534 Fünfter Abschnitt. Das Retabel
Altar in den Querarmen der Elisabethkirche zu Marburg. Hier zu Marburg stehen
sie in stichbogigen Nischen, in welche die Altäre, über denen sie angebracht sind, mit
etwa einem Viertel ihrer Tiefe eingebaut sind. Über dem Bogenscheitel der Nischen ist
an der Wand auf einer Konsole eine Statuette des Heiligen angebracht, zu dessen
Ehre der betreffende Altar errichtet wurde. Die Flügelschreine, mit denen man dann
im Beginn des 16. Jahrhunderts die vier Altäre ausstattete, wurden den Nischen so
eingefügt, daß ihr Mittelstück dieselben ganz ausfüllte.
Auch hinter Barockret ab ein haben sich die Wandmalereien wiedergefunden, die
das ursprüngliche Altarbild der betreffenden Altäre darstellten. So wurden die vor-
hin erwähnten Fresken in St. Andreas zu Köln und in St. Radegund am Schocke!
hinter Aufsätzen entdeckt, die man in der Barockzeit vor denselben errichtet hatte".
Wahrscheinlich würde man noch in manchen mittelalterlichen Kirchen hinter den
mächtigen Barockretabeln, mit denen ihre Altäre im 17. Jahrhundert versehen wur-
den, bei näherem Nachforschen Überreste der Fresken antreffen, die in mittelalter-
licher Zeit an Stehe eines Betabels als Altarbild dienten.
Über dem Altar an der Wand ein Fresko anzubringen, anstatt ihn mit einem
Retabel zu versehen, war im Mittelalter besonders im gelobten Land der Fresko-
malerei, in Italien, sehr beliebt, wie zahlreiche Beispiele derartiger Wandgemälde
bekunden, die sich aus jener Zeit in den dortigen Kirchen in mehr oder weniger
gutem Zustand erhalten haben. Selbst im Dom zu Florenz schmückte man die Altäre
der KapeUen der beiden Querapsiden nicht mit einem Retabel, wiewohl dieselben frei
standen und darum sieh ein solches auf oder hinter ihnen leicht hätte aufstellen
lassen, sondern beschied sich damit, hinter ihnen an der Wand in Fresko den Altar-
patron darzustellen. In der Zeit der Früh- und Hochrenaissance verzichtete man
zugunsten eines Wandgemäldes auf ein Retabel beispielsweise in der Venuti- und in
der Roverekapelle von S. Maria del Popolo zu Rom, in denen Pinturicchio die Wand
oberhalb des Altares mit Fresken verzierte, in S. Onofrio allda, wo Peruzzi neben
und über dem Hochaltar reichen Fresken schmuck anbrachte, in S. Pietro in Montorio,
wo Sebastiano del Piombo in der ersten Kapelle rechter Hand über dem Altar eine
michelangelesk anmutende Geißelung schuf (Tafel 293), sowie namentlich in der Sixtina,
über deren Altar Michelangelo sein gewaltiges Jüngstes Gericht auf die Wand malte.
In der Spätrenaissance und dem Barock ist es auch in Italien nicht mehr
üblich, oberhalb des Altares ein Wandgemälde anzubringen. Wo man denselben
nicht mit einem Retabel, das nun vollständig den Plan beherrschte, ausstatten konnte
oder wollte, beschied man sich damit, wie zahlreiche Beispiele noch heute zeigen,
über dem Altar an der Wand ein mehr oder minder reich umrahmtes Ölgemälde zu
befestigen.
II. WANDBEHÄNGE OBERHALB DES ALTARES
Wo das römische Caeremoniale episcoporum von der Ausstattung der
Altäre handelt, sagt es, an der Wand über dem Altare könne, falls derselbe
an eine solche angelehnt sei, ein besonders vornehmes und schönes Tuch
angebracht werden, auf dem Bilder Christi, Marias oder der Heiligen dar-
gestellt seien, vorausgesetzt, daß solche nicht schon auf die Wand selbst ge-
malt seien1. Ob der Brauch, von dem in dieser Anweisung des Caeremoniale
die Rede ist, schon vor dem 13. Jahrhundert bestand, und wie weit er über-
haupt in die Vergangenheit hinaufreicht, läßt sich nicht feststellen, da wir
aus älterer Zeit keinerlei Nachricht über sein Bestehen erhalten. Im 13.,
14. und 15. Jahrhundert Hegt jedoch die Sache anders.
