theater spielen soll."
„Brillant, meine Gnädigste!" Das blaugrüne Auge
des vornehmen Lebemannes richtete sich immer schärfer
auf diese frisch erschlossene Mädchenblüthe, zur stillen
Befriedigung der eitlen Mutter.
„Also werden wir Sie dort bewundern dürfen,
gnädiges Fräulein?"
„Gewiß, Herr Präsident, und beklatschen!" rief
Gretchen etwas herausfordernd.
„Und ivie! Ich abonnire ans ein zweites Paar
Hände! Darf ich einmal Ihre Tanzkarte sehen?"
Sie merkte seine Absicht nicht und reichte sie schel-
misch hin.
„ckF poimoU ries sie dann.
„Wahrhaftig!" sagte er, ihre rothen Lippen be-
wundernd. „Da habe ich gründlich verloren."
Antreten zürn Kotillon!
Augenblicklich entfloh die Jugend.
Galop! Das wurde feurig. Für Elliuor war
das nichts. Aber Gretchen Rempler mit Hans! Sie
flogen mehr, als sie sich drehten, mitten durch den
Wirbel.
Glembach hatte keine Dame. Er mußte sich auf
Extratouren beschränken.
Ellinor sah es zufällig. Weir sollte sie auszeichneu?
Ja, wäre sie uicht die „Eccellenza" und Wirthin ge-
wesen! Aber so!
Sie ging iir's Nebenzimmer und kam mit Herrn
v. Rönne zurück, den augenscheinlich diese Ehre mehr
verlegeir machte, als erfreute.
Zufällig begegnete ihr Gerd v. Glembach. Er lächelte
unmerklich.
Ah, ehe sie einen: jungen Offizier so ein buntes
Seidenbündchen angeheftet Hütte — nein, das litt ihre
Würde nicht!
Jetzt holte sie den Generalstabsofsizier ihres Vaters.
Aber wen jetzt? Ah, den General selbst!
Gerd bemerkte, daß die Gesellschaft darüber ihre Witze
machte. Aber hübsch sah's doch aus, als der stattliche,
immer noch schöne Vater seine schöne Tochter so ritterlich
in: Arme hielt.
Nun der Kulminationspunkt — ein Niesenstünder
mit duftigen Sträußen und zwei mächtige Kissen mit
Orden.
Alle Mütter, die nicht scharf sehen konnten, nahmen
ihre Lorgnetten vor.
Hans v. Kaiserling, ein Nosenpaar in der Hand,
eilte schnurstracks auf Gretchen Rempler zu. Sie
sprang ihm beinahe entgegen, ganz wie damals, als sie
zusammen Schlittschuh liefen mit Schulmappe und
Büchern unter dem Arm.
Er faßte sie schnell um die feine Taille und sang
ihr zu, iudem sie nut ihn: davontanzte: „Schaust so
freundlich aus, Gretelein, nimm den Blumenstrauß, er
sei Dein! — Aber Sie müssen nur auch einen Orden
geb ei:!"
Gott, zwei, wenn er wollte!
Und da kam wahrhaftig der Präsident Langermann,
einen rothen Nelkenstrauß tragend, zu ihr.
„Purpurnelken und Purpurlippen wollen zu ein-
ander!" sagte er. Da nahm er sie in den Arm.
Ellinor stand, ihren Orden noch in der Hand haltend,
bei Seite.
Da kam ihr Bruder mit Glembach vorüber. Er
neckte sie.
„Elli, thu ein gutes Werk! Hier hat noch viel Platz!"
„Gern! Bitte, Herr v. Glembach!"
Er sah auf die schmalen, weiß behandschuhtei: Finger,
die so geschickt den blitzenden Stern an seiner Brust
befestigten. Jetzt hob sie das blonde Haupt und sah
ihn: in's Auge. Dies Auge war so schön, so tief in
seiner Bläue unter den gebogenen dunklen Wimpern,
daß er einen Moment vergehen ließ, ehe er ihre Hand
ergriff.
Draußen wehten einzelne Schneeflocken ii: einen:
ziemlich frostigen Südostwind, als endlich die Hausthür
sich austhat und den vergnügten Schwarm der Gäste
entließ.
Wagen um Wagen fuhr langsam vor und rasch
davon. Wer gehen mußte, machte sich nach einen:
Gruße schleunigst unsichtbar. Die erhitzten Glieder
fröstelten vor nächtigen: Unbehagen.

Heft 10.
Unter diesen Letzteren befand sich auch Major
v. Rempler mit Gattin und Tochter.
Gesprochen wurde nicht unterwegs. Der Wind ver-
bot es. Aber zu Hause desto eifriger, nachdem alle
Drei den finsteren Flur und die finstere Treppe vor-
sichtig und stolpernd emporgestiegen waren.
„Bin nur neugierig, wie frisch Du um acht Uhr
in der englischen Privatstunde sein wirst!" sagte der
Major zn Gretchen.
„In der Stunde?" rief sie erschreckt. „Morgen
schlafe ich aus."
„Was? Du —"
„Aber, Arthur, das Kind braucht Schonung! —
Schlafe nur, Gretchen! Gute Nacht!"

