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Heft 10.

Das Buch für Alle.

235

würdig, unser Gretchen zu ihrem Liebhabertheater auf-
zufordern. Und ich sagte natürlich zu. Dieses Ver-
gnügen gönnen wir, denke ich, dem Kinde, das sonst
so wenig vom Leben hat!"
Herr v. Nempler, schon an der Schwelle stehend,
kam hastig zurück an den Tisch. Seine Augenlider
und seine Mundwinkel zuckten, wie immer, wenn ihn
hochgradige Erregung faßte.
„Du hast, ohne mich zu fragen und obwohl Du
meine Meinung kennst, zugesagt? Malwine! Malwine!
Was soll das werden?"
„Gar nichts! Heute Nachmittag fährt Gretchen
mit Kaiserlings heraus nach Ronsberg. Wir werden
über acht Tage natürlich dort gleichfalls einen Besuch
machen."
„Und die Schule? Und das Examen? Hast Du
nicht beobachtet, daß die Anlage Deiner Tochter eine
natürliche Eitelkeit ist und Genußsucht?"
„Aber, mein Gott, alle jungen Mädchen amüsiren
sich gern. Nun greifst Du gar Deine eigene Tochter
an mit Deiner ewigen schlechten Laune!"
„Ich greife sie an?" rief Herr v. Rempler erschüttert.
„Ich? Der ich Alles thue, sie zu schützen vor dem
harten, rauhen Leben? Vor Gefahren, die —"
„Nein, weißt Du, Mann, nun hört es auf! Ich
vertrage viel, denn ich bin an Deine Art gewöhnt, aber
das Kind soll mir nicht darunter leiden. Mir ahnt,
daß Gretchen bald heirathet."
„So mache, was Du willst," rief der Major, feinen
dünnen Backenbart heftig streichend. „Thue, was Dir
gut.dünkt. Halte sie vom nützlichen Lernen ab. Laß sie
die theueren Stunden versäumen. Setze ihr ungerecht-
fertigte Ansprüche in den Kopf. Entfessele die Leiden-
schaften, die ich mit väterlicher Gewalt unterdrücken
wollte. Mache sie unzufrieden, unbrauchbar für ihren
Beruf. Bringe sie dahin, wo sie nicht hingehört.
Führe sie zu Markte. Ich —" er stürzte aus der Thür,
kam jedoch ebenso rasch wieder zurück. „Aber komme
mir nie mit Klagen, noch mit einem Vorwurf, wenn
die Sache schief gegangen ist. Dann behalte Dein
Lamento für Dich. Und Deine Thränen auch. Das
sage ich Dir im Voraus. Du würdest bei mir nur
Verdruß damit haben. Denn so leichtfertig aus purer
Muttereitelkeit, aus — ich weiß nicht, was in die
Mütter fährt, wenn so ein Mädchen das siebzehnte
Jahr hinter sich gebracht hat — so unverzeihlich —"
„Arthur!" fuhr Frau v. Nempler auf mit verletzter
Würde.
„Laß mich aussprechen! Alle Tage kann sich das
nicht wiederholen. Du hältst dieses Zusammentreffen
mit Kaiserlings für ein Glück. Wenn ich nur
wüßte, wo Du Deine Augen hast! Ja, wäre die
Generalstochter mein Kind, da würde ich auch ohne
Sorge fein. Die hält sich Schmetterlinge vom Leibe.
Aber dieser Husar! Was denkst Du eigentlich? Hast
Du das nicht im Kotillon bemerkt? Es kribbelte mir
in den Fingern, als ich diesen vertraulichen Komment
mit ansehen mußte. Und Deine Tochter? Nun, die ko-
kettirte wie eine vollendete Weltdame. Jawohl! Ja-
wohl! Vertheidige nichts!"
„Ich bin starr! Starr vor Entrüstung!" rief feine
Gattin trotz alledem mit einem besorgten Griff nach
dem Nelkenstrauß, der sich vom Platze geschoben hatte
„Solch' ein Vater! Wo alle Welt entzückt war —"
„Ich werde den Narren spielen und mit entzück?
sein! Ueber die Achsel angesehen werden und — doch,
das sage ich Dir, und dies ist mein letztes Wort:
kann Margarethe mir bis drei Uhr nicht die byzan-
tinischen und römischen Kaiser mit ihren Negierungs-
jahren geläufig aufsagen, so bleibt sie zu Hause, und
ich schreibe an ihre Hoheit die allmächtige Frau v. Rönne,
die unsere Tochter als Lockvogel benützt, um junge
Lasten und alte Narren zu unterhalten. Basta! Richtet
euch darnach!"
Herr v. Rempler rief diese letzten Worte mit schärfstem
Nachdruck, ehe er nun wirklich endniltig das Zimmer
verließ, um auf's Bureau zu gehen.
„Gott im hohen Himmel!" seufzte Frau v. Nempler,
eine Thräne im Augenwinkel zerdrückend. „Diese Männer!
Solch' arme -Mutter! Immer zwischen Baum und
Borke! — Guten Morgen Kind! Sieh 'mal, was hier
für Dich liegt!"
Gretchen war frisch wie eine Rose eingetreten.
Das knappe blaue Tuchkleid stand ihr ganz allerliebst.
„Was denn, Mama?" fragte sie, neugierig herzu-
tretend.
„Von: Präsidenten Langermann. Dein Vielliebchen!"
Gretchen dachte bei den rothen Nelken an ihre
rothen Lippen, die den Präsidenten so begeistert hatte::,
und lächelte in der That recht auffallend kokett. „Wie
ist's denn? Ich fahre doch mit, Mama?"
„Jawohl! Gewissermaßen in der Begleitung von
Kaisern und Königen!"
Sie erzählte ihrer Tochter, unter welcher Bedingung
der Vater endlich seine Zustimmung gegeben hatte.
„Was denkt sich der Papa nur? Ich bin doch kein
Schulkind! Glaubt er, daß ich nur auf die Welt ge-
kommen bin, um mich zu quälen?"