14 Vgl. 3uch Kunstfreund Bf. F. VIII (1892) 63. ' L. 1, c. 12, n. 13.
Altar in den Querarmen der Elisabethkirche zu Marburg. Hier zu Marburg stehen
sie in stichbogigen Nischen, in welche die Altäre, über denen sie angebracht sind, mit
etwa einem Viertel ihrer Tiefe eingebaut sind. Über dem Bogenscheitel der Nischen ist
an der Wand auf einer Konsole eine Statuette des Heiligen angebracht, zu dessen
Ehre der betreffende Altar errichtet wurde. Die Flügelschreine, mit denen man dann
im Beginn des 16. Jahrhunderts die vier Altäre ausstattete, wurden den Nischen so
eingefügt, daß ihr Mittelstück dieselben ganz ausfüllte.
Auch hinter Barockret ab ein haben sich die Wandmalereien wiedergefunden, die
das ursprüngliche Altarbild der betreffenden Altäre darstellten. So wurden die vor-
hin erwähnten Fresken in St. Andreas zu Köln und in St. Radegund am Schocke!
hinter Aufsätzen entdeckt, die man in der Barockzeit vor denselben errichtet hatte".
Wahrscheinlich würde man noch in manchen mittelalterlichen Kirchen hinter den
mächtigen Barockretabeln, mit denen ihre Altäre im 17. Jahrhundert versehen wur-
den, bei näherem Nachforschen Überreste der Fresken antreffen, die in mittelalter-
licher Zeit an Stehe eines Betabels als Altarbild dienten.
Über dem Altar an der Wand ein Fresko anzubringen, anstatt ihn mit einem
Retabel zu versehen, war im Mittelalter besonders im gelobten Land der Fresko-
malerei, in Italien, sehr beliebt, wie zahlreiche Beispiele derartiger Wandgemälde
bekunden, die sich aus jener Zeit in den dortigen Kirchen in mehr oder weniger
gutem Zustand erhalten haben. Selbst im Dom zu Florenz schmückte man die Altäre
der KapeUen der beiden Querapsiden nicht mit einem Retabel, wiewohl dieselben frei
standen und darum sieh ein solches auf oder hinter ihnen leicht hätte aufstellen
lassen, sondern beschied sich damit, hinter ihnen an der Wand in Fresko den Altar-
patron darzustellen. In der Zeit der Früh- und Hochrenaissance verzichtete man
zugunsten eines Wandgemäldes auf ein Retabel beispielsweise in der Venuti- und in
der Roverekapelle von S. Maria del Popolo zu Rom, in denen Pinturicchio die Wand
oberhalb des Altares mit Fresken verzierte, in S. Onofrio allda, wo Peruzzi neben
und über dem Hochaltar reichen Fresken schmuck anbrachte, in S. Pietro in Montorio,
wo Sebastiano del Piombo in der ersten Kapelle rechter Hand über dem Altar eine
michelangelesk anmutende Geißelung schuf (Tafel 293), sowie namentlich in der Sixtina,
über deren Altar Michelangelo sein gewaltiges Jüngstes Gericht auf die Wand malte.
In der Spätrenaissance und dem Barock ist es auch in Italien nicht mehr
üblich, oberhalb des Altares ein Wandgemälde anzubringen. Wo man denselben
nicht mit einem Retabel, das nun vollständig den Plan beherrschte, ausstatten konnte
oder wollte, beschied man sich damit, wie zahlreiche Beispiele noch heute zeigen,
über dem Altar an der Wand ein mehr oder minder reich umrahmtes Ölgemälde zu
befestigen.
II. WANDBEHÄNGE OBERHALB DES ALTARES
Wo das römische Caeremoniale episcoporum von der Ausstattung der
Altäre handelt, sagt es, an der Wand über dem Altare könne, falls derselbe
an eine solche angelehnt sei, ein besonders vornehmes und schönes Tuch
angebracht werden, auf dem Bilder Christi, Marias oder der Heiligen dar-
gestellt seien, vorausgesetzt, daß solche nicht schon auf die Wand selbst ge-
malt seien1. Ob der Brauch, von dem in dieser Anweisung des Caeremoniale
die Rede ist, schon vor dem 13. Jahrhundert bestand, und wie weit er über-
haupt in die Vergangenheit hinaufreicht, läßt sich nicht feststellen, da wir
aus älterer Zeit keinerlei Nachricht über sein Bestehen erhalten. Im 13.,
14. und 15. Jahrhundert Hegt jedoch die Sache anders.
14 Vgl. 3uch Kunstfreund Bf. F. VIII (1892) 63. ' L. 1, c. 12, n. 13.