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Zeichnen nach ebenen Gebilden.

Verworn, M., Zur Psychologie der primitiven Kunst. 2. Aufl. Jena 1917.
— Die Anfänge der Kunst. 2. Aufl. Jena iq20.

volbehr, Th., Bau und Leben der bildenden Kunst. 2. Aufl. Leipzig 1914.
Volkmann, Naturprodukt und Kunstwerk. Dresden 1911.

Zeichnen nach ebenen Gebilden.

„Meine größte Freude ist, daß mein Auge sich an
sichern Formen bildet und sich an Gestalt und Verhältnis
leicht gewöhnt und dabei mein alt Gefühl für Haltung
und Ganzes recht lebhaft wiederkehrt. Auf Uebung
käme nun alles an." Goethe in Rom, 22. Juli 1787.

1. Biattformen.

Beim Eintritt in die praktische Arbeit, die durch die Zeichnungen unserer Tafeln
geleitet werden soll, ist es vielleicht angebracht, eine Warnung auszusprechen. Die
Zeichnungen sollen Beispiele, aber keine Vorlagen sein. Wer sie zum Nachzeichnen
benutzt, wird sehr bald erkennen, daß er durch die Uebung zwar geschickter wird,
aber nichts weiter erlangt, und doch ist schon durch diese ersten Uebungen mehr als das
zu erreichen. Blätter, wie die auf Tafel 3 dargestellten (Flieder, Syringa vulgaris — Nessel,
Urtica dioica — Feld- und Bergahorn, Acer campestre und Pseudoplatanus), sind überall leicht
zu erhalten. Man trocknet sie, flach gepreßt, befestigt sie auf weißem Papier und stellt
das Objekt so weit vom Auge entfernt auf, daß es „mit einem Blicke", also ohne Augen-
bewegungen, übersehen werden kann. Das wird bei einem Gegenstande dieser Größe in
etwa 50 cm Entfernung vom Auge der Fall sein. Jetzt erkennen wir als wichtigste, am
meisten „sprechende" Linie die Grenze zwischen dem grünen Blatt und dem weißen
Papier, den Blattumriß oder Kontur1). Die Linien im Innern der Blattfläche, die ver-
zweigten Blattrippen, treten dem Umriß gegenüber an Bedeutung zurück, und ihre
feinsten Verzweigungen verschwinden in dieser Entfernung ganz.

Die Hauptsachen zuerst zu machen, gehört zur ordentlichen Einteilung jeder Arbeit.
Wir zeichnen also zunächst den Blattumriß.

Was bringt der Lernende für diese Aufgabe mit? Zunächst eine „gefühlsmäßige"
Fähigkeit, Hauptrichtungen und Größenverhältnisse zu erkennen. Ob eine Mauerkante
nicht senkrecht ist, ein Bild schief hängt, der Hut nicht gerade sitzt, ein Buchstabe, eine
Druckzeile schief steht, erkennen wir mit Sicherheit. Das größte und das kleinste Exemplar
in einer Reihe Schmetterlinge gleicher Art finden wir mit Bestimmtheit heraus, auch wenn
die meßbaren Abweichungen nur gering sind, und diese Fähigkeit wird durch die Uebung
gestärkt und verfeinert.

Wenn wir aber die Fähigkeiten zeichnerisch nützen wollen, treten als störende
Vorstellungen die sogenannten morphologischen Typen auf. — Von jeher hat die be-
schreibende Tätigkeit den Systematiker genötigt, die Formen der lebendigen Natur mit

1) Der Kontur (franz.: le conture, ital.: contorno).
 
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