Frau v. Nempler beschwichtigte sie durch keinen
Verweis, sondern durch das Herbeiholen der Geschichts-
tabellen.
Und die Kaffeetasse in der einen Hand, das Buch
in der anderen, saß Gretchen mit dem Strauß vor der
kostbaren Schreibmappe und lernte.
Gerd v. Glembach hatte, als endlich die Fülle bunter
Bilder aus dem heißen Tanzsaal ihn nicht länger am
Einschlafen hinderte, von Ellinor geträumt.
Jetzt wachte er auf. Es war hohe Zeit. Er mußte
zum General.
Der Bursche hatte ihn schon 'zweimal geweckt.
Handschuhe! Schärpe! Helm! Fertig!
Fünf Minuten später saß er im Salon Ellinor und
dem General gegenüber und wechselte die gebräuchlichen
Redensarten mit Vater und Tochter.
Der General hatte es vermieden, nach Gerd's Vater
zu fragen. Er wußte, daß der Oberst v. Glembach
Schulden halber hatte abgehen müssen.
Der Sohn empfand diese Rücksicht gleichwohl sehr
peinlich. Wenn die Erbschaft ein Jahr früher gekommen
wäre, so hätte fein Vater jetzt auch Divisionskom-
mandeur fein können.
„Haben Sie Geschwister, Lieutenant v. Glembach?"
„Nein, Euer Excellenz!"
„Sie stammen aus dem Kadettenkorps?"
„Ich habe mein Abiturientenexamen gemacht."
„So? Das muß zeitig gewesen sein!"
„Im achtzehnten Jahre, Euer Excellenz."
„Da wollten Sie wohl eigentlich studiren?"
„Eigentlich, ja! Ich hatte stets große Neigung für
den ärztlichen Beruf. Aber mein Vater —"
„Es wäre auch schade gewesen. Ein tüchtiger Soldat
ist auch das Beste, was ein junger Mann werden kann.
Rasch selbstständig — bei guter Erziehung stehen ihn:
alle Wege zur Beförderung und weiteren Ausbildung
offen. Sie waren aus der Kriegsakademie?"
„Jawohl, Euer Excellenz!"
„Nun, da kann es ja nicht fehlen. Tüchtige Offiziere
kommen immer vorwärts."
„Ich hoffe es, Euer Excellenz. Doch habe ich, um
Enttäuschungen vorzubeugen, meine Erwartungen niedrig
gespannt."
Ellinor sah auf, als wolle sie fragen: „Ist das
möglich?" Dann sagte sie laut: „Das könnte ich nicht.
Wenn man seinen Flug von vornherein hoch nimmt,
wendet man schon eine ganz andere Flugkrast an, als
wenn man denkt: ach, niedrig ist auch gut sitzen!"
Der General lachte. „Du wärst zweifellos Marschall
geworden, meine liebe Elli. Dafür stehe ich gut."
Gerd fühlte sich von der Bemerkung verletzt. Er
lächelte kühl, indem er die Achseln zuckte und sich erhob.
Er fragte auch gar nicht, ob er am Nachmittag das
Vergnügen haben werde.-
Gegen drei Uhr fing es wieder an zu schneien. Ge-
rade, als der Major v. Rempler seiner Tochter, die mit
heißen Wangen vor ihm stand und die Reihe der ge-
krönten Häupter des Alterthums abschnurrte, das Lehr-
buch hinwarf.
„Also fahre!"

