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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0257

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Zweites Kapitel. Das Ciboriam 241

stimmten, konnten natürlich auch auf das Altarciborium nicht ohne Einfluß bleiben.
Man verläßt den quadratischen Grundriß und stellt die Säulen in einem nach
rückwärts gerichteten Trapez auf, wie z. B. in St. Peter zu Mainz (Tafel 175}, in der
Pfarrkirche zu Willen bei Innsbruck und in der ehemaligen Ritterkirche zu Komburg
bei Schwäbisch-Hall u. a., um auf diese Weise eine stärkere perspektivische Wirkung
zu erzielen und eine größere Tiefe vorzutäuschen. Auch ordnet man sie oft im
Halbkreis oder im Halboval um den Altar an, so daß das Ciborium an eine Apsts,
die Yolulen an die Wölbung derselben erinnern. Die Zahl der Säulen steigt dabei
oft von vier auf sechs. Wir finden die Säulen, deren in solchen Fällen wenigstens
sechs vorbanden sein mußten, seihst auf der Grundlage eines Dreiviertel- oder eines
Vollovals aufgestellt, wie z. B. bei den Hochaltareiborien in der Kathedrale zu
Tarbes (Hautes-Pyrcnees), in Nctrc-Dame zu Caen'und der Kirche Val-de-Grace
zu Paris. Wurden sie im Halbkreis um den Altar herum angebracht, so verdoppelte
man wohl, um die Breitenwirkung zu steigern, die vorderen Säulen, wie z. B. bei
dem Ciborium des Hochaltares in der Kathedrale zu Angers, der Kirche zu Courlon
(Yonne), der ehemaligen Jesuilenkirche zu Mannheim u. a.. unbekümmert um die
Beeinträchtigung, welche dadurch der Ciboriunicharakter des Überbaues erlitt. In
der Kirche Notre-Dame la Dalbade zu Toulouse schließt sich an das Ciborium
des Hochaltares, das vorne eine korinihisrhe Säule, an der Wand einen korinthischen
Pilaster als Stütze des Gebälkes zeigt, beiderseits ein mächtiger portalartiger Anbau
an, der von korinthischen Säulen und einem sie verbindenden, mit Draperien und
sitzenden Engelchen geschmückten Rundbogen gebildet wird.

Das Gebälk, welches die Kapitelle der Säulen verbindet — wenn mau bei
manchem überhaupt noch von einem solchen sprechen kann —, wiederholt in seinem
Lauf meist den Grundriß des Ciboriums, doch nicht immer. So sind beispielsweise
bei dem Überbau des Ilochaltares der Kapelle des Lyzeums zu Tours die vier Säulen
im Rechteck angeordnet, die denselben anfliegenden Baiken bilden dagegen ein vorne
und hinten mit je drei Seiten über den Grundriß vortretendes Achteck. Die im
irain/ aiu'gesu-iüen Saii:e:i (u- luikokniilxn'hims in der Fiaivkirche zu Willen bei
Innsbruck tragen abweichend ein im Oval verlaufendes Gebälk. Bei den im Halb-
kreis stehenden Säulen des Ciboriums in St. Emmeram zu Mainz sind die vorderen
Säulen mit den ihnen entsprechenden hinteren durch einen gekrümmten Balken, die
beiden hinleren miteinander aber durch einen Rundbogen verkoppelt.

Seiner Beschaffenheit nach ist der Balken, welcher die Säulen verbindet,
bald ein vollständiges Gebälk, bald nur ein Sims, die Fortsetzung des Kranzgesimses
der den Säulen aufgesei/lei> Geiiälkslüeke, bnhl ein diesen aufliegender besonderer
Architekturteil. Bei dem Ciborium in Val-de-Gräce zu Paris hat er sogar die Form
eines riesigen, mit Ähren behangenen, ein Oval bildenden Garbenkranzes. Bei
Ciborien aus der Zeit des Rokoko erscheint er bisweilen sich wie in Krämpfen
windend und aufbäumend. Charakteristische Beispiele bieten das schon erwähnte
Ciborium in der Pfarrkirche zu Wüten und das Hochaltarciborium in St. Peter zu
Mainz. Ähnlicher Art, nur etwas weniger bewegt, ist das Ciborium des Hochaltares
der Pfarrkirche zu Alzenau5.

Auch die Voluten zeigen im Spätbarock, besonders aber unter der Herrschaft
des Rokoko, die Sinnlesesten, abenteuerlichstes Formen. Das gerade Gegenteil sind
die Voluten der Ciborien aus der Zeit des Klassizismus und des Empire, wie die
Ciborien dieser Stile überhaupt steif vornehme, verstandesmäßig nüchterne Bil-
dungen. Ein hervorragend typisches Beispiel eines Empireciboriums ist das des
Hochaltares in St. Ignnz zu Main/, (Tafel 175), wie denn überhaupt die Mainzer Kirchen
besonders reich sind an Aliarciborien aus der Zeit des Rokoko, des Klassizismus
und des Empire. Es finden sich dort solche in St. Peter, St. Quintin, St. Emmeram,
St. Ignaz und in der ehemaligen Augustinerkirche, jetzt Kirche des Prieslerseminars.

8 Kd. des Königr. Bayern, Unterlrauken, BA. Alzenau, HL 1.

Braun, Der christliche Altar II. '6
 
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