Achtes Kapitel. Inschriften auf den Retabeln 529
lesen wir die demütige, an den Heiland gerichtete Bitte: Lamberti prccibus Christus
mea erimhia tergat — Cerberus haud merentem dente lacescat atrox5. Bisweilen
wurden auch die Gewandsäume der Figuren mit einer Anrufung oder Lobpreisung
verziert. Im Dymphnaretabel zu Gheel ist z. B. auf dem Besatz eines Pluviales ein
Teil des Ave Maria aufgemalt. Im Passions sehr ein der Dymphnakirche daselbst steht
auf der Saumborte des Rockes eines der Schergen, welcher bei der Geißelung des
Herrn die Ruten zu einem Bündel bindet, sonderbarerweise der Anfang des Salve
Regina. Der flämische Schrein zu Kranenburg am Niederrhein hat in der Kreuzi-
gungsgruppe auf dem Saum von Marias Gewand die Inschrift: Mater Dei, memento
mei, der auf dem Saumbesatz des Kleides des hl. Johannes die Bitte entspricht: Jesus,
Fili Dei, miserere mei3. In einem Flügelretabel zu Seifersdorf im Freistaat Sachsen
lesen wir auf dem Gewahdsaum des Apostels Jakobus die Worte: Ora pro nobis ad
Dominum nostrum Ihesum Christum*.
Im Fries der Bekrönung des prächtigen Marienschreines des Kurt Borgentrylr.
im Museum zu Braunschweig zieht sich anstatt eines sonstigen Ornamentes die
jubelnde Osterantiphon Regina coeli, laetare, alleluja hin. Ein anderer Flügelschrein
des Museums hat unter dem Mittelstück die Bitte: Maria, mater graciae, mater miseri-
cordiae, tu nos ab hoste protege. Verschwunden ist heute die Inschrift, welche um
den inneren Rahmen des Hoch altarschrei n es des Domes zu Xanten herumlief. Sie
bestand aus der Festantiphon des Stiftes: Ave miles invictissime — Ave martyr sanc-
tissime — Ave pie protector sanete Victor — Hymnis tuam de volis observantibus —
Clementiam obtine preeibus — Piis ut adsit omnipotentis gratia, die gebetet wurde,
so oft man den Schrein öffnete6.
Ein langer Hymnus auf die hll. Sebastianus, Katharina, Valentinus und Mar-
garete bedeckt den Rahmen der Innenseiten der Flügel beim Hochaltarschrein der
Stiftskirche zu Gelnhausen8. Über dem Mittelteil eines Flügelretabels zu Geismar,
in welchem die Krönung Marias dargestellt ist, findet sich die Antiphon aus dem
Officium des Festes Maria Himmelfahrt: Exaltata est saneta Dei genitrix super choros
angelorum ad coelestia regna, unten das in dem Officium anderer Marienfeste mehr-
fach wiederkehrende Responsorium: Omni laude dignissima, quia ex te ortus est sol
justitiae, Deus noster7.
In welchem Geiste man die Marien Verehrung bei Ausgang des Mittelalters
pflegte, und wie wenig man damals nur äußere Andachtsübungen für genügend bei ihr
hielt, bekundet die Inschrift, die einst den Marienschrein zu Kloster Loccum in Han-
nover schmückte: Pectore contritis hie larga favendo petitis — Mater amatoris, rivos
infandis amoris — Christiferae vitis redolet dementia mitis — Hinc humiles sitis, qui-
justa rogare venitis — Nam sie aeeipitis, quae puro corde sititis, Sie ermunterte zum
Vertrauen auf Maria, mahnte aber zugleich, daß man zu Maria, der Mutter der gött-
lichen Liebe, dann nur seine Zuflucht nehmen und dann nur bei ihr, dem Weinstock,
der Christus hervorbrächte, Erhörung erwarten dürfe, wenn man sie mit zer-
knirschtem Gemüt, reinem Herzen und demütiger Gesinnung anrufe3. Auf einem
seinerzeit zu Siena ausgestellten gemalten Frührenaissanceretabel8 des Andrea di
Niccolö, das die Gottesmutter zwischen den hll. Crispinus und Crispinianns darstellt,
hat das Jesuskind ein Spruchband in der Hand, auf dem wir die Worte lesen: Da me
sempre benedicto sia, chi chon buon chor dice: Ave Maria. Sie haben einen ähn-
1 Ehend. Ii, 32. * Der Wortlaut zum Teil bei Münzenberger-
* Ebend. II, 27. Beissel I, 163; vollständig im Kd. des Regb.
* Ebend. I, 135, y/0 auch eine Anrufung Kassel 47, Abb. Tfl. 85 a und b.
■farias erwähnt wird, die sich auf dem Ge- j Münzenberger-B eissei II, 186.
wanosaum einer Figur der Gottesmutter in
«Mm Flügelsehrein zu Flöha beiand, bei der 8 »* ^non 15B4, Weil kathol,sch, vermch-
Restauratiou der Statue aber - wohl weil ,Ete Inschrift - das Kloster wurde 1591 luthe-
«tholisch — beseitigt wurde. riscü ~~ isl naen aIler Abschrift mitgeteilt bei
1 St. Beissel, Die Bauführung des Mittel- Mithoff I, 124.
alters III (Freiburg 1889) 11. ' Pbotogr. Brogi 14939.
Braun, Der christliche
Altar II
lesen wir die demütige, an den Heiland gerichtete Bitte: Lamberti prccibus Christus
mea erimhia tergat — Cerberus haud merentem dente lacescat atrox5. Bisweilen
wurden auch die Gewandsäume der Figuren mit einer Anrufung oder Lobpreisung
verziert. Im Dymphnaretabel zu Gheel ist z. B. auf dem Besatz eines Pluviales ein
Teil des Ave Maria aufgemalt. Im Passions sehr ein der Dymphnakirche daselbst steht
auf der Saumborte des Rockes eines der Schergen, welcher bei der Geißelung des
Herrn die Ruten zu einem Bündel bindet, sonderbarerweise der Anfang des Salve
Regina. Der flämische Schrein zu Kranenburg am Niederrhein hat in der Kreuzi-
gungsgruppe auf dem Saum von Marias Gewand die Inschrift: Mater Dei, memento
mei, der auf dem Saumbesatz des Kleides des hl. Johannes die Bitte entspricht: Jesus,
Fili Dei, miserere mei3. In einem Flügelretabel zu Seifersdorf im Freistaat Sachsen
lesen wir auf dem Gewahdsaum des Apostels Jakobus die Worte: Ora pro nobis ad
Dominum nostrum Ihesum Christum*.
Im Fries der Bekrönung des prächtigen Marienschreines des Kurt Borgentrylr.
im Museum zu Braunschweig zieht sich anstatt eines sonstigen Ornamentes die
jubelnde Osterantiphon Regina coeli, laetare, alleluja hin. Ein anderer Flügelschrein
des Museums hat unter dem Mittelstück die Bitte: Maria, mater graciae, mater miseri-
cordiae, tu nos ab hoste protege. Verschwunden ist heute die Inschrift, welche um
den inneren Rahmen des Hoch altarschrei n es des Domes zu Xanten herumlief. Sie
bestand aus der Festantiphon des Stiftes: Ave miles invictissime — Ave martyr sanc-
tissime — Ave pie protector sanete Victor — Hymnis tuam de volis observantibus —
Clementiam obtine preeibus — Piis ut adsit omnipotentis gratia, die gebetet wurde,
so oft man den Schrein öffnete6.
Ein langer Hymnus auf die hll. Sebastianus, Katharina, Valentinus und Mar-
garete bedeckt den Rahmen der Innenseiten der Flügel beim Hochaltarschrein der
Stiftskirche zu Gelnhausen8. Über dem Mittelteil eines Flügelretabels zu Geismar,
in welchem die Krönung Marias dargestellt ist, findet sich die Antiphon aus dem
Officium des Festes Maria Himmelfahrt: Exaltata est saneta Dei genitrix super choros
angelorum ad coelestia regna, unten das in dem Officium anderer Marienfeste mehr-
fach wiederkehrende Responsorium: Omni laude dignissima, quia ex te ortus est sol
justitiae, Deus noster7.
In welchem Geiste man die Marien Verehrung bei Ausgang des Mittelalters
pflegte, und wie wenig man damals nur äußere Andachtsübungen für genügend bei ihr
hielt, bekundet die Inschrift, die einst den Marienschrein zu Kloster Loccum in Han-
nover schmückte: Pectore contritis hie larga favendo petitis — Mater amatoris, rivos
infandis amoris — Christiferae vitis redolet dementia mitis — Hinc humiles sitis, qui-
justa rogare venitis — Nam sie aeeipitis, quae puro corde sititis, Sie ermunterte zum
Vertrauen auf Maria, mahnte aber zugleich, daß man zu Maria, der Mutter der gött-
lichen Liebe, dann nur seine Zuflucht nehmen und dann nur bei ihr, dem Weinstock,
der Christus hervorbrächte, Erhörung erwarten dürfe, wenn man sie mit zer-
knirschtem Gemüt, reinem Herzen und demütiger Gesinnung anrufe3. Auf einem
seinerzeit zu Siena ausgestellten gemalten Frührenaissanceretabel8 des Andrea di
Niccolö, das die Gottesmutter zwischen den hll. Crispinus und Crispinianns darstellt,
hat das Jesuskind ein Spruchband in der Hand, auf dem wir die Worte lesen: Da me
sempre benedicto sia, chi chon buon chor dice: Ave Maria. Sie haben einen ähn-
1 Ehend. Ii, 32. * Der Wortlaut zum Teil bei Münzenberger-
* Ebend. II, 27. Beissel I, 163; vollständig im Kd. des Regb.
* Ebend. I, 135, y/0 auch eine Anrufung Kassel 47, Abb. Tfl. 85 a und b.
■farias erwähnt wird, die sich auf dem Ge- j Münzenberger-B eissei II, 186.
wanosaum einer Figur der Gottesmutter in
«Mm Flügelsehrein zu Flöha beiand, bei der 8 »* ^non 15B4, Weil kathol,sch, vermch-
Restauratiou der Statue aber - wohl weil ,Ete Inschrift - das Kloster wurde 1591 luthe-
«tholisch — beseitigt wurde. riscü ~~ isl naen aIler Abschrift mitgeteilt bei
1 St. Beissel, Die Bauführung des Mittel- Mithoff I, 124.
alters III (Freiburg 1889) 11. ' Pbotogr. Brogi 14939.
Braun, Der christliche
Altar II