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Heft 22. ARustnrrte Fanntien-Dertung. Iahrg. 1894.



Werst Hmik Arey, schweizerischer Aundesprasident. (S. 527)

ihn
da-

nach Westhampton-Court gekonanen. Aber auch Mary
Wimpleton war geblieben — auf ausdrückliches Ver-
langen Jessie's. — Der Advokat war ihr in seiner-
steifen, deutlichen Gesetzmäßigkeit einfach ein Scheusal,
die ganze Welt erschien ihr wie eine Räuberhöhle, die
Menschen wie hungrige, gierige Bestien, die sie zer-
reißen wollten, die nichts für sie hatten, als Lug und
Trug, keine Seele, kein Herz, kein Mitleid und Er-
barmen. Manchmal war es gewesen, als ob ihr Herz
aufginge, als ob sie Zutrauen und Liebe fassen könne,
wenn sie dem Doktor Strehlen in die Augen sah. Sie
waren so mild, so ruhig, so stolz, so still — ach, es
war nur die Maske des Weltmannes, eine neue Art,
ein neuer Kunstgriff, Gold, schmutziges, kaltes, herzloses
Gold von ihr zu ziehen!
Jessie war viel zu reich, als daß Summen, große oder-
kleine, für sie Hütten in Betracht kommen können. Mochten
sie doch nehmen, was sie wollten! Es war ihr ja ganz gleich-
giltig. Das Kummervollste, das Fürchterlichste für sie
nmr die Anschauung, die sie dadurch von der Mensch-

sie betrog. Niemals waren Summen aus-
gegeben worden, wie sie sie jetzt alle Au-
genblicke als „Haushaltungsspesen" an
Finding überweisen mußte. Ihr Onkel
hatte darauf bestanden, Mary Wimpleton
aus dem Hause zu entfernen.
„Also auch die?" hatte Jessie erwiedert.
„Sie ist ungeschickt und tölpelhaft. Sie
paßt nicht als Repräsentantin von West-
hampton-Court," hatte Onkel Simon ge-
sagt und eine neue „Repräsentantin" war

Z
„Was
thun?"
„O nichts! Ich war im Auftrage von
Finding dort."
Der Specht drunten im Park häm-
merte weiter. Seine Schlüge klangen bis
zu dem Balkon, wo Jessie saß. Wieder
hielt sie sich ängstlich und leicht zitternd
die Ohren zu.
„Ist Dir nicht wohl, Jessie?"
„Nie!"
„Soll ich — soll ich nach dem Arzt
senden? Nach Doktor Strehlen?"
Einen Augenblick war es, als wenn
sich ihre Augen belebten, ihr Ausdruck sich
kräftige. Dann senkte Jessie aber den
Blick wieder entmuthigt.
„Nein — nein!" sagte sie langsam.
„Gute Nacht, Jessie!" wiederholte Hligh
nochmals.
„Gute Nacht!" klang es kurz und schroff
zurück.
Einige Minuten blieb Jessie still sitzen,
die Hände vor den Ohren, die Augen ge-
schlossen. Endlich fuhr sie hastig auf und
sah sich erschreckt um — sie war allein!
Wieder allein, immer allein! Ach! ihr
dünkte, sie sei stets allein gewesen, seit
ihr Vater todt war, allein in der Welt,
die so falsch, heuchlerisch und trügerisch
war. Jessie hatte Furcht vor dieser Welt.

heit gewonnen. Dieses wüste, ekle Treiben machte sie
krank, diese begehrliche kalte Herzlosigkeit, diese Mitleid -
und erbarmungslose Berechnung des Vortheils war es,
die ihre Phantasie überreizte, sie wahnsinnig zu machen
drohte. Ihr jugendliches Herz sehnte sich so sehr nach
einem Menschen und krampfte sich zusammen, aber dieses
leidenschaftliche Sehnen blieb ungestillt. Sie schrie wie
der Hirsch nach frischem Wasser, und sie konnte nur
Sumpf und Schmutz finden! —
Der Specht hämmerte noch immer, obgleich es schon
späte Nacht war. Jessie stand auf und schleppte sich
mühsam und tastend nach ihrem Schlafzimmer, noch
immer die Hände an den Ohren. Was war ihr denn?
Was fürchtete sie denn zu hören? Was spiegelten ihr
ihre kranken Sinne vor?
Immer lind immer hörte sie Nachts das Klappern
von Pfcrdehufen auf steinigem Grund. Immer sah
sie einen Reiter an den Steinbrüchen hintraben; ihre
angsterfüllten Augen gewahrten, wie in der Nacht ein-
Mann mit weiten Kleidern, fast fo weit wie sein Ge-
wissen, sich an den Reiter herandrängte,
mit heuchlerischer Miene den Zügel des
Pferdes ergriff und sich so mit dem Reiter
der Stelle näherte, wo sich die Fuchslöcher
zu einen: steilen Abgrund erweiterten. Dort
gab der Mann dem Pferd einen heftigen
Ruck, ein entsetzlicher Schrei gellte durch
die Nacht, lind Roß und Reiter stürzten
den Felsabhang hinunter! —
Als Jessie ihr Schlafzimmer betrat,
perlte kalter Schweiß auf ihrer Stirn.
Ihre Allgen waren irr und stier aus einen
Punkt gerichtet, zitternd lösten sich ihre
Hände und fuhren durch die Luft.
„Vater — Vater!" klang es von ihren
Lippen, und mit einem müden, gurgeln-
den Seufzer brach sie auf dem Teppich
zusammen. ...
Mary Wimpleton war rasch zur Stelle.
Diese Zufälle schienen ihr nichts Neues zu
sein. Sie rieb die Schläfe ihrer jungen
Herrin mit kölnischem Wasser ein, öffnete
ihre Kleider lind brachte sie zu Bett.
„Miß Jessie! Um Gottes willen, hören
Sie meine Stimme? Hören -Sie Ihre
Mary! O, sagen Sie ein Wort!"
Nach einer Weile öffnete Jessie die
Augen wieder und sah sich starr um. Erst
allmälig kehrte ihr das Bewußtsein zurück.
„Bist Du es, Mary?" flüsterte sie leise
und eintönig, wie geisterhaft.
„Mary ist es, Miß Jessie. Ihre treue
Mary. Wie geht es Ihnen, Miß?"
„Du mußt Niemand davon sagen, hörst
Dli, Mary? Keinen: Menschen darfst Du
etwas sagen!"
„Ach, du himmlischer Vater, was soll
das werden?"
Mary kniete bei der Krankei: nieder
und lauschte auf deren röchelndes, schweres
Athlnen.
„Du ewiger Schöpfer, da droben."
klang es mühsam und stoßweise von den

Ih, Tu meinst wohl Mr. Dryful?" fragte
'bHugh seine Base.-
„Ja. Du kennst ihn? Du hast
s früher schon gesehen?" meinte Jessie
gegen.
„Flüchtig. Bei Tapperday."
„Tapperday? Wer ist das?"
„Er ist Schreiber bei Mr. Finding in
Lincolnsinn."
hattest Du denn bei ihm zu

Jessie's Vormund.
Roman aus der englischen Gesellschaft.
von
Hans v. Hrldvungen.
(Fortsetzung.)
 
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