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DIE DENKMÄLER DES 16. JAHRHUNDERTS.

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vom Flachrelief bis zu Freisculpturen über,
welche jenes auch in Form und Durchführung
weit hinter sich lassen. Bei der Erhabenheit des
Inhalts können die Mässigung der Affecte, die
oft ideale Gesichtsbildung, der treffliche Gewand-
wurf einen schönen und ergreifenden Eindruck
nicht verfehlen; das Bahmen- und Zierwerk,
die runden oder flachrunden Bögen der Felder
und das knospige Blattwerk des Oberrandes
spielen schon der Mitte des 16. Jahrhunderts
entgegen. Yermutlich ist das schöne Werk aus
Münster bezogen von Meister Johan oder Hen-
rich , deren Kunstfertigkeit wir schon unter
Winnenberg1 rühmten. — Nach der Wieder-
täuferzeit steuerte die Abtei zur Herstellung des
Inventars im Dome zu Münster feine Para-
mente bei.

Thomdrecke’s (1537—1542) Kunstliebe
bezeugen wahrscheinlich noch drei grosse Sculp-
turwerke; das älteste, eine Pieta in Holz mit
Johannes und der im Zeitcostüm bekleideten
Magdalena, verrät etwas harte und schematisch
aufgefasste Fleischtheile, natürliche und nicht
unbelebte Gewandung und rundliche Köpfe; der
Herr erhielt nach seinem, wie die Tradition
wollte, wahren Bilde eine langgereckte Gestalt.
,Die Gruppe ist ein Ueberbleibsel des in der
Neuzeit zerstörten Abts-Altares am mittleren :
Chorpfeiler.4

Etwas naturalistischer und jünger erscheint
das an der Console mit einem Wappen und
BIV bezeichnete Bild der Maria mit dem Kinde
über dem Nordportale und vor diesem ein grosser
Calvarienberg — beide aus Stein. Dort zeu-
gen schon die Formen des nackten Kindes, das
unruhige Gefält, die Behandlung des Haares
von einer manierirten Nachahmung Dürer’s: hier
naturalistische Antlitze, breite Stirnen, brüchige
Gewandung, lockiges Haar, und Magdalena in
der Zeittracht. Sie kniet und betet am Kreuzes-
fusse; seitlich stehen Maria und Johannes.

Die von hier übernommenen Glas ge mal de
dreier Fenster des Domes zu Münster mit den
Hauptscenen der Passion und kleineren Seiten-
bildern erfuhren längst anderswo eine Bespre-
chung, der wir nur noch hinzusetzen, dass ihre
Entwürfe unzweifelhaft vom Münsterischen Maler
Herman to Ring (1521/97) ausgehen, weil man

von gewissen ihm eigentümlichen Manieren und
hässlichen Zügen hier die Keime vernimmt.
Alles erwogen, dürfen wir sie schon der Zeit
von 1550 zuschreiben und, was den Glasbrenner
betrifft, zuerst einem damals vielbeschäftigten
Maler und Glasmacher Johan zu Coesfeld.

Damals wurden auf Holz für Marienfeld
oder Liesborn gemalt folgende Bruchstücke
eines Altares, welche aus der Sammlung Krüger
nach England veräussert sind: Christus vor

Pilatus, Christi Verspottung, Geisselung und
Kreuztragung, Christus vor Kaiphas, Christi
Auferstehung und Himmelfahrt, die Krönung
Maria’s und das jüngste Gericht.

Als der Kunsteifer bereits erkaltete, wurde
noch eine originelle, um nicht zu sagen maje-
stätische, Gürtlerarbeit beschafft — nämlich ein
Kronleuchter von 1,24m Höhe — Fig. 83 —.
Die Arme winden sich in zwei Kränzen oben
dünner, unten dichter und in horizontaler
Ebene sanft bis zu den breiten Tellern, und das
Mittelstück, welches nach unten in den ring-
haltenden Löwenkopf ausläuft, steigt mit zahl-
reichen wechselvollen Profilen zwischen den
Armkränzen und zwischen Ziervoluten bis zu
einem Knoten empor, an welchem vorkauernde
Figürchen neben aufsteigenden Voluten Wappen-
schilder mit: 1575 — HP und FE führen;
und auf demselben erscheint ein beflügelter
Heros mit den Wappen des Ordens und des
Abtes Fromme (1564—1597). In den Zier-
ringen und Blättern der Arme pulsirt noch das
volle Leben der Frührenaissance und in den
mit Querschnitten belebten Voluten bricht wie-
der ein Motiv an, welches sich den krausen
Giebeln der Steinarchitektur mittheilt.

Die Chronik weiss von den Kunstschöpfun-
gen des 16. Jahrhunderts wenig mehr, und
spricht erst wieder von solchen des Abtes Kolle,
der anscheinend der zweite Reformator des
Klosters wurde. Er liess, wie schon erwähnt,
ein zweites Flügelpaar am Hochaltäre anbrin-
gen und an der Wand sein Bildniss malen, wie
er in schwarzer Kaputze (cuculla) vor dem Ge-
kreuzigten kniet.

Eine Bemerkung zur allgemeinen Kunst-
geschichte : Bald nachdem die gleichartigen

Werke zu Marienfeld hergestellt sind, erstehen
 
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