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DIE KMSTZUSTÄNDE L1I 1700.

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Graviren), ihre Vertreter und das Hofkünstlertum
den Ton an; die übrigen zählen kaum mit und
der ,Künstler4 handhabt nur mehr eine (Special-)
Kunst. Die Kunstzweige verzichten auf Gegen-
seitigkeit und Formenaustausch, vereinsamen
und verarmen; von technischen Fertigkeiten ver-
siegt mehr, als wiedererspriesst. Den bildenden
(und Klein-)Künsten nahm fortab die Archi-
tektur von Ludwig XIV. mit Wuth gefördert,
in dickleibigen Bü-
chern empfohlen
den Vorrang. Nach-
dem die alten Bau-
leute neben der
Schablone (verein-
zelt vor 1440) Skiz-
zen oder grössere An-
sichten (idea, imago,
specimen . . . .) be-
nutzt, in der Renais-
sance Ausländer
solche für Bauten
und heimische Maler
und Goldschmiede
(Tischler) auch für
allerhand Kunst-
und Kleinwerke ent-
worfen , zeichneten
jetzt, wie unter Sas-
senberg vermerkt,
regelmässiger (In-
genieure) Architek-
ten, zunächst Aus-
länder (im Norden
oft Franzosen) ganze ,Pläne,4 — der Meister
der Zunft und Erfahrung behielt das Ausführen
ohne künstlerische Verantwortung und Freude;
dass Plan und Ausführung auseinander fielen,
sah man zu Marienfeld schon bald am Hoch-
altäre. Erstanden vormals Burg und Kloster
als Gruppenbauten, die Gebäude nach und neben
einander, wie es Zeit und Bedürfniss verlangten,
also Röchst wechselvoll und malerisch, so ordnete
sich jetzt das Ganze nach hohen symmetrischen
Fluchten mit hellen Räumen, weiten Perspektiven
und in gedankenloser Einförmigkeit. Die Zier-
künste, von denen unter ,Everswinkel4 Rede war,
durften ihre heiteren Beigaben höchstens dem

Innern reichen. Die schillernde Polychromie
zumal schwindet den Wänden und Kleinwerken
oder schlägt allgemach in schreiende Wenig-
oder Einfarbigkeit aus. Was zügelte noch den
Weissquast?

Zur Belebung der todten Flächen und
der hohlen Räumlichkeiten recken sich die
Geräte und Möbeln ins Uebermaass und die
Behänge und Tafelbilder in jenes von Wand-
gemälden. Sogar
Garten und Park
fügten sich dem
steifen Linienzwange
der Architektur.
Dass allmälig, ab-
gesehen von den
Zunftwirren, effect-
haschende Kuppel-
malereien, unerwar-
tete Ueberladungen,
englische Gärten,
glitschernde Grot-
tenbauten, Fächer
und Nippsachen,
eine tolle Willkür
der Formen, über-
haupt das Rococco,
dem allerdings zu
Marienfeld wenig zu
schaffen blieb, sich
wie im bunten
Durcheinander ein-
mischten, war nichts,
als eine Reaction
gegen das Uebergewicht der flachen Linien, der
architektonischen Schwere, die sich überall
durchfühlte; dennoch blieben die Gemüter un-
gestillt und als sie sich an der Musik und
Poesie wirklich erholen konnten, lag der leben-
dige Kunststil in den letzten Zügen.

Wie längst die Maler, räumten die Meister,
selbst Tischler und Goldschmiede, mehrfach
auswärtigen ,Künstlern4 das Feld und scheuten,
aus Verdienst und Uebung verwiesen, schliess-
lich deren Concurrenz; der Unverwüstlichkeit
des Handwerks, der Bürgerschaft, die sich noch
an den Mitbürger wandte, der decorativen
Grundstimmung des Rococco gebührt die An-

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