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Die Silhouette.

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Die Silhouette.

Als mehr oder weniger gleichförmig dunkle Massen auf hellem Hintergrunde, als
Silhouetten, erscheinen uns Dinge unserer Umwelt häufiger, als diejenigen ahnen, die
nie in der Natur nach solchen Wirkungen gesucht haben.

Daß in sehr großer Entfernung Gebirge als gleichmäßig blaue Flächen, Wälder
als dunkle Streifen oder Flecken erscheinen, sieht zwar jedermann, da selbst das schärfste
Auge in diesen Flächen keine Einzelheiten mehr erkennt. Weit schwieriger, aber auch
lohnender ist es, die Silhouettenwirkung an nahen Gegenständen wahrzunehmen, und wir
leisten ein wesentliches Stück der Erziehung unseres Auges zu richtigem Sehen, wenn
wir diesen Erscheinungen mit Sorgfalt nachgehen.

Auch hier gilt es, Vorstellungen, die die Reinheit unserer Auffassung trüben,
zurückzudrängen. Zu diesem Ziele kommt man, so paradox es klingt, anfänglich am
leichtesten, wenn man die Bedingungen des Sehens so ändert, daß das Bild undeut-
licher wird, besser gesagt, wenn man Mittel anwendet, durch die das Bild stufenweise
ausgelöscht wird. Das geschieht bei manchen Belichtungsmessern der Photographen durch
Vorschalten immer dunklerer farbiger Gläser; andere erreichen denselben Effekt, wenn
sie das Bild durch engmaschige Drahtgaze betrachten. Am einfachsten und leichtesten
kommt man zum Zweck, wenn man ein Auge gänzlich, das andere stufenweise immer
weiter schließt.

Zweifellos wird der Sinneseindruck dadurch objektiv ein unvollkommenerer, und die
Verwunderung des Anfängers, dem man zumutet, durch unvollkommenes Sehen zum
richtigen zu kommen, ist wohl zu verstehen. Das Verständnis wird erst erreicht, wenn
man bemerkt, daß das Ausscheiden des Verschwindenden in einer gesetzmäßigen Ordnung
erfolgt, daß nämlich die optisch am wenigsten wirksamen Teile des Bildes zuerst, stärker
wirkende später, die wirksamsten zuletzt verschwinden.

Wir entdecken jetzt, daß wir in dem stärkeren oder schwächeren Schließen, dem
,,Blinzeln" des Auges ein Mittel besitzen, mit dessen Hilfe wir eine objektive Rangordnung
der hellen, mittelstufigen und dunklen Teile des Bildes herstellen können.

Wer mit ungeschultem Auge aus der Mitte des Zimmers nach draußen' sieht, wird
auf die Frage, welcher Teil innerhalb des Fensterrahmens der hellste sei, unbedingt ant-
worten: „das weißgestrichene Fensterkreuz". Prüft er die Erscheinung nun blinzelnd nach,
so sieht er mit Verwunderung, daß das Fensterkreuz der dunkelste Teil, dunkler als der
schwärzeste Gegenstand außerhalb des Fensters, ist. Unter dem störenden Eindruck der
Vorstellung von dem „weiß" gestrichenen Holz, dem kritiklos in jedem Falle der größte
Helligkeitswert zugeschrieben wird, ist also unser Sinneseindruck so gefälscht worden,
daß ein Helligkeitswert genau in sein Gegenteil verkehrt wurde.

Gegen das Licht stehen alle Gegenstände, auch die hellstfarbigen, als Silhouetten.
Der Photograph, der im allgemeinen nicht nur klare Umrisse der Gegenstände, sondern
auch möglichst zahlreiche Einzelheiten im Innern der Umrisse zur Darstellung bringen
möchte, geht der Silhouettenwirkung möglichst aus dem Wege und macht seine Auf-
nahmen daher nicht „gegen" das Licht, sondern entweder bei Seitenlicht oder „mit"
dem Lichte.
 
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