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Schlußsteiil aus dem „Zwinger" in Dresden.
Nach einer Photographie von Bildhauer Schildbach. (Vriginalaufnahme für das Werk von Schmidt und Schildbach: „Der königl. Zwinger in Dresden",
Gust. W. Seitz in haniburg.) Autotypie von V. Lonfee in München.
Von Julius Lessing. Nachdruck verboten.
die deutsche Möbelindustrie der letzten Periode
mit auch nur mäßiger Aufmerksamkeit verfolgt
hat, der muß bemerkt haben, daß wir uns
in einem unbequemen Nebergangszustand be-
finden. Wir hatten in den siebziger Jahren gemeint, bei
einer Verrichtung unserer Wohnungen angelangt zu sein,
welche auf lange hinaus — womöglich auf ewige Zeiten —
als eine Art von Nationalstil allen unfern Bedürfnissen
entsprechen würde. Das Stichwort hieß Renaissance, deutsche
Renaissance. Wir alle wissen, wie viel erfreuliches uns diese
Fluthwelle gebracht hat, eine kräftige Erscheinung des Raumes,
echtes Material, kerniges deutsches cholz, lustige Schnitzerei,
sinnbildlichen, das Gemüth anheimelnden Schmuck, die Freude
an der künstlerischen Ausstattung mit malerischem Geräth.
Das ist schon eine tüchtige Leistung, die inan nicht ver-
gessen darf, wenn man jetzt nach neuen Wegen sucht.
Aber ein bestimmter Nebelstand haftet den Möbeln
im Renaissancestil seit ihrer Wiedereinführung an: sie sind
zu schwer. Im Anfang ließ man es gelten, man freute
sich der mächtigen Eichenplanken und Säulen an Stelle des
platten charakterlosen Mahagonis, welches sie verdrängten;
ja man steigerte diesen Eindruck, indem man Giebel und
Gesimse häufte, die Säulen als Aaryatiden ausbildete, auf
besondere Sockel und Eonfolen stellte und schließlich aus
jedem Schranke eine Art von Prunkbau machte, an welchem
jedes in der wirklichen Architektur maßvolle Glied ius
Schwellen gerieth. Man entlehnte dem Barockstil die ge-
drehten Säulen, die geknickten Giebel, die Mbelisken, welche
auf Äugeln balanciren und so ging es lustig weiter ins
Nngeheuerliche hinein. Man mag sagen: das sind Aus-
artungen, die den eigentlichen Renaissancestil nichts angehen.
Gewiß! Tüchtige Architekten haben auch zu mäßigen ver-
sucht, aber ein schwer lastendes Grundübel des Stiles haben
sie niemals beseitigen können: das Renaissance-Möbel ist
nach einseitig architektonischen Regeln gebildet!
Jeder Renaissance-Schrank stellt eine Art von Bau-
werk dar, dessen Grundform dein gricchisch römischen Säulen-
bau entlehnt ist. Die Eckpfeiler sind Säulen oder Pilaster,
das Gbertheil ist ein Gesims, das Nntertheil ein Sockel;
wenn mehrere Abtheiluugen nöthig sind, so treten zwei
Säulenreihen auf, allenfalls mit Eonsolen abwechselnd. And
die Folge davon? Die Verhältnisse des Möbels werden
nicht mehr nach dein wirklichen Bedürfniß bestimmt, sondern
nach küiistlerischen Grundanschauungen, welche im Bau und
sogar im Steinbau wurzeln. Das polzgerüst, welches so
gefügig jegliche Art von Raumbildung gestattet, konmit
nicht zu seinem Recht; wir haben schwere Gesimsmassen,
wo wir ein freies Brett wünschen; dicke Eckpfosten, wo wir
geriie eine bewegliche Ecke hätten; breite Schubladeii als
Aarnies gestaltet, wo wir ein offenes Fach gebrauchen u. s. w.
Dieser Vorwurf läßt sich auch deii Möbeln der wirklichen
Renaissance, den Nürnberger und Danziger Schränken des
Zeitschrift des bayer. Kunstgerverbe-vereins München.
*893. Heft 5 & 6. (Bg. *.)
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Schlußsteiil aus dem „Zwinger" in Dresden.
Nach einer Photographie von Bildhauer Schildbach. (Vriginalaufnahme für das Werk von Schmidt und Schildbach: „Der königl. Zwinger in Dresden",
Gust. W. Seitz in haniburg.) Autotypie von V. Lonfee in München.
Von Julius Lessing. Nachdruck verboten.
die deutsche Möbelindustrie der letzten Periode
mit auch nur mäßiger Aufmerksamkeit verfolgt
hat, der muß bemerkt haben, daß wir uns
in einem unbequemen Nebergangszustand be-
finden. Wir hatten in den siebziger Jahren gemeint, bei
einer Verrichtung unserer Wohnungen angelangt zu sein,
welche auf lange hinaus — womöglich auf ewige Zeiten —
als eine Art von Nationalstil allen unfern Bedürfnissen
entsprechen würde. Das Stichwort hieß Renaissance, deutsche
Renaissance. Wir alle wissen, wie viel erfreuliches uns diese
Fluthwelle gebracht hat, eine kräftige Erscheinung des Raumes,
echtes Material, kerniges deutsches cholz, lustige Schnitzerei,
sinnbildlichen, das Gemüth anheimelnden Schmuck, die Freude
an der künstlerischen Ausstattung mit malerischem Geräth.
Das ist schon eine tüchtige Leistung, die inan nicht ver-
gessen darf, wenn man jetzt nach neuen Wegen sucht.
Aber ein bestimmter Nebelstand haftet den Möbeln
im Renaissancestil seit ihrer Wiedereinführung an: sie sind
zu schwer. Im Anfang ließ man es gelten, man freute
sich der mächtigen Eichenplanken und Säulen an Stelle des
platten charakterlosen Mahagonis, welches sie verdrängten;
ja man steigerte diesen Eindruck, indem man Giebel und
Gesimse häufte, die Säulen als Aaryatiden ausbildete, auf
besondere Sockel und Eonfolen stellte und schließlich aus
jedem Schranke eine Art von Prunkbau machte, an welchem
jedes in der wirklichen Architektur maßvolle Glied ius
Schwellen gerieth. Man entlehnte dem Barockstil die ge-
drehten Säulen, die geknickten Giebel, die Mbelisken, welche
auf Äugeln balanciren und so ging es lustig weiter ins
Nngeheuerliche hinein. Man mag sagen: das sind Aus-
artungen, die den eigentlichen Renaissancestil nichts angehen.
Gewiß! Tüchtige Architekten haben auch zu mäßigen ver-
sucht, aber ein schwer lastendes Grundübel des Stiles haben
sie niemals beseitigen können: das Renaissance-Möbel ist
nach einseitig architektonischen Regeln gebildet!
Jeder Renaissance-Schrank stellt eine Art von Bau-
werk dar, dessen Grundform dein gricchisch römischen Säulen-
bau entlehnt ist. Die Eckpfeiler sind Säulen oder Pilaster,
das Gbertheil ist ein Gesims, das Nntertheil ein Sockel;
wenn mehrere Abtheiluugen nöthig sind, so treten zwei
Säulenreihen auf, allenfalls mit Eonsolen abwechselnd. And
die Folge davon? Die Verhältnisse des Möbels werden
nicht mehr nach dein wirklichen Bedürfniß bestimmt, sondern
nach küiistlerischen Grundanschauungen, welche im Bau und
sogar im Steinbau wurzeln. Das polzgerüst, welches so
gefügig jegliche Art von Raumbildung gestattet, konmit
nicht zu seinem Recht; wir haben schwere Gesimsmassen,
wo wir ein freies Brett wünschen; dicke Eckpfosten, wo wir
geriie eine bewegliche Ecke hätten; breite Schubladeii als
Aarnies gestaltet, wo wir ein offenes Fach gebrauchen u. s. w.
Dieser Vorwurf läßt sich auch deii Möbeln der wirklichen
Renaissance, den Nürnberger und Danziger Schränken des
Zeitschrift des bayer. Kunstgerverbe-vereins München.
*893. Heft 5 & 6. (Bg. *.)
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