Rönsberg, die Residenz der Frau v. Rönne, lag
nur etwa eine Stunde von der Stadt entfernt. Es
war ein Prachtgut, eines der Prachtgüter, welche ihr
Gemahl sein eigen nannte und auf welchem sie ein Schloß
hatte aufführen lassen, ein fürstliches Heim, das von
Fremden eigentlich nie leer ward.
Der Salon der Frau v. Rönne mit seiner abgetönten
rosa Seidentapete und Brokatmöbeln, der kostbaren
Deckenmalerei in den zartesten Farben, dem lichtgrauen
Smyrnateppich mit Rosenranken durchwirkt, dem silber-
gerandeten Eckspiegel und silbernen Kronleuchter war
einer Fürstin würdig. Ihr Schreibtisch mit seiner echten
Silbergarnitur war ebensowohl ein Kunstwerk als der
Rokoko-Eckschrank, in welchem Frau v. Rönne ihre
Juwelen auszubewahren pflegte.
In ähnlicher Ausstattung schlossen sich ein zweiter
Salon, ein runder Tanzsaal und ein Speisesaal in
fortlaufender Folge an. Hinter letzterem begann das
Gebiet des bescheidenen Hausherrn, welcher sich in seinem
alten Familiemvohnhause unendlich viel behaglicher ge-
fühlt hätte und gern dorthin zurückgekehrt sein würde, wenn
er die Erlaubnis; hierzu erhalten hätte. Herr v. Rönne
hätte überhaupt die ganze Pracht freudig dahingegeben
für die Existenz eines Kindes, an welches sein schüchternes
Herz sich ohne Scheu hätte hängen können. —
Nach dem Mittagessen wurden die Mitglieder des Lieb-
habertheaters erwartet. In rascher Folge fuhren sie vor.
Das war eine lustige Fahrt gewesen für Margarethe
v. Rempler, die Hans v. Kaiserling gegenüber saß.
Sie waren aus dem Necken und Lachen gar nicht heraus-
gekommen. Aber hier im Schlosse sank ihr wieder der
Muth. Die dürftige elterliche Wohnung stand in zu
grellem Kontrast zu dieser märchenhaften Pracht. War
Ellinor nicht auch verblüfft? Nein! Sie stand so ruhig
zwischen den: Ehepaar Rönne, als gäbe es keine Prunk-
gemächer und keine jungen Offiziere auf der Welt.