AwitLes KcrpiLeL.
Nach fünf Stunden war es Heller Tag. Der Major
und seine Gattin hatten längst Kaffee getrunken, und
Herr v. Rempler dazu das Militärwochenblatt gelesen —
der einzige Luxus, den er sich gestattete — ohne daß
Margarethe sichtbar geworden wäre.
Herr v. Rempler verfolgte die Viertelstunden auf
den: Zifferblatt der Standuhr mit wachsender Nervosität.
Endlich brach sein Unwille durch.
„So! Diese englische Stunde bezahle ich umsonst.
Was wirst Du den: Kinde jetzt noch in den Kopf
setzen?"
„Wie denn?" fragte die Majorin anscheinend gleich-
giltig, aber im Innern wühlte die große brennende
Tagessrage: jene Fahrt nach Rönsberg. Wenn sie nur
erst auf's Tapet gebracht wäre!
„Wie denn, Malwine?" Herr v. Rempler wandte
seii: hageres Gesicht mit traurigem Vorwurf dem
blühenden Antlitz seiner Gattin zu. „Muß ich's Dir
sagen? Du zerstörst ihre Zukunft! Wenn ich heute
die Augen schließe, so sitzest Du mit neunhundert Mark
Wittwenpension da, und stirbst Du, so ist Margarethe
ohne einen Pfennig Vermögen. Was hast Du darauf
zu sagen?"
„Daß Du ein Schwarzseher bist!" lächelte Frau
v. Rempler, obwohl ihr durchaus nicht lächerlich zu
Muthe war wiegen des Antrages, der noch auf die
Tagesordnung gesetzt werden mußte. „Eben weil Du
Dich mit aller Gewalt so abängstigst um das Kind,
will ich vorbeugen."
„Vorbeugen? Ich will — merkt es euch! — von
dem ganzen Gesellschaftsschwindel nichts mehr wissen."
„Man hat uns gestern aus das Zuvorkommendste
behandelt. Ich weiß nicht, was Du willst. General
wird eben nicht Jeder."
Seine Bitterkeit schlug in Schwermuth um. „Nun
also, abgesehen von mir — Margarethe macht ihr
Examen über's Jahr, und damit basta!"
„Und wenn sie heirathet?" fragte Frau v. Rempler
etwas spitz.
„So mag sie's nbwarten, wie ein anständiges
Mädchen es abwartet. — Wer läutet dem: da wie
toll? Na, was ist los?" fragte er das eintretende
Dienstmädchen, die ein großes Packet und einen pracht-
vollen Blumenstrauß hereintrug. „Was soll der Quark?
Von wem?"
„Ein Diener gab dies ab für unser Fräulein!"
„Ah!" ries Frau v. Rempler angenehm überrascht.
„Das ist das Vielliebchen!"
„Was für ein Vielliebchen?" fragte der Major
stirnrunzelnd, während seine Gattin schleunigst das
weiße Seidenpapier vom Blumenbouquet entfernte.
„Nein, wie prachtvoll! Sieh doch, diese Nelken-
fülle, Mann! Wie wird sich das Kind freuen! Und
hier? O, welch' herrliche Schreibmappe! Wirklich
entzückend! Rother Sammet mit Goldbeschlag!"
„Von wem ist das Zeug, frage ich noch einmal?"
rief Herr v. Rempler, die theueren Sachen flüchtig mit
dem Auge streifend.
„Mein Gott, wie Du Dich anstellst! Gerade als
ob nur aus irgend einen: Hinterlande stammten, wo
man von Vielliebchen und solchen Scherzen nichts weiß!
Nun werde ich bald ungeduldig," versetzte die Majoriu,
immer wieder an dem duftenden Strauß riechend.
„Das baue ich Gretchen aus."
„Willst Du mir gütigst den Namen nennen?" fragte
Herr v. Rempler mit unterdrückter Erregung.
„Hier! Hier hast Du ihu: schwarz auf weiß!"
„Präsident Langermann! So, so!" murmelte der
Major, die Karte bei Seite werfend. „Wie kommt
der Mensch dazu, meiner Tochter ein so kostbares Ge-
schenk zu machen? Kenne ihn gar nicht!"
„Dir hat er ja die Aufmerksamkeit nicht erwiesen,
sondern einem jungen Mädchen," sagte Frau v. Rempler
immer spitzer. „Und was die Kostbarkeit anbelangt,
so ist sein ^Vermögen die richtige Entschuldigung."
„So, so! Na, denn guten Morgen!" rief der Major
aufspringend.
„Bitte, Arthur — einen Moment!"
Frau v. Rempler holte etwas tiefer Athen:. Jetzt
kam der Hauptschlag.
„Frau v. Rönne war gestern Abend so liebens-
 
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