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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0460

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444 Fünfler Abschnitt. Das Betabel

fachsten und wirksamsten ließ sich das aber dadurch bewerkstelligen, daß
man Einzelfiguren aller dieser Heiligen in einem Retabel anbrachte. Andere
Gründe für die Bevorzugung von Einzelfiguren mögen oft gewesen sein, daß
solche sich leichter und gefälliger in die Architektur der Retabeln eingliedern
ließen, und daß sie sich besser eigneten, die Erbauung des gläubigen Volkes
zu befördern, weil sie klarer und deutlicher in die Erscheinung traten als
szenische Darstellungen und deshalb auf weitere Entfernungen als diese er-
kennbar und verständlich waren.

Wollte man das Retabel der Erinnerung an den Erlöser, an sein Leben
und an seine Erlösungsart weihen, so ergab sich von selbst die Notwendig-
keit, nicht Einzelfiguren, sondern Szenen im Retabel anzubringen. Es sind
darum auch vorherrschend dem Heiland geweihte Retabeln und Passlons-
retabeln, welche sich aus Gruppendarstellungen zusammensetzen. Ebenso
war es geboten oder empfahl sich doch zum wenigsten, die Retabeln, die zur
Verherrlichung der Gottesmutter und anderer Heiligen dienen sollten, mit
szenischen Darstellungen auszustatten, wenn sie ausschließlich der Gottes-
mutter oder einem bestimmten Heiligen gewidmet sein sollten. Bilder aus
dem Leben Marias oder des betreffenden Heiligen waren dann in Verbindung
mit einer Einzelfigur als ihrem Mittelpunkt und als der vorzüglichsten Dar-
stellung, um die sie sich gleichsam als Ausführung des in ihr angeschlagenen
Themas beiderseits anordneten, das Nächstliegende und Natürlichste.

Wie es aber auch immer gekommen sein mag, daß man auf den mittelalterlichen
Retabeln hier Einzelfiguren, dort Szenen bevorzugte, in keinem Falle kann der Grund
hiervon in künstlerischem Unvermögen gesucht werden. Denn die Italienischen
Meister, welche die herrlichen Figurenretabeln malten, waren z'weifelsohne auch im-
stande, Retabeln mit szenischen Darstellungen zu schaffen, und umgekehrt wäre es
den Künstlern, welche die großartigen spanischen und flämischen Passionsret ab ein
schnitzten, ein leichtes gewesen, Einzelfiguren für die Retahel herzustellen.

In den Retabeln der späteren Renaissance und des
Barocks begegnet uns bei allen Abwandlungen, welche dieselben in den
verschiedenen Ländern und zu den verschiedenen Zeiten im einzelnen zeigen,
allenthalben eine größere Gleichartigkeit und Übereinstimmung hinsichtlich
des Charakters des Bildwerkes, mit dem man sie auszustatten pflegte, als es
hinsichtlich des Charakters des Bildwerkes der mittelalterliehen und der
Frührenaissanceretaheln der Fall gewesen war. Das Retabelbild, das oft von
gewaltigen Abmessungen ist, stellt in größeren Retabeln gewöhnlich eine
förmliche historische, dogmatische oder allegorische Szene oder eine aus einer
kleineren oder größeren Zahl von Figuren künstlich aufgebaute Gruppe dar,
gleichviel ob es in Malerei oder in Skulptur ausgeführt ist. Einzelfiguren
kommen als Retabelbild gewöhnlich nur bei Ädikularetabeln von mäßigeren
Größenverhältnissen vor, sind aber bei diesen sehr häufig. Wurde auch der
bekrönende Aufsatz des Retabels mit einem Bilde geschmückt, wie das dies-
seits der Alpen in der Zeit des Barocks sehr gern zu geschehen pflegte, so
brachte man in demselben entsprechend seinen geringeren Abmessungen
meist nur eine Einzelfigur, seltener eine szenische Darstellung an.
 
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