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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0462

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446 Fünfter Abschnitt. Das Retabel

heilen, Abänderungen und Schattierungen zu behandeln. Zu einer Ikono-
graphie, welche der überquellenden Mannigfaltigkeit desselben, wie ihn die
alten Retabeln zeigen, auch nur einigermaßen gerecht werden wollte, wäre
mindestens ein eigener Band vonnöten. Hier kann dasselbe nur in seinen
hauptsächlichsten Gegenständen und in seinen wichtigsten und bemerkens-
wertesten Erscheinungen besprochen werden.

Das Bildwerk, das uns auf jenen Retabeln entgegentritt, umfaßt alt-
testamentliche Darstellungen, Darstellungen der Tri-
nität, Darstellungen des Heilandes und des Erlösungs-
werkes, Darstellungen der Gottesmutter, Darstel-
lungen von Engeln und Heiligen und symbolische Dar-
stellungen.

I. ALTTESTAMENTLICHE BILDER

Die alttestamentlichen Retabelbilder sind nicht zahl-
reich. Sie beschränken sich im wesentlichen auf Figuren der Patriarchen
und Propheten, die Darstellung des Sündenfalles, auf die alttestament-
lichen Vorbilder des Erlösers, des Erlösungswerkes und der Früchte der
Erlösung, wie Abels Opfer und Ermordung, Melchisedechs Opfer, Abrahams
Opfer, Jakobs Ringen mit dem Engel, den brennenden Dornbusch, den Durch-
gang durch das Rote Meer, Moses, der Wasser aus dem Felsen schlägt, den
Mannaregen, die eherne Schlange, die Kundschafter mit der Traube, Samson,
der die Tore von Gaza wegträgt, Elias in der Wüste, Elias und die Witwe
von Sarepta u. a. sowie endlich auf den Stammbaum Jesse.

Jesses Stammbaum wurde namentlich in den flämischen Schreinen mit Vorliebe
angebracht, seine glänzendste "Wiedergabe aber fand er wohl in dem Retabel des
Antoniusaltares und Marienaltares zu Xanten und des Siebeuschmerzenaltares zu
Kaikar (Tafel 265). Andere sehr interessante Darstellungen des Jessebaumes, die eine
ausdrückliche Erwähnung verdienen, finden sich in einem Rügelschrein in der
Pfarrkirche zu Braunau (Ob er Österreich), in einem Flügelschrein im Dommüscum
zu Lübeck und dem großartigen Retabel der Annakapelle der Kathedrale zu Burgos.
Bei dem ersten ruht Jesse wie zu Xanten und Kaikar in der Predella, die beiden
geschnitzten Äste des von ihm ausgehenden Baumes aber füllen nicht den Rahmen
des Schreines, sondern die Innenseite der Flügel1. Bei dem leider sehr schadhaflen
Lübecker Schrein füllt der Jessebaum das Mittelstück; auf der Flügelinnenseite ent-
sprechen ihm gleichsam als Fortsetzung vier geschnitzte Szenen aus dem Jugend-
leben des Herrn (Tafel 274). In dem dreiteiligen Tafelretabel zu Burgos bildet der
Jessebaum die Darstellung des Mittelfeldes. Die beiden von dem schlafenden Jesse
aufsteigenden Äste mit den Figuren der Ahnen des Herrn umschließen hier die
„Begegnung an der goldenen Pforte" und tragen auf einer auf ihrer Spitze sitzenden
Blume die thronende Gottesmutter mit dem Jesuskind, neben der rechts die Figur
der Kirche, links die der Synagoge angebracht ist (Tafel 251). Schöpfungen der
spanischen Frührenaissance, in welcher uns der Jessebaum begegnet, sind das groß-
artige 1526 von Diego GuillSn begonnene Hochaltarretabel in S. Clara zu Briviesca
und das etwas jüngere, aber gleichfalls hervorragende Retabel des Hochaltares in
S. Maria del Palacio zu Logrono. Es sind vor allem die flämischen und deutschen
Flügelretabeln, auf denen Szenen aus dem Alten Bunde vorkommen, zumal Schreine-
mit zwei Flügelpaaren.

' Abb. bei Schmidt 56.
 
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