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Heft 27. JUnstvrrte Familien-Dertung. Zahrg. W4.


Jessie's Vorlunnd.

^oman ans der englischen Gefellschnft.

„Haben Sie sich überlegt, Miß Jefferson, was ich
Ihrem Onkel schreiben soll?" fragte Commins endlich.
»Ja."
„Nun?"^
„Da Sie mir nicht erlaubt haben, Herr Doktor, an

„Natürlich. Da Sie nicht damit einverstanden sein
werden, daß ich ihn anderswo spreche, so müßte es
freilich hier geschehen."
„Sie haben nicht erwartet, daß ich damit einver-
standen fein würde?"



Der kleine Kralnkant. Nach einem Gemälde von Hans Bachmann. (S. 646)

meinen Vetter Hugh einen Brief zu schreiben, den dritte
Personen nicht lesen, so bestehe ich darauf, daß ich
meinen Vetter vor allen Dingen persönlich spreche.
Von dein Ausfall der Unterredung hangt dann mein
endgiltiger Entschluß ab," antwortete Jessie langsam
und gemessen.
„Hm," entgegnete Doktor Eommins nach einer kur-
zen, nachdenklichen Pause noch immer etwas mißtrauisch,
„in diesem Falle müßte sich Ihr Vetter natürlich hier-
her bemühen."

stück gebracht und die Jesfie sofort mit
der Erfindungsgabe der Noth versteckt
hatte, das waren ihre ganzen Hilfsmittel.
Mit dem Bleiknopf unterstrich sie nun
auf der bedruckten Zeitung hier ein Wort,
da einen Buchstaben, machte hier ein
Komma, da einen Punkt — es war eine
mühsame Arbeit, aber sie gelang. Nur
mußte der Empfänger des Blattes wis-
sen, das; er nur die unterstrichenen Theile
der Zeitung zu lesen habe, und das konnte
Jessie nöthigensalls aus den Naud der
Zeitung schreiben. Dann schrieb sie auf
ein Stück alter Leinwand die genaue
Adresse des Doktor Strehlen. Aber nun
das Nöthigste — Daddy kam nicht!
Jessie lauschte von Stunde zu Stunde;
es ivar schon fast Mitternacht, und die
Magd kam nicht. Was nützte ihr nun
alle Energie, alle Schlauheit und Klug-
heit, nut der sie so mühsam ihren Plan
in's Werk gesetzt hatte? — Jessie schlief
in dieser ganzen Nacht nicht. Sie zählte
die Glockenschläge jeder Stunde und
horchte aus das geringste Geräusch. Der
Sturm fuhr sausend und heulend um
das einsame, auf der Höhe stehende Ge-
bäude und psifsdurch die niedrigen Zwerg-
tannen, die da und dort die Höhen be-
deckten, das war in den langen, bangen
Stunden Alles, was Jessie hörte. Hor-
chend, die großen Augen in die blinde
Finsternis; vor ihr gerichtet, lag sie aus

„Nein!"
Damit schien das Mißtrauen des Doktors beseitigt
zu sein, und die kleine List Jessie's, vor allen Dingei',
nur Zeit zu gewinnen und ihre Widersacher hinzuhalten,
schien gelungen zu sein. Commins ging wieder fort,
nachdem er erklärt hatte, den Brief ohne Verzug an
Mr. Jefferson absertigen zu wollen.
Gleichzeitig stellte sich aber wieder eine neue Schwie-
rigkeit ein. Als er fortging, schloß er, wie gewöhnlich,
die Thür von außen zu. Diesmal hörte aber Jessie
deutlich, ivie er auch den Schlüssel abzog
_ und mitnahm, was sonst nicht geschah.
M- MM Wie sollte sie nun mit Daddy weiter ver-
handeln?
Gleichwohl ging Jessie sofort an die
wettere Ausführung ihres Planes. Zu-
nächst handelte es sich um die Herstel-
lung der Mittheilung an Doktor Streh-
len. Das hatte seine Schwierigkeiten
insofern, als man Alles, was etwa zum
Schreiben dienen konnte, sorgfältig aus
ihrem Zimmer entfernt hatte. Sie hatte
weder Dinte, noch Feder, noch Papier.
Ein Bleiknops und eine Zeitung, in

Von
Halls v. Heldrungen.
(Fortsetzung.)

- (Nachdruck verboten.)
h, das sind solche Sachen," meinte die
Magd mißtrauisch aus Jessie's Vorschlag.
„Ich lause hier fort und weiß nicht, was
dann kommt. Das ist nicht-'
bleibe ich lieber hier und
halte es mit Doktor Com-
mins, statt mit Ihnen."
Jessie hätte weinen mö-
gen vor Schmerz und Jam-
mer. Auch diese schivache Hoffnung sollte
sich zerschlagen? Das Herz krampfte sich
ihr bei dein Gedanken zusammen. War
denn keine Rettung, keine Hilfe? Sie
nahm die schlampige Magd bittend bei
der Hand und sagte mit tieferer Stimme,
um nicht in Schluchzen auszubrechen:
„Daddy, um des Erlösers willen,
helfen Sie mir in der Noth, und ich
will Sie nicht verlassen mein Leben
lang. Bringen Sie meinen Brief nach
London. Sie bekommen sofort bei Ab-
lieferung an die richtige Adresse hun-
dert Pfund Sterling, und wenn ich
erst frei bin, sollen Sie eine Belohnung
erhalten, mit der Sie ein Geschäft an-
fangen und sich verheirathen können.
Wollen Sie denn ewig in Halssea-Castle
bleiben und sich schlagen lassen? Daddy,
seien Sie barmherzig mit einem elenden,
unglücklichen Geschöpf. Aus den Knicen
will ich Sie flehen, nur erbarmen Sie
sich meiner in der Noth!"
Auf dem Gange hörte inan Tritte.
„Still, Miß, der Herr kommt,"
flüsterte Daddy. „Ich komme nachher
zurück. Wir reden weiter."
Indem trat Doktor Commins ein.
„Was thust Du hier?" fuhr er die
Magd barsch an.
„Sehen Sie das nicht?" erwiederte
ihm diese grob.

„Na ja. Ich geh' ja schon!" entgeg-
nete Daddy und ging.
Jessie fühlte, wie der Blick des Dok-
tors mißtrauisch aus ihr ruhte. Sie wagte
nicht ausgublicken, aus Furcht, sich durch
Aufregung und Befangenheit zu ver-
rathen. Langsam und ruhig verzehrte
sie das Essen, das Daddy ihr gebracht
hatte. Jetzt galt's, klug zu sein, wenn
nicht Alles scheitern sollte.
 
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