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EHEMALIGES BENEDIKTINERKLOSTER ST. EGIDIEN
Affectus tedio monalibus dum liminae transit
Sacra Monastery sevo removatur abangue. ijoi.
[Voller Überdruss will ein Mönch das Kloster verlassen,
aber ein furchtbarer Lindwurm zwingt ihn zu schleuniger Umkehr.]
Vir quidam pauper cum debitu solvere nescit
Largitur solides tredecim Benedictus eidem. 1501.
[Einem Mann, der zu arm ist, die fällige Schuld zu begleichen,
hilft Benedictus und schenkt ihm dreizehn Schilling aus Mitleid.]
Dum custos differt oleum donare potenti
Deycit ampullam Benedictus salvaq(ue) mansit. 1501.
[Geizig zögert der Kustos, sein Öl mit Fremden zu teilen;
Benedikt wirft das Gefäß in die Tiefe - es bleibt unbeschädigt!]
In mulo sedens Benedicto Daemon iniquus
Obvuit insidias fratibus quoponere t..tam. 1501.
[Benedikt trifft unterwegs einen ränkeschmiedenden Dämon.
Auf einem Maultiere sitzend, ersinnt dieser tückische Fallen.]
Haurit aquam Monachus quem Spiritus intrat et iuget
Impius huncprope Benedicti dextra repellit. 1501.
[Einen Mönch, der gerade mit Wasserschöpfen beschäftigt,
plagt ein unreiner Geist, doch Benedikts Rechte vertreibt ihn.]
Hicpuerum exanimam dura quo morte peremptu
Suscitat ad vitam precibus Benedictus amicis. 1501.
[Diesen verstorbenen Knaben, den grausam sein Ende ereilte,
ruft Benedictus auf Bitten der Freunde zurück in das Leben.]
Hortutur fratrem veneranda Scholastica secum ut
Permaneat noctem, miracula grandia cernit. 1501.
[Dringend bittet den Bruder Scholastika, dass er doch bleibe,
und im Laufe der Nacht erblickt sie gewaltige Wunder.]
Hic animam chara? coelum ascendisse sororis
Vidit, fratibus sive boetus denunciat ipsis. 1501.
[Hier sieht er, wie die Seele der Schwester zum Himmel emporsteigt,
freudig ruft er die Brüder, um ihnen die Schau zu verkünden.]
Ante suam faciem collectum viderat orbem.
Germaniq(ue) animam sedes petysse tonantis. 1501.
[Vor seinem Antlitz erblickt er den weiten Erdkreis in Gänze,
und des Germanns Seele, die aufsteigt zum göttlichen Throne.]
Mortis signa suae praedixit mira viamq(ue)
Ad superos fratribus digito monstravit amicis. 1501.
[Wundersam sagt er voraus die Zeichen des eigenen Todes,
zeigt mit dem Finger den Brüdern den Weg zu den himmlischen
Höhen.]
Illustres Benedictus et alma Scholasticapartu
Sunt gemino nati charus uterque S(anct)o. 1501.
[Benedikt und seine Schwester, als Zwillinge einstmals geboren,
strahlen in himmlischem Glanz, sich der Liebe Gottes erfreuend.]
Romanus monachus Benedictum veste sacrata
Intuit et vitam Sancti cognovit Ephebi. 1501.
[Staunend über das Leben des heiligmäßigen Jünglings,
hüllt ihn Romanus, der Mönch, in das Kleid der frommen Askese.]
Per rupem monachus panem dimittit: at illic
Campanam rumpit Sathanas funemque resi..udit 1501.
[Mitten in felsiger Kluft lässt der Mönch die Mahlzeit hinunter,
Satan aber zerbricht das Glöcklein und schneidet das Seil ab.]
Dieße Verße, welche S. Benedicti Leben be(sch)riften,
sind in den Fenstern deß Creutzgangs eingethailt,
darin(n)en die Mönche in braunen Kutten wie auch
weiße zu sehen, und die Wunderwerckh nebens dem
wappen, so solche gestifted gemahlt angezeigt41.
Die Aufzählung der Tituli lässt erkennen, dass der Schreiber beim Abschreiten der Folge offenbar nicht bei deren
Anfang, d.h. im richtigen Kreuzgangsflügel, mit den Aufzeichnungen begonnen hatte. So sind die Einkleidung Bene-
dikts durch den Mönch Romanus und die Speisung Benedikts bei der Höhle von Subiaco, die den Auftakt des Zyklus
bildeten, hinter die Verherrlichung von Benedikt und Scholastika42 an das Ende seiner Auflistung gerückt. Zudem sind
wesentliche Ereignisse aus der Vita des Heiligen, die in den Entwürfen, Umzeichnungen und erhaltenen Restscheiben
(gleichviel ob als Erst- oder Zweitausführung) vertreten sind, in den Epigrammen nicht überliefert, sodass man zum
damaligen Zeitpunkt (zwischen 1615 und 1696) an Ort und Stelle bereits mit einer reduzierten Folge zu rechnen hat,
die ursprünglich sicher deutlich mehr Szenen umfasst haben muss.
Dank eines glücklichen Umstands kennen wir den Verfasser der zweizeiligen Verse, die den Einzelszenen zur Erläute-
rung beigegeben wurden. Es ist der aus Ehingen an der Donau gebürtige, 1498-1503 als Nachfolger von Konrad Celtis
auf dem Poeten-Lehrstuhl der Universität in Ingolstadt wirkende Humanist Jakob Locