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Einleitung.

„Die Phänomene zu erhaschen, sie zu Versuchen zu fixieren, die
Erfahrungen zu ordnen und die Vorstellungsarten darüber kennen
zu lernen, bei dem ersten so aufmerksam, bei dem zweiten so
genau als möglich zu sein, beim dritten vollständig zu werden und
beim vierten vielseitig genug zu bleiben, dazu gehört eine Durch-
arbeitung seines armen Ichs, von deren Möglichkeit ich auch sonst
nur keine Idee gehabt habe." Goethe an Jakobi, 29. Juli 1794.

Begrenzung der Aufgabe.

In diesem Buche soll von der Zeichenkunst nur insoweit die Rede sein, als sie in
erster Linie dem Naturwissenschaftler Dienste leisten kann, d. h. es wird ein Lehrverfahren
vorgetragen, das sich zum Ziele setzt, den Zeichner zu befähigen, solche Gegenstände mit
den Ausdrucksmitteln der Zeichnung und der Malerei nachzubilden, deren Betrachtung
Aufgabe der beschreibenden Naturwissenschaften ist, oder Ideen auszudrücken, die dem
Arbeitsbereich dieser Wissenschaften angehören.

Damit wird vom Ausdruck Klarheit und Sachlichkeit gefordert. Es scheidet also
der Teil der Graphik aus, dem der Ausdruck ein Mittel ist, ästhetische Gefühle zu erregen
oder den Beschauer in den Bann von Stimmungen des Künstlers zu ziehen, also das kunst-
gewerbliche und das künstlerische Zeichnen im engeren Sinne. Dieses ist, wenn es über-
haupt lehrbar ist, gewiß nicht aus Büchern zu lernen. Ebenso ist darauf verzichtet worden,
die Wiedergabe von schnell veränderlichen Erscheinungen, die momentan erfaßt werden
müssen, lehren zu wollen. Hier kann nur ein jahrelanges Sonderstudium den Begabten
zum Ziele führen.

Der Weg.

Anders steht es mit unserer Aufgabe, die sich auf die Wiedergabe wenig veränder-
licher Objekte in ruhiger Beleuchtung beschränkt. Die charakteristischen Eigentümlich-
keiten der darzustellenden Gegenstände lassen sich durch den Vergleich verdeutlichen
und durch Analyse aus der Gesamterscheinung herausheben. Die Erkenntnis der
Fehlerquellen, die auf dem Wege falscher Assoziationen von Vorstellungen den reinen
sinnlichen Eindruck und seine Wiedergabe gefährden, führt zur Gewinnung von Kontroll-
methoden, deren sachgemäße Anwendung den Zeichner instand setzt, während des Fort-
ganges der Arbeit die Uebereinstimmung zwischen Objekt und Darstellung zu prüfen und
damit zur Selbständigkeit zu gelangen.

Wir suchen also, so berechtigt dies im elementaren Schulzeichenunterricht sein
mag, nicht Förderung unserer Arbeit durch das Gemütsleben. Die sinnliche Erscheinung
wird unermüdlich daraufhin geprüft werden, unter welchen Bedingungen sie zustande

Bruns, Zeichenkunst. I
 
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