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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0638

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622 Sechster Abschnitt. Reliquien alt ar und Sakramentsaltar

Ein Erbe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist der Krummstab, der sich
bis jetzt hinter dem Hochaltar der Kathedrale von St-Pol de Leon behauptet hat.
Er hat die Form einer Palme, deren Stamm mit einem Kranz von Trauben und
Ähren umwunden und mit Engelsköplchen besetzt ist, während seine Krone sich
volutenartig nach vorne krümmt und den glockenartigen Baldachin trägt, der das
Ciborium enthielt. Am Fuße des Stammes steht eine mit paImblattartigem Orna-
ment umrahmte Nische, in deren Rückwand die Tür des Kämmerchens angebracht
war, welches die Vorrichtung zum Herablassen und Heraulziehen des Baldachins
barg (Tafel 351).

Der Krummstab konnte natürlich im einzelnen eine mannigfache Ausgestaltung
und Ornamentierung erfahren, wie auch schon aus den angeführten Beispielen er-
hellt. Sehr reich ausgebildet war der Ständer, von dem in der Abteikirche St-Bertin
zu Sl-Omer das hhl. Sakrament herabhing. Er erhob sich über der Mittelabteilung des
kostbaren, von Abt Wilhelm Filastre 1459 geschaffenen Metallretabels des Hoch-
altares. Um seinen Schaft zog sich ein Gewinde von Ähren und Vv'einranken. Oben
wuchsen mehrere Arme aus ihm heraus, von denen einer nach vorne ging und die
goldene Taube trug, in welcher sich das hhl. Sakrament befand. Auf der Spitze zeigte-
er einen Pelikan, an seinem Fuße knieten zwei Engel, die eine Fackel trugen. Höher
hinauf umschwebten ihn zwei andere Engel, die ein Spruchband mit der Inschrift
hielten: Ecce panis angelorum. Erst 1783 wurde die Einrichtung durch einen Mar-
moraStar mit Tabernakel verdrängt13.

Zu La Trappe hing der Baldachin, in dem sich das Ciborium mit dem hhl. Sakra-
ment befand, nicht an einem Krummstab. Es stand vielmehr hier über dem Altare
eine Statue der Gottesmutter, die auf dem linken Arm das Jesuskind, mit der Rechten
aber jenen Baldachin trug1*. Über der Statue ließ Abt de Ranee die Inschrift an-
bringen: Si quaeras natum cur matris dextra gestet — Sola fuit tanto munere digna
parens — Non poterat fungi majore munere mater — Non poterat major dextera
ferre Deum. In Notre-Dame zu Paris hielt eine 5' hohe Engelsfigur aus vergoldetem
Blei den Baldachin, in dem das Ciborium hing".

War hinter oder auf dem Altar ein Retabel von genügender Höhe angebracht,
so konnte man auf einen Krummstab verzichten und sich damit bescheiden, am
Retabel einen Arm als Halter des Ciboriums anzubringen. So geschah es beispiels-
weise in der Kathedrale zu Durham. Der Baldachin, in dem die Pyxis mit dem
Aller heiligsten hing, war mittels zweier vergoldeter Eisenstäbe so an dem hinter
dem Altar sich aufbauenden prächtigen steinernen Retabel festgemacht, daß er mitten
über der Mensa schwebte. Auf der Spitze des Baldachins saß ein silberner Peli-
kan, in token, that Christ did give his blood for the sins of the world. Die unter dem
Baldachin an vergoldetem Haken aufgehängte Pyxis war aus Gold angefertigt und
mit einem kostbar bestickten viereckigen Schleier bedeckt. Eine aus starker weißer
Seide gemachte Schnur gestattete, sie herabzulassen und hinaufzuziehen18.

In der Kirche zu Chalard (Haute-Vienne) hing das Ciborium in der Mitte eines
baldachinartigen Vorbaues, mit dem das Retabel des Hochaltares oben ausgestattet
war. Eine Rolle, die dort angebracht war, nahm die Schnur auf, an der es be-
festigt war und mittels deren es vom Priester hinauf- und herabgezogen werden
konnte. Das Retabel, eine Schöpfung des 15. Jahrhunderts, ist noch vorhanden, aber
in einen Reliquienschrank umgewandelt17.

Für den Brauch, den Behälter mit der hl. Eucharistie von der Decke oder-
dem Gewölbe des Chores über den Altar herabhängen zulassen,

" Revue XXXV (1892) 473. Nach einer hand- ls Ancient monuments, rites and custorns of

schrifü. Beschreibung des Dom de Wüte, Grand Durham (London 1842) 7. Die 1593 abgefaßte

cartulaire de l'abbaye de St-Bertin VII, 6 in Beschreibung gibt die Einrichtung wieder, Wie

der Sladtbibliolh. von St.Omer. sie vor der Zeit des Abfalls von der aller-

" Revue II (1858) 243. Kirche bes(and.

11 Le Brun-Desmarettes, Voyages lilurg. 244. ,7 E. Rupin, L'oeuvre de Limoges 236.
 
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