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16. Jahrhunderts nicht ersparen. Welch ein Aufwand von
polz und von Gliedern, um einen Raum zu bilden, der
nur halb so groß ist, als ihn einfache Bretter auf gleicher
Grund- und Wandfläche gegeben hätten. Aber diese kolossalen
Schränke gehörten in päuser, bei denen Platz im Neberfluß
war, sie standen auf den großen Vorfluren, wo sie eine Art
Täfelung bildeten. Man vergleiche dainit die zweifellos
für das Wohn- und Schlafzimmer bestimmten, aber in viel
geringerer Zahl erhaltenen Möbel, wie die schwäbischen
Fußendkästen. Da sind glatte Bretter mit ganz mäßigem
Gesims und voller Raumausnutzung. Die nordische Möbel-
tischlerei der Renaissance hat mit den ihr zugeführten antiken
Säulen eine Art von Kampf aufgeführt; es galt, die Stein-
formen zu überwinden, sie tischlergerecht zu gestalten.
Nirgends ist dies bester geschehen als in den holländischen
Möbeln des \6. Jahrhunderts. Aber hierzu bedurfte es
einer gewissen Naivität. Man darf Kunstformen nicht all-
zugenau kennen, wenn man sie muthig knicken soll. Nur
die harmlose Volkssprache macht aus dem Fremdwort ein
wahrhaft deutsches, aus urcubalisM: Armbrust, aus Milano:
Mailand, aus moi tout seul: mutterseelenallein. Der Ge-
bildete schleppt sich mit allen Buchstaben von Bureau,
Lomptoir, Rouleaux rc. Und wir sind leider in der Kunst
so schrecklich gebildet, wir wissen so beunruhigend genau,
wie jedes Bauglied vom Parthenon her über das Kolosseum
und Peterskirche ausfehen inuß! Wie sollen wir es an-
fangen harmlos fortzulassen, was wir nicht gerade brauchen
und aus dem Rest vergnüglich etwas neues zu bilden? Wir
müssen es uns gefallen lasten, daß die kunsthistorischen
Studien und die Photographen jeden Tag neuen Brenn-
stoff an unsre Gehirnkasten anfahren. In dieser Ueber-
heizung packt gerade den meist Gebildeten am dringendsten
das Bedürfniß, sich kopfüber in ein kaltes Wasser zu stürzen,
in eine frische Natur, in welcher von Säulenordnungen,
Triglyphen und Architraven nicht mehr die Rede ist.
Tin solches frisches Bad ist die Gothik, wenigstens in
dem Möbelwesen. In den dreißiger Jahren kam die Gothik
bei uns auf, damals war sie nicht frisch, sondern ein ab-
gelegter unverstandener Kirchenstil. Jetzt steht es anders.
Wir haben das gothische prosanmöbel kennen gelernt und
wissen, wie einfach und gescheidt es konstruirt ist. Nichts
von Bauformen! Die Pfosten und Bretter werden an-
einander und ineinander geschoben, wie das Bedürfniß es
erheischt, inan bildet nach Belieben offene Fächer, Thüren
oder Schubladen und dekorirt die Flächen wie man Lust hat,
während die eigentlichen Pfosten und Stützen keine Kunst-
form beanspruchen, also in ihren Abmessungen ganz un-
beschränkt sind. Das ist konstruktives Möbel genüber dem
architektonischen.
Die Klassiker sagen: das ist das Küchenmöbel, das Möbel
des armen Mannes gegenüber dem Kunstmöbel! Da ist
etwas Wahres daran, aber die Engländer haben gezeigt,
daß man auch diese Formen, die arm am Geiste sind, in
das pimmelreich der Kunst einführen kann.
Die besten pilfskräfte auf diesem Feldzuge zu Gunsten
konstruktiver Möbel waren die Japanischen Möbel.