„Ach," flüsterte Margarethe Hans zu, als sie ihre
Hand in seinen Arm legte, um sich von ihm an den
Kasfeetisch führen zu lassen, „wer's doch auch so haben
könnte!"
„Möchten Sie?" scherzte er, die kleine Hand leicht
an sich drückend. „Ach, was wollen Sie denn damit?
Sie sind ja tausendmal hübscher als der ganze Klim-
bim."
„Meinen Sie?" lächelte Gretchen und sand es
eigentlich reizend, daß Frau v. Rönne immer mit dem
Finger drohte, sobald Hans v. Kaiserling neben ihr
erschien. Natürlich sahen Alle dann auf das Paar.
Es war doch zu hübsch, Aufmerksamkeit zu erregen.
Gerd v. Glembach als Regisseur wurde nun die
Hauptperson. Also zwei Lustspiele sollten aufgeführt
werden! Ein feines Konversationsstück und eines von
frischerem Genre: „Kaudel's Gardinenpredigten" und
„Im Wartesalon erster Klasse."
Ellinor richtete sich schnell aus. „Das letztere Stück
finde ich reizend."
„So nehmen wir es selbstverständlich," rief Frau
v. Rönne. „Und Sie selbst spielen die Damenrolle,
meine theure Ellinor. Dazu sind Sie wie geschaffen.
Und den Baron? Nun, Herr v. Glembach!"
„Ich habe in Straßburg soeben die Nolle verdorben,"
fiel er scherzend ein.
„O, ja doch! Ihre Figuren passen vortrefflich zu
einander. Also abgemacht!"
Gerd verneigte sich.
„Da werden mir," sagte Ellinor mit etwas hoch-
fahrendem scherze, „einmal das Wunder erleben, daß
ein Herr seine Nolle kennt; vorausgesetzt, daß Sie da-
mals gelernt haben, Lieutenant v. Glembach!"
„Eine Soloscene dürfte ich wohl nicht in Vorschlag
bringen?" fragte er die Eccellenza ironisch.
„Ach, um Gottes willen!" rief Frau v. Rönne lachend.
„Das ist so langweilig!"
Ellinor hatte den Stich wohl verstanden, aber sie
hielt ruhig Gerd's Blick aus.
Nach einer lebhaften Debatte, welche Gerd v. Glem-
bach zum Vortheil des Ganzen entschied, war die Rollen-
vertheilung gelungen, und inan sing an zu lesen.
Ellinor las, wie sie aussah. Schön, tadellos, kühl.
Sie unterdrückte keine Pointe, aber sie hob auch keine
hervor. Dennoch war sie sichtlich interessirt; allmälig
lagerte eine feine Röthe sich über ihre reizenden Züge.
Ganz anders Margarethe, welcher die junge Frau
in den „Gardinenpredigten" zugefallen war, wobei Hans
v. Kaiserling als praktisch-prosaischer Ehemann sekun-
dirte.
Die Beiden spielten jetzt schon zum großen Amüse-
ment aller Anwesenden. Auch Gerd klatschte Beifall.
Ihn hatte das gemessene Tempo seiner Partnerin schon
längst ungeduldig gemacht.
„Gnädiges Fräulein," sagte er zu Ellinor, „haben
Sie die Güte und beschleunigen Sie Ihre Worte bei:::
Verlauf des Stückes etwas. Ich möchte sagen, fassen
Sie die Rolle der Baronin natürlicher auf. Je natür-
licher die Sprache und Haltung ist, desto größer ist stets
die Wirkung."
„Gern!" sagte sie ruhig. „Wenn ich kann."
„Sie können Alles, Fräulein Ellinor!" rief Frau
v. Rönne schmeichlerisch.
Nach Schluß der Vorlesung ging die „Eccellenza"
zu Gerd, der abseits von der zum Tanzsaal ausbrechenden
Gesellschaft eine Marmorbüste betrachtete. Er war ver-
stimmt, ohne zu wissen warum.
„Lieutenant v. Glembach —"
Er verneigte sich.
„Sie sind unzufrieden," sagte sie, und die feine
Röthe aus ihren Wangen kehrte wieder. „Ich sehe ein,
daß Sie es besser verstehen, als wir insgesammt. Warum
tadeln Sie nicht frei heraus?"
„Sollte ich so unhöflich sein, zu behaupten, Dieses
und Jenes sei völlig verfehlt?" fragte er mit einen:
Gemisch von Ernst und Spott.
„Weshalb nicht?" Ihre blauen Augen ruhten forschend
aus ihm. „Ich gebe Ihnen das Recht."
„Zu gnädig!"
„Das nächste Mal also!" Sie wartete seine Ver-
beugung nicht erst ab, sondern folgte rasch de« Anderen
nach.
Er biß sich aus die Lippe. Ob die Tochter des
Divisionskommandeurs nicht den Vorgesetzten spielte ihn:
gegenüber! Er fühlte, daß die Situation nicht bester
werden konnte aus diese Weise, aber sehr leicht sich zu-
spitzen.
Das war es, was ihn mit seinem jetzigen Stande
nie völlig aussöhnen konnte, dieses ewig wache und
durch nichts einzuschläsernde Gefühl der disziplinirten
Unterordnung. Jede Begegnung erweckte es von Neuem.
Wie hätte er es wagen dürfen, einen: Zuge seines Herzens
zu folgen und den: Vorgesetzten zuerst die Hand zu
reichen! Kam gar nicht vor. Was sich auch von unter-
drückten: Selbstgefühl, von Mannesmuth in seiner Brup
regte, es mußte stumm bleiben. Es war nicht ivahr,
daß die gesellschaftlichen Beziehungen den dienstlichen
Rangunterschied auch nur theilweise aufhoben. Inwiefern
 
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