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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Editor]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 6.1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.7149#0038
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— 82 —

Münſter. Die ſpätere Zeit des Mittelalters liebte mehr die
Darſtellungen aus dem Leben Maria's, ſo die Verkündigung.
Es wirft ſich hier die Frage auf, welcher Gedanke den Künſt-
ler leitet, das jüngſte Gericht am Hauſe des Herrn anzubrin-
ben, vor Allem am Eingange zu demſelben?
Wenn wir die Bedeutung des Gotteshauſes an und für
ſich kennen, ſo wird es nicht ſchwer ſein, auf die Bedeutung
des Weltgerichtes zu kommen. Die Kirche gibt im Officium
der Kirchweihe Anhaltspunkte, als was der irdiſche Tempel be-
trachtet werden ſoll. Der Hymnus ,, Coelestis urbs erusalem''
ſagt es uns, daß die Kirche für uns der Heimatort auf Erden ſein ſoll.
Jm Himmel thront Gott; er thront auch auf der Erde im
Gotteshauſe; der Himmel umfaßt als Bewohner außer den
Eugeln die Glieder der triumphirenden Kirche. Die Kirche auf
Erden verſammelt in ihren Räumen die, welche der ſtreitenden
Kirche angehörend dereinſt der triumphirenden angehören wollen.
Somit iſt die Kirche wie eine Vorhalle zum Himmel. Der
Eingang zum überirdiſchen Himmel in ſeiner Vollendung nach
der Auferſtehung der Leiber iſt das Gericht am Ende der Welt;
wer es beſteht, kann die vollendete Seligkeit genießen. Dieſe
Lehre iſt den Sinnen dargeſtellt, wenn am Eingange zum ir-
diſchen Tempel das jüngſte Gericht angebracht iſt. Findet ſich
das Weltgericht am Ende der Kirche am Chorabſchluſſe, ſo
ändert ſich die Deutung dahin, daß der jüngſte Tag mit ſeinem
Gerichte das Erdenleben, auch das Leben der ſtreitenden Kirche
abſchließt und darüber hinaus ein anderes Leben beginnt. Dieſe
Andeutung möge genügen. Wir ſehen hier ab von der Dar-
legung aller ſich anſchließenden Gedanken, wie ſie in ihrem Reich-
thum und ihrer Mannigfaltigkeit dem nachdenkenden Beſchauer
beim Eintritt in den Tempel Gottes ſich aufdrängen.

kiſſen nicht erhaben auflagen, ja nicht einmal in Gold- oder
Silberfäden ausgeführt waren, weil ja ſonſt der Zweck der-
ſelben, eine ſchädliche Reibung der reich gearbeiteten Buchdeckel
zu verhüten, vereitelt worden wäre.
Nach den Andeutungen älterer Schatzverzeichniſſe zu urtheilen
ſcheint bereits im XJJ. Jahrhunderte in mehreren Kirchen der
Gebrauch beſtanden zu haben, daß die Altarkiſſen in ihrem
ſtofflichen Ueberzuge die Farbe des Tages annahmen, und daß
ſie häufig mit denſelben reichen Seidenſtoffen überzogen wurden,
die man auch zur Anfertigung der Feſt-Ornate verwandte. Zur
Verdeckung der Nähte wurden an den vier Seiten reichverzierte
Beſatzſtreifen (aureae listae) aufgenäht, die an den Ecken in
ſtark vortretenden Franſen einen Abſchluß fanden. Wie ältere
Bildwerke anzeigen, waren an den vier Ecken zuweilen auch
ſtattliche Quaſten angebracht, deren Kopftheile nicht ſelten in
vergoldetem Silber kunſtreich hergeſtellt wurden, und welche auch
häufig aus Perlen zuſammengeſetzt waren.
Jn dieſer Ausſtattung dienten alſo die pulvinaria altaris
einem doppelten Zwecke, indem ſie nämlich die Reibung und
Abnutzung der reichen frontalia librorum verhinderten und zu-
gleich dem Celebranten die liturgiſchen Bücher näher zu Ge-
ſicht brachten. Doch gelten ſie auch, namentlich an Feſttagen,
als eine Zierde des Altares, und finden ſich ſchon ſeit dem
Mittelalter, wie mauche Abbildung darthun, in der Regel
zwei pulvinaria auf dem Altare, ſo daß bei dem Umtragen des
Buches nicht zugleich auch, wie das heute der Fall iſt, die
Unterlage oder das Geſtell umgetragen werden mußte.
Da die Altarkiſſen bei einem ſpäteren Schadhaftwerden
häufig zu anderen kirchlichen Zwecken, namentlich aber als Kniekiſſen
in Gebrauch genommen wurden, und auch manchmal der Fall
eintrat, daß bei dem Abſterben des Biſchofs oder der Dignitarien
der Stifte dieſelben als Kopfkiſſen für deu Verſtorbenen in den
Sarg gelegt wurden, ſo iſt es begreiflich, daß ſchon aus dieſen
Gründen reichverzierte Altarkiſſen aus der romaniſchen und
frühgothiſchen Kunſt- Epoche zur großen Seltenheit geworden
ſind. Wir ſind deßwegen für jene Perioden an die betreffen-
den Schatzverzeichniſſe größerer Kirchen hingewieſen, welche auch
für die Kenntniß der formalen und artiſtiſchen Beſchaffenheit
der Altarkiſſen eine ziemlich reiche Ausbeute gewähren.
Mit Uebergehung der vielen Angaben von Jnventaren des
XJ. und XJJ. Jahrhunderts, in welchen die cuissini und pul-
vinaria bloß ihrer Zahl und nicht auch ihrer künſtleriſchen Aus-
ſtattung nach angeführt werden, verweiſen wir hier beſonders auf das
umfangreiche Verzeichniß der Schätze von St. Paul zu London
aus dem Jahre 1295.
Das Jnventar der Kirche des hl. Antonius zu Padua vom
Jahre 1396 erwähnt: Item duo cussinelli pro missali de
serico cum armis Oomitis daciarii. — Item duo cussinelli
pro altari, quorum unus et cum foreta deaurata et de
seda et aliud cum foreta de sindone viride.
Ganz ausdrücklich erwähnt auch das Verzeichniß der Schätze
der bamberger Abtei Michelsberg vom Jahre 1483 zweier Al-
tarkiſſen zum Auflegen und Umtragen des Meßbuches: Duos
cussinos cum deauratis fibulis ad referendum plenarium
in festivitatibus.
Noch aus dem Jahre 1519 führte das in italieniſcher Sprache
kurzgefaßte Verzeichniß der Kirchenſchätze von St. Marcus zu
Venedig zwei Altarkiſſen in goldgeſticktem Sammt an mit den
Worten: Cussini no 2 vechi de rechamo d' oro p. Paltar
grando.
Da namentlich die obere Seite des Altarkiſſens durch die
fortwährende Reibung des ſculpirten und vom Goldſchmiede
kunſtreich ausgeſtatteten Buchdeckels leicht Schaden nahm und
alsdann zur Verzierung des Altares nicht mehr würdig befun-
den und deßwegen anderweitig verwendet zu werden pflegte, ſo

JJ. Die Altarkiſſen zum Auflegen des Miſſales.
(Cussini, pulvinaria altaris.)
Ehemals waren mehrere Arten von Kiſſen in kirchlichem Ge-
brauch, die je nach ihrer Beſtimmung von der Kunſt mehr oder
weniger reich verziert zu werden pflegten. Zur Ausſtattung des
Altares, mit welchem wir es hier zunächſt zu thun haben, ge-
hörten beſonders jene kleineren Kiſſen, welche den liturgiſchen
Büchern, namentlich dem Miſſale, zur Unterlage dienten, um
die oft kunſtreich in Elfenbein, Gold, Silber, Edelſteinen und
Emails verzierten koſtbaren Einbanddeckel desſelben vor Reibung
und Beſchädigung zu bewahren. Wenn ſich auch ſchon in ziemlich
früher Zeit kleine hölzerne Pulte zum Auflegen der Miſſale,
wie ſie heute ziemlich allgemein in Gebrauch ſind, nachweiſen
laſſen, ſo war es doch das ganze Mittelalter hindurch viel
häufiger Brauch, zierlich gearbeitete Kiſſen hierzu in Au-
wendung zu bringen, in deren weiche Füllung ſich die vielen
Relief⸗ Verzierungen der Buchdeckel ohne Beſchädigung zu er-
leiden eindrücken konnten.
Daß dieſe Kiſſen, weil ſie zur Ausſtattung des Altares ge-
hörten und mit dem Opfer der hl. Meſſe in näherer Beziehung
ſtanden, von Seiten der Weberei und Stickerei eine ſorgfältige
und reiche Ausſtattung, namentlich in dem Ueberzuge der oberen
Seite, erhielten, ſteht kaum zu bezweifeln, wenn man auch
nicht durch eine chronologiſch zuſammenhängende Reihe älterer
Ueberreſte von geſtickten Kiſſen die ornamentale Entwicklung der-
ſelben ſeit den älteſten Zeiten nachweiſen kann.
Aus der romaniſchen Kunſt-Epoche haben ſich unſeres Wiſ-
ſens keine Altarkiſſen bis zur Stunde erhalten; jedoch läßt ſich
nach Analogie der übrigen noch vorfindlichen Stickereien jener
Periode mit ziemlicher Sicherheit ermeſſen, mit welcher Sorg-
falt man im XJ. und XJ. Jahrhunderte jene Kiſſen auszuſtatten
Bedacht nahm, welche zu einem ſo hervorragenden Gebrauche be-
ſtimmt waren. Von dem einfach- praktiſchen Sinne jener Zei-
ten läßt es ſich annehmen, daß die Stickereien an dieſem Altar-
 
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