Pier ist nichts von Architektur, alles nur Brett und Stütze,
alles genau in den Abmessungen, die man an jeder Stelle
gebraucht, ohne durch irgendwelche stilistischen Reminiscenzen
gestört zu werden. And wie geschickt hat sich die dekorative
“t
Kunst diesem einfachen Gestell anzuschmiegen gewußt! An
den vierkantigen pölzern ist nichts von Schnitzerei oder
plastischer Form, lediglich die Fläche ist betont. Die edelste
Lackmalerei, sauber und schier unverwüstlich in ihrer palt-
barkeit, wird verwendet, die Grundfarbe ist tief dunkel,
damit die als Schmuckgeräth aufgesetzten Porzellan- und
Metallgeräthe sich leuchtend davon abheben. Der Mannig-
faltigkeit dieser Schmuckgeräthe entspricht die Verschiedenheit
in der pöhe der Fächer und Kästen, die Symmetrie wird
geflissentlich unterbrochen, um nicht zu einer Aufstellung
mit Mittel- und Seitenstücken zu nöthigen, wie etwa unser
architektonisch gehaltener Kamin sie erheischt, pierin liegt
der eigentümliche Reiz dieser japanischen Schränke für einen
Beschauer, der hinreichend weiß, daß dies keine eigentlichen
Gebrauchsmöbel sondern selbst nur Schmuckstücke, nur der
Rahmen für Ziergefäße sind. Aber in der kapriciösen Un-
regelmäßigkeit liegt zugleich für die große Menge, selbst
unserer kunstliebenden Kreise, etwas Befremdendes, sogar
Abstoßendes. Man läßt sie nur als Kuriosa zu, man
will rms nicht glauben, daß aus ihnen auch für uns viel
zu lerneri ist, wenn wir wieder zu einfachen konstruktiven
Möbelformen koinmen wollen.
Aus diesen: Grunde möchte ich hier ein japanisches
Möbel mit einigen Details vorführen, welches unter dieser
Differenz der Lebensgewohnheiten nicht leidet, sondern ohne
Weiteres mit besten: Erfolge in unser Zimmer gestellt
werden kann und dessen Einzelheiten nian daher ohne Vor-
eingenommenheit würdigen wird. Es ist eine Stellwand,
kopfeshoch, dazu bestimmt, die Ecke eines Zinrmers in
leichter Fornr abzutheilen. Aus den Zeichnungen (S. 5\—55)
wird die Fornr ohne Weiteres deutlich. Das Witzigste an ihr
ist die Verbindung niit den: kleinen Schrank. Dadurch wird
die Wand standfest, an Stelle der sonst nöthigen Ausladung
der Füße wird ein Raun: zur Aufbewahrung kleinen pand-
geräthes und eins Fläche zun: Aufstellen von Vasen ge-
wonnen. Pöchst geschickt ist ferner die Theilung der eigent-
lichen Wand. Nur das schmale Mitteltheil ist ganz ge-
schlossen; rechts und links sind Meffnungen, die man beliebig
durch einen Stoff decken oder als Licht- und Luftspender
offen lassen kann. Welche Fülle reizender Decorationsrnotive
ergeben sich ohne weiteres, wir haben sie in der Zeichnung
nur angedeutet, sie lassen sich in's Unendliche vermehren.
An dem festen Theil der Wand ist ein bronzenes pänge-
gefäß angebracht, in welches die Japaner einzelne blühende
Zweige zu stecken belieben. Daß statt der rechts schwebenden
Kugel eine Blumenampel, eine Lampe, ein Vogelbauer Platz
finden kann, versteht sich von selbst. Die glatte Wand der
pinterseite läßt sich nnt Leichtigkeit Herrichten, um Bilder,
Photographieen u. drgl. anzubringen. Die Anlage der
pöhen reicht gerade hin, uni ein Ruhebett samnrt dem
Ruhenden den: Auge zu entziehen, die verschiedene Breite
der Wandtheile dient wesentlich zur lebendigen Wirkung.
And nun beachte man die Eonstruction und die Ver-
zierung in: Einzelnen. Die Eonstruction ist nichts als fest-
gefügtes Rahmenwerk, nirgend ein Eentimeter breit für-
plastische Schmuckform, daher die durchsichtige Leichtigkeit
des Ganzen. Die schmale Wandfläche ist geschnitzt nnt einen:
ganz flach gehaltenen Flechtnmster (Abb. S. 55.) Etwas be-
wegter und reicher sind die Füllungen der Zwickel und der
Einfassung des Schrankbrettes. Sonst alles nur Lackmalerei.
16. Jahrhunderts nicht ersparen. Welch ein Aufwand von
polz und von Gliedern, um einen Raum zu bilden, der
nur halb so groß ist, als ihn einfache Bretter auf gleicher
Grund- und Wandfläche gegeben hätten. Aber diese kolossalen
Schränke gehörten in päuser, bei denen Platz im Neberfluß
war, sie standen auf den großen Vorfluren, wo sie eine Art
Täfelung bildeten. Man vergleiche dainit die zweifellos
für das Wohn- und Schlafzimmer bestimmten, aber in viel
geringerer Zahl erhaltenen Möbel, wie die schwäbischen
Fußendkästen. Da sind glatte Bretter mit ganz mäßigem
Gesims und voller Raumausnutzung. Die nordische Möbel-
tischlerei der Renaissance hat mit den ihr zugeführten antiken
Säulen eine Art von Kampf aufgeführt; es galt, die Stein-
formen zu überwinden, sie tischlergerecht zu gestalten.
Nirgends ist dies bester geschehen als in den holländischen
Möbeln des \6. Jahrhunderts. Aber hierzu bedurfte es
einer gewissen Naivität. Man darf Kunstformen nicht all-
zugenau kennen, wenn man sie muthig knicken soll. Nur
die harmlose Volkssprache macht aus dem Fremdwort ein
wahrhaft deutsches, aus urcubalisM: Armbrust, aus Milano:
Mailand, aus moi tout seul: mutterseelenallein. Der Ge-
bildete schleppt sich mit allen Buchstaben von Bureau,
Lomptoir, Rouleaux rc. Und wir sind leider in der Kunst
so schrecklich gebildet, wir wissen so beunruhigend genau,
wie jedes Bauglied vom Parthenon her über das Kolosseum
und Peterskirche ausfehen inuß! Wie sollen wir es an-
fangen harmlos fortzulassen, was wir nicht gerade brauchen
und aus dem Rest vergnüglich etwas neues zu bilden? Wir
müssen es uns gefallen lasten, daß die kunsthistorischen
Studien und die Photographen jeden Tag neuen Brenn-
stoff an unsre Gehirnkasten anfahren. In dieser Ueber-
heizung packt gerade den meist Gebildeten am dringendsten
das Bedürfniß, sich kopfüber in ein kaltes Wasser zu stürzen,
in eine frische Natur, in welcher von Säulenordnungen,
Triglyphen und Architraven nicht mehr die Rede ist.
Tin solches frisches Bad ist die Gothik, wenigstens in
dem Möbelwesen. In den dreißiger Jahren kam die Gothik
bei uns auf, damals war sie nicht frisch, sondern ein ab-
gelegter unverstandener Kirchenstil. Jetzt steht es anders.
Wir haben das gothische prosanmöbel kennen gelernt und
wissen, wie einfach und gescheidt es konstruirt ist. Nichts
von Bauformen! Die Pfosten und Bretter werden an-
einander und ineinander geschoben, wie das Bedürfniß es
erheischt, inan bildet nach Belieben offene Fächer, Thüren
oder Schubladen und dekorirt die Flächen wie man Lust hat,
während die eigentlichen Pfosten und Stützen keine Kunst-
form beanspruchen, also in ihren Abmessungen ganz un-
beschränkt sind. Das ist konstruktives Möbel genüber dem
architektonischen.
Die Klassiker sagen: das ist das Küchenmöbel, das Möbel
des armen Mannes gegenüber dem Kunstmöbel! Da ist
etwas Wahres daran, aber die Engländer haben gezeigt,
daß man auch diese Formen, die arm am Geiste sind, in
das pimmelreich der Kunst einführen kann.
Die besten pilfskräfte auf diesem Feldzuge zu Gunsten
konstruktiver Möbel waren die Japanischen Möbel.
Pier ist nichts von Architektur, alles nur Brett und Stütze,
alles genau in den Abmessungen, die man an jeder Stelle
gebraucht, ohne durch irgendwelche stilistischen Reminiscenzen
gestört zu werden. And wie geschickt hat sich die dekorative
“t
Kunst diesem einfachen Gestell anzuschmiegen gewußt! An
den vierkantigen pölzern ist nichts von Schnitzerei oder
plastischer Form, lediglich die Fläche ist betont. Die edelste
Lackmalerei, sauber und schier unverwüstlich in ihrer palt-
barkeit, wird verwendet, die Grundfarbe ist tief dunkel,
damit die als Schmuckgeräth aufgesetzten Porzellan- und
Metallgeräthe sich leuchtend davon abheben. Der Mannig-
faltigkeit dieser Schmuckgeräthe entspricht die Verschiedenheit
in der pöhe der Fächer und Kästen, die Symmetrie wird
geflissentlich unterbrochen, um nicht zu einer Aufstellung
mit Mittel- und Seitenstücken zu nöthigen, wie etwa unser
architektonisch gehaltener Kamin sie erheischt, pierin liegt
der eigentümliche Reiz dieser japanischen Schränke für einen
Beschauer, der hinreichend weiß, daß dies keine eigentlichen
Gebrauchsmöbel sondern selbst nur Schmuckstücke, nur der
Rahmen für Ziergefäße sind. Aber in der kapriciösen Un-
regelmäßigkeit liegt zugleich für die große Menge, selbst
unserer kunstliebenden Kreise, etwas Befremdendes, sogar
Abstoßendes. Man läßt sie nur als Kuriosa zu, man
will rms nicht glauben, daß aus ihnen auch für uns viel
zu lerneri ist, wenn wir wieder zu einfachen konstruktiven
Möbelformen koinmen wollen.
Aus diesen: Grunde möchte ich hier ein japanisches
Möbel mit einigen Details vorführen, welches unter dieser
Differenz der Lebensgewohnheiten nicht leidet, sondern ohne
Weiteres mit besten: Erfolge in unser Zimmer gestellt
werden kann und dessen Einzelheiten nian daher ohne Vor-
eingenommenheit würdigen wird. Es ist eine Stellwand,
kopfeshoch, dazu bestimmt, die Ecke eines Zinrmers in
leichter Fornr abzutheilen. Aus den Zeichnungen (S. 5\—55)
wird die Fornr ohne Weiteres deutlich. Das Witzigste an ihr
ist die Verbindung niit den: kleinen Schrank. Dadurch wird
die Wand standfest, an Stelle der sonst nöthigen Ausladung
der Füße wird ein Raun: zur Aufbewahrung kleinen pand-
geräthes und eins Fläche zun: Aufstellen von Vasen ge-
wonnen. Pöchst geschickt ist ferner die Theilung der eigent-
lichen Wand. Nur das schmale Mitteltheil ist ganz ge-
schlossen; rechts und links sind Meffnungen, die man beliebig
durch einen Stoff decken oder als Licht- und Luftspender
offen lassen kann. Welche Fülle reizender Decorationsrnotive
ergeben sich ohne weiteres, wir haben sie in der Zeichnung
nur angedeutet, sie lassen sich in's Unendliche vermehren.
An dem festen Theil der Wand ist ein bronzenes pänge-
gefäß angebracht, in welches die Japaner einzelne blühende
Zweige zu stecken belieben. Daß statt der rechts schwebenden
Kugel eine Blumenampel, eine Lampe, ein Vogelbauer Platz
finden kann, versteht sich von selbst. Die glatte Wand der
pinterseite läßt sich nnt Leichtigkeit Herrichten, um Bilder,
Photographieen u. drgl. anzubringen. Die Anlage der
pöhen reicht gerade hin, uni ein Ruhebett samnrt dem
Ruhenden den: Auge zu entziehen, die verschiedene Breite
der Wandtheile dient wesentlich zur lebendigen Wirkung.
And nun beachte man die Eonstruction und die Ver-
zierung in: Einzelnen. Die Eonstruction ist nichts als fest-
gefügtes Rahmenwerk, nirgend ein Eentimeter breit für-
plastische Schmuckform, daher die durchsichtige Leichtigkeit
des Ganzen. Die schmale Wandfläche ist geschnitzt nnt einen:
ganz flach gehaltenen Flechtnmster (Abb. S. 55.) Etwas be-
wegter und reicher sind die Füllungen der Zwickel und der
Einfassung des Schrankbrettes. Sonst alles nur Lackmalerei.