Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 6.1867

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7149#0039
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 83 —

leuchtet es ein, daß man heute nur ſelten mehr ſolche pulvinaria
oder Ueberzüge derſelben antrifft, welche über Ausdehnung und
ornamentale Ausſtattung dieſes Altargeräthes im XJJJ. und
XJV. Jahrhunderte Aufklärung geben könnten. Jrren wir nicht,
ſo haben ſich noch einzelne derſelben in dem reichgefüllten Schatze
des Domes zu Halberſtadt und in der Marienkirche zu Danzig
erhalten.

im Mittelalter ſtets als der Repräſentant Chriſti, da, gleich-
wie das Einhorn nach mittelalterlichen Phyſiologen nur
von einer Jungfrau eingefangen und leicht gezähmt werden
konnte, ſo auch der Sohn Gottes nur aus einer Jungfrau
Fleiſch annehmen wollte.
Von den übrigen Kiſſen, welche im kirchlichen Gebrauche
eine vielfache Anwendung fanden, ſeien hier im Anſchluße an
die Altarkiſſen noch jene erwähnt, welche, mit reichen Sticker-
eien verziert, den Häuptern der Heiligen in ihren Behältern und
Reliquienſchreinen als Unterlage dienten. So lieſt man, daß ſchon
Alpais, die Schweſter Karl's des Kahlen, bereits im JX. Jahr-
hunderte ein Hauptkiſſen von rother Seide für den Körper des hl.
Remigius anfertigte, und dasſelbe in goldenen geſtickten Buch-
ſtaben mit acht Verſen zum Lobe dieſes berühmten Heiligen
verzierte. Als man nun im Jahre 1646 das Grab desſelben
öffnete, fand man jenes prachtvolle Kiſſen der Alpais ausge-
zeichnet gut erhalten vor. Dieſer Gebrauch, unter das
Haupt verſchiedener Heiligen, ſo wie ſonſtiger angeſehener Ver-
ſtorbenen reichgeſtickte kleine Kiſſen zu legen, war im Mittel-
alter allgemein. Als man den Schrein der hl. Ethelrita
öffnete, fand man ihren Körper unverſehrt ,,pluvillo serico
ad caput adposito''. Bei Gelegenheit der Uebertragung der
irdiſchen Ueberreſte des hl. Albertus Magnus aus einem un-
ſcheinbaren Kaſten in einen neuen reichverzierten Schrein fand
man am 16. Novbr. 1859 unter dem cranium dieſes großen
Denkers ein zierliches Kiſſen, mit figurirter Seide überzogen,
deſſen Muſterungen jenes ſchöne Deſſin mit den Hirſchen deut-
lich erkennen ließen, das wir an anderer Stelle vielfarbig wie-
dergegeben haben. Zu gleichem Gebrauche ſcheinen auch manche
von jenen pulvinaria des londoner Schatzverzeichniſſes von St.
Paul (1295) ehemals beſtimmt geweſen zu ſein, die einem
Local⸗Heiligen oder angeſehenen Verſtorbenen vindicirt werden.
So heißt es dasſelbſt: Item pulvinar magnum de rnbeo
semeto, quod fuit boati Hugonis. — Item pulvinar mag
gnum de panno varii coloris et operis, quod fuit Epi-
scopi Rogeri.
Als man in den drei letzten Jahrhunderten in vielen Kirchen
die Häupter der Heiligen aus ihren Truhen, in welchen ſie
bisher geruht hatten, erhob und dieſelben mit reichen Gold-
und Perl-Stickereien verziert, den Blicken der Gläubigen bei
beſonderen Gelegenheiten zu Verehrung aufſtellte, unterließ man
es auch bei dieſen Veranlaſſengen nicht, denſelben reichgeſtickte
Kiſſen zu Unterlage zur geben, die ſich heute noch in vielen
Kirchen am Rhein erhalten haben. Die meiſten dieſer Kiſſen
rühren aber nicht mehr aus der Blüthezeit der kirchlichen Stickerei
des Mittelalters, ſondern meiſtens aus den beiden letzten Jahr-
hunderten her, wo man ſich darin gefiel, anſtatt gediegener
Kunſtſtickereien eine Menge von Pallietten, von Wachsperlen
und anderen farbigen Flittern aufzuſetzen.
(Organ für chriſtliche Kunſt.)

Das unſtreitig formſchönſte und intereſſanteſte pulvinar des
Mittelalters befindet ſich heute in der Sammlung älterer
Stickereien und Webereien des Kenſington-Muſeums zu London
vor; dasſelbe gibt in ſeiner künſtleriſchen Ausſtattung die nöthi-
gen Anhaltspuncte, um erkennen laſſen, in welcher Weiſe dieſe
anſcheinend untergeordneten Altar-Utenſilien von Seiten der
Stickkunſt im XJJJ. und XJV. Jahrhunderte ornamental ver-
ziert zu werden pflegten. Wie noch heute, befand ſich nämlich
auch im Mittelalter an dem Kiſſen ein doppelter Ueberzug.
Der erſte, innere, hatte einfach den Zweck, die Wolle oder
Thierhaare aufzunehmen, welche die innere Füllung des Kiſſens
bildeten. Der äußere, der in manchen Kirchen je nach der Bedeu-
tung des Feſtes und der liturgiſchen Farbe des Tages gewechſelt
werden konnte, zeigt eine weniger verzierte untere und eine reicher
geſtickte obere Seite. Dieſe verſchiedene Ornamentation findet
ſich auch an dem gedachten Kiſſen des Kenſington-Muſeums vor.
Der Grundſtoff des Ueberzuges beſteht aus einem ziemlich loſe
gewebten Kannefaß von ungebleichtem Leinen, welcher auf der
Rückſeite in rothem Fond quadratiſche Ornamente in Stramin-
Kettenſtich zeigt, die mit Mäanderformen vielfarbig ausgefüllt
ſind. Die vordere und Hauptſeite jedoch, die im erſten
Bande der ,,Geſchichte der liturgiſchen Gewänder des Mit-
telalters'' auf Tafeln vielfarbig wiedergegeben iſt, zeigt in
zierlichem Flechteuſtiche die Darſtellung der hl. Familie, die
von vier dienenden Engeln ſinnig umgeben iſt. Jndem wir auf
die techniſchen Erläuterungen zu dieſem Kiſſen auf denſelben
Band verweiſen, machen wir hier noch beſonders auf den mit
quadratiſchen Deſſins gemuſterten Goldſtreifen aufmerkſam, der
die Darſtellung nach den vier Seiten hin paſſend einfaßt.
Als im Laufe des XJV. Jahrhunderts die reichgemuſterten
Sammtſtoffe norditalieniſcher Fabrication ungeachtet ihrer großen
Koſtpieligkeit häufig bei Anſchaffung von Paramenten zur An-
wendung kamen, ſcheint man dieſelben Stoffe, entweder mit ge-
ſchnittenen Deſſins oder in Gold brocchirt, auch für feſttägliche
Kiſſen jeder Art mit beſonderer Vorliebe verwendet zu haben.
Auf Tempera-Malereien aus dem Schluſſe des XV. Jahrhun-
derts findet man oft ſolche Altarkiſſen aus gemuſtertem oder
glattem Sammt, die an den vier Ecken mit ſtarken Seidenqua-
ſten beſetzt ſind, deren runde Köpfe in der Regel aus kleinen,
eng zuſammengenähten Perlen beſtehen.
Die im Beginne des XV. Jahrhunderts ſich in Flandern
entwickelnde Bild⸗ und Teppichwirkerei à haute lisse verdrängte
vielfach die ſchweren Sammtſtoffe des vorhergehenden Jahr-
hunderts, indem jetzt, wie für andere Zwecke, ſo auch für die
Ueberzüge der kirchlichen Knie-, Sitz- und Altarkiſſen jene Ge-
webe in Arras, Brügge und den übrigen flandriſchen Jnduſtrie-
ſtädten, ſowie auch in Rheims in großer Menge angefertigt
wurden und von dort aus in den Handel kamen. Auf Tafeln
werden wir nächſtens ein ſolches haute-lisse- Gewebe in einem
vielfarbigen Wollenſtoffe veranſchaulichen, welches heute noch
als Ueberzug eines auf der hintern Seite mit ſtarkem Leder
bekleideten Altarkiſſens dient. Nicht nur die Styliſtik der ein-
gewebten Figuren und Pflanzen-Ornamente, ſondern auch das
Herkommen des Kiſſens ſcheinen uns zum Belege zu dienen,
daß der ſtoffliche Ueberzug desſelben aus den berühmten Tep-
pichwirkereien von Arras in der Mitte des XV. Jahrhunderts
hervorgegangen iſt. Das von einem Laubkranze umgebene Ein-
horn, welches von einer ſitzenden Jungfrau geliebkoſt wird, galt

JJJ. Weiße Tauben in Gräbern und auf ildern.
Jch müßte mehrere Spalten unſerer Blätter in Anſpruch
nehmen, wollte ich die Legenden alle anführen, die die Seelen
dahin ſcheidender Heiligen in weißer Taubengeſtalt zum Him-
mel auffliegen laſſen. Es ſind in der Regel heilige Jungfrauen,
von denen uns ſolches die Legende mittheilt. Dieſer ſchöne Zug
iſt uralt und begegnet uns viele Jahrhunderte früher, als man
nur an Niederſchreibung von Heiligenlegenden dachte.
Der Mainzer Geſchichtſchreiber Fuchs in der zweiten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts (1771) gibt uns hierüber eine intereſ-
ſante Mittheilung. ,,Wenn wir auch ſchweigen wollten, ſagt
er unter anderem, daß durch die XXJJ. Legion die Lehre Chriſti
nach Mainz gebracht worden, ſo würden doch die Grabſtätten
ſo vieler römiſchen Soldaten ſchreien und auch die bei ihren
 
Annotationen