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sorschliche Gewalt. Die psychologischen Wurzeln dieser das ganze Denken
Calvins beherrschenden Vorstellung liegen einerseits in der Gewißheit:
„Gott ist mit uns". Die Prädestinationslehre ist ein Ausdruck seines
felsenfesten, sieghaften Glaubens. Andrerseits aber ist bei ihrer zähen Fest-
haltung die rein praktische, durch dir Bibel bestätigte Erkenntnis, maßgebend
gewesen, daß es Menschen gibt, die jeder sittlichen und religiösen Einwirkung
unzugänglich sind. Calvin hat gelernt mit den Wirklichkeiten des Lebens
zu rechnen. So geht er auch bei der Schaffung seiner rigorosen Gemeinde-
ordnungen von dem Satze aus: Der Mensch ist erziehungsbedürftig, seiner
Schwachheit und geistlichen Trägheit kann nur ein Gesetz aufhelfen. Er
hat ein scharfes Auge für die Lebensbedingungen der wirtschaftlichen Ent-
wicklung; er erlaubt den Zins. Seine Anhänger lernten in seiner Schule
die konkreten Faktoren in den Vordergrund stellen und wurden geschickte
Unternehmer, rührige Großindustrielle und weitschauende Handelsherren.
Im Bereich der Kunst aber schildern diese Calvinisten das Leben ohne
Phrase, ohne falsche Beleuchtung, realistisch, ja naturalistisch. Ob die
Holländer ihre Schützen- oder Regentenstücke malen, ob sie eine Dorf-
oder Schenkenszene, eine Landschaft oder Tiere darstellen, überall ist es ein
frischer Wirklichkeitssinn, der an der Arbeit ist. Die kühle Lebensauffassung
des Holländers erklärt diese Eigenart ihrer Kunst nicht restlos; die kirch-
liche Atmosphäre tat das ihre, diese Lebensanschauung zu gesundem Aus-
leben zu bringen. Denn es ist doch auffallend, wie Calvin der holländischen
Kunst gleichsam ihre Motive angibt, wenn er in jenem bereits erwähnten
Worte sagt: Erlaubt ist es, Geschichten und Taten, Figuren (im lateinischen
Texte „körperliche Formen"), Tiere, Städte und Landschaften zu malen.
Unwillkürlich stellt sich bei dieser Aufzählung die Erinnerung an die Por-
träte von Frans Hals und van der Helft ein, an die Episoden, welche
die vornehmen und bürgerlichen Genremaler und die Darsteller des Bauern-
lebens in Holland geschildert haben. Anch die Tiere sind zu ihrem Recht
gekommeu, man denke nur an die Bilder, auf deneu der sehr kirchliche Albert
Cupy vou Dordrecht seine Viehherden dargestellt hat, an die andern, auf
denen Wouwermann seine Pferde sich tummeln läßt. Die verträumten
melancholischen Landschaften Hobbemas und die Städtebilder der Architektur-
maler Berkheyden und Ian van der Heyden erfüllten Calvins Forderung,
daß „Städteansichten und Landschaften" gemalt werden sollen. Calvins
phantasiearmer, aller Illusion und jedem falschen Pathos abholde Geist
klang harmonisch zusammen mit der nüchternen Art der Holländer.
Freilich ist das künstlerische Schaffen des Größten unter den hollän-
dischen Malern damit nicht erklärt. Rembrandt ist auch in der Religion
seine eigenen Wege gegangen. Er war Mennonit, wie es Ruisdael auch
gewesen; er war vor allem Biblizist. Die biblischen Geschichten, die alt-
testamentlichen in erster Linie, hat er aus ihrem altheiligen Rahmen heraus-
gehoben und ihnen durch seine Realistik eine neue Weihe gegeben. Aber in
jenen wunderbaren Offenbarungen seiner Kunst, die das uralte Rätsel-
 
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