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PFARRKIRCHE ST. SEBALD
Fig. 162. Pfinzing-Fenster (Heiligenzone). Chor s III, j-Sa-d (Montage).
Hirsvogel-Werkstatt nach Entwurf Albrecht Dürers, 1515.
sind deren sechs Söhne und zwei Töchter versam-
melt, die ihrerseits durch beigefügte Wappenschil-
de namhaft gemacht werden können. Das in starker
Untersicht wiedergegebene Obergeschoss ist den
Heiligen vorbehalten. Über dem Hl. Christopho-
rus und der Hl. Anna Selbdritt in einem niedrigen
Zwischengeschoss erscheinen die Muttergottes mit
Kind im Strahlenkranz und der Titelheilige Se-
bald, der als sein persönliches Attribut, neben der
Pilgertracht, das Kirchenmodell der Sebalduskir-
che trägt.
Freilich sind es weniger die figürlichen Teile, die
den außergewöhnlichen Rang des Pfinzing-Fens-
ters gegenüber den beiden Vorläufern in St. Sebald
wie den übrigen Erzeugnissen der Nürnberger
Glasmalerei begründen. Der entscheidende quali-
tative Sprung betrifft vielmehr die mit modernen
Mitteln vollzogene einheitliche Konzeption des
übergreifenden Bildraumes nach den Gesetzen der
Zentralperspektive: Auf der mit Wein- und Ei-
chenlaub gezierten Konsole fußen übereinander
zwei hohe offene Bogenhallen, bekrönt durch eine
im großen Kreis geöffnete Kuppel. Dieser formale
Aufbau trennt auf anschauliche Weise die Zone der
Stifter von der der Heiligen. Der massive Torbo-
gen im unteren Geschoss ruht auf starken Pfeilern,
deren reich profilierte Flächen über und über mit
Masken, Delphinen, Satyrn, Vasen und Kranichen
besetzt sind. Kolossale Säulen, dekoriert mit Wein-
laub, Delphinen und Löwenköpfen, tragen das luf-
tige Obergeschoss, wo vor lichtem weißen Grund
die Heiligen erscheinen. Putti mit Girlanden und
Fackeln flankieren den unteren wie den oberen Bo-
genabschluss.
Alle Fluchtlinien der prächtigen Architektur lau-
fen exakt im Schnittpunkt von Mittelpfosten und
Quereisen oberhalb der dritten Zeile zusammen
und teilen deren Höhe im Verhältnis 3 zu 5. Diese
kühne Anwendung der Zentralperspektive auf das
ebenso ungewöhnliche wie ungünstige Hochformat
der Fensterfläche ist ein Meisterstück Dürer’scher
Projektionskunst. Man vergleiche dazu nur die
Skizze eines ebenso extrem fluchtenden Gebälks
auf kannelierter Schmucksäule in Chatsworth (um
1515), die fast wörtlich mit der Architektur des
Pfinzing-Fensters übereinstimmt (Fig. 163)607. Wenn die Zeichnung auch nicht unmittelbar für diesen Zweck angefer-
tigt wurde - man denkt eher an eine eingeschossige Renaissancehalle608 - so wird hier doch ein innerer Zusammen-
hang sichtbar, der ebenso wenig zufällig ist wie die Übertragung der gleichzeitig formulierten architektonischen und
dekorativen Bildlösungen der Ehrenpforte auf den vorliegenden Fensterauftrag.
PFARRKIRCHE ST. SEBALD
Fig. 162. Pfinzing-Fenster (Heiligenzone). Chor s III, j-Sa-d (Montage).
Hirsvogel-Werkstatt nach Entwurf Albrecht Dürers, 1515.
sind deren sechs Söhne und zwei Töchter versam-
melt, die ihrerseits durch beigefügte Wappenschil-
de namhaft gemacht werden können. Das in starker
Untersicht wiedergegebene Obergeschoss ist den
Heiligen vorbehalten. Über dem Hl. Christopho-
rus und der Hl. Anna Selbdritt in einem niedrigen
Zwischengeschoss erscheinen die Muttergottes mit
Kind im Strahlenkranz und der Titelheilige Se-
bald, der als sein persönliches Attribut, neben der
Pilgertracht, das Kirchenmodell der Sebalduskir-
che trägt.
Freilich sind es weniger die figürlichen Teile, die
den außergewöhnlichen Rang des Pfinzing-Fens-
ters gegenüber den beiden Vorläufern in St. Sebald
wie den übrigen Erzeugnissen der Nürnberger
Glasmalerei begründen. Der entscheidende quali-
tative Sprung betrifft vielmehr die mit modernen
Mitteln vollzogene einheitliche Konzeption des
übergreifenden Bildraumes nach den Gesetzen der
Zentralperspektive: Auf der mit Wein- und Ei-
chenlaub gezierten Konsole fußen übereinander
zwei hohe offene Bogenhallen, bekrönt durch eine
im großen Kreis geöffnete Kuppel. Dieser formale
Aufbau trennt auf anschauliche Weise die Zone der
Stifter von der der Heiligen. Der massive Torbo-
gen im unteren Geschoss ruht auf starken Pfeilern,
deren reich profilierte Flächen über und über mit
Masken, Delphinen, Satyrn, Vasen und Kranichen
besetzt sind. Kolossale Säulen, dekoriert mit Wein-
laub, Delphinen und Löwenköpfen, tragen das luf-
tige Obergeschoss, wo vor lichtem weißen Grund
die Heiligen erscheinen. Putti mit Girlanden und
Fackeln flankieren den unteren wie den oberen Bo-
genabschluss.
Alle Fluchtlinien der prächtigen Architektur lau-
fen exakt im Schnittpunkt von Mittelpfosten und
Quereisen oberhalb der dritten Zeile zusammen
und teilen deren Höhe im Verhältnis 3 zu 5. Diese
kühne Anwendung der Zentralperspektive auf das
ebenso ungewöhnliche wie ungünstige Hochformat
der Fensterfläche ist ein Meisterstück Dürer’scher
Projektionskunst. Man vergleiche dazu nur die
Skizze eines ebenso extrem fluchtenden Gebälks
auf kannelierter Schmucksäule in Chatsworth (um
1515), die fast wörtlich mit der Architektur des
Pfinzing-Fensters übereinstimmt (Fig. 163)607. Wenn die Zeichnung auch nicht unmittelbar für diesen Zweck angefer-
tigt wurde - man denkt eher an eine eingeschossige Renaissancehalle608 - so wird hier doch ein innerer Zusammen-
hang sichtbar, der ebenso wenig zufällig ist wie die Übertragung der gleichzeitig formulierten architektonischen und
dekorativen Bildlösungen der Ehrenpforte auf den vorliegenden Fensterauftrag.