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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0335

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Viertes Kapitel. Formale und stilistische Ausgestallung des Retabels 319

Brauch und Herkommen, die in den verschiedenen Ländern und Gegenden einen sehr
großen, vielleicht den Haupteinfluß auf die formale Ausgestaltung des Retabels hatten.
Wenn wir die schier endlose Reihe von Altarretabeln, welche die Vergangenheit, Mittel-
alter wie nach mittelalterliche Zeit hervorbrachten, ungeachtet aller Verschieden-
heiten, die selbst zwischen Werken der gleichen Periode und des gleichen Landes be-
stehen, immerhin in bestimmte Typen scheiden können, so verdanken wir das haupt-
sächlich, ja wesentlich dem tiefgreifenden Einfluß, welchen Brauch und Herkommen
auf die Formgestaltung der Altarretabel ausübten. Sie bildeten auch eine heilsame
Schranke für die Künstler, ohne ihnen den nötigen Spielraum für die Verwirklichung
ihrer Ideen zu nehmen, verhinderten, daß Willkür und Wirrwarr im Retabel einrissen
und waren die Grundlage für eine gesunde, ruhig fortschreitende Entwicklung des
Retabelbaues.

Die Zeit des romanischen Stiles ist die erste Periode des Retabels. Es steht in
ihr in seinen Anfängen; sie ist darum noch arm an Typen desselben. Unter der
Herrschaft der Gotik kommt das Retabel zu seiner vollen Entwicklung. Mannig-
fallig sind die Typen, in die es nun ausgereift erscheint. Die Renaissance schafft
dann im Anschluß an die klassische Ädikula einen neuen Typus, der von Italien aus
alimählich überall eindringt und unter der Herrschaft des Barocks allgemein der
den Retabelbau beherrschende Typus wird.

I. DAS RETABEL DES ROMANISCHEN STILES
Der Haupttypus des romanischen Retabels ist die Bildertafel.
Bildertafeln waren die Metallaufsätze aus dieser Zeit,' Bildertafeln die ge-
malten romanischen Retabeln. Bildertafeln sind auch die mit plastischen
Darstellungen ausgestatteten Retabeln aus Holz und Stein, welche wir aus
dieser Periode besitzen. Oben schließt die Tafel wohl meist geradlinig ab,
wie bei dem Steinretabel in St-Denis, dem Steinretabel in Carrieres-
St-Denis, dem romanischen Steinretabel aus Rosport in der Quirinus-
kapelle zu Luxemburg, den mit Email verzierten Metaliretabeln im Kloster
Silos und im Museum zu Burgos und einer gemalten Altartafel aus Soest
im Kaiser-Friedrich-Museum mit den Darstellungen der Trinität, Marias und
des hl. Johannes Er.1.

Daß man sich jedoch keineswegs allzeit mit schlichten rechteckigen Tafeln be-
gnügte, sondern schon bald darauf ausging, der oberen Seite eine gefälligere Linien-
führung zu geben, zeigen das Retabel von Koblenz mit der in der Mitte der Oberseite
angebrachten halbkreisförmigen Überhöhung (Tafel 19S), das in Privatbesitz zu
Barcelona befindliche Retabel aus St-Martin bei Angoustrine mit seinen drei halb-
kreisförmigen Überhöhungen*, das aus Quedlinburg stammende gemalte Retabel im
Kaiser-Friedrich-Muse um, bei dem an die Stelle der oberen Seite ein seitlich über die
Tafel hinaustretender Kleeblatt bogen getreten ist (Tafel 224), sowie nicht minder das
Soester gemalte Retabel im gleichen Museum, dessen Oberseite in der Mitte eine
segmentförmige, an beiden Enden eine halbsegmentförmige und dazwischen giebel-
iörrnige Überhöhungen aufweist, so daß man unwillkürlich an den oberen Abschluß
mancher spätgotischen flandrischen Altarschreine gemahnt wird (Tafel 224).

Andere Versuche einer reicheren Ausbildung der einfachen Tafel treten uns bei
dem Betabel aus Minden im Kaiser-Friedrich-Museum3 und dem fast um ein Jahr-
hundert älteren Altaraufsatz aus Broddetorp im Museum zu Stockholm entgegen*.

1 Abb. in Kd. von Westfalen, Kr. Soest, , v„, „. „ <. ,,,
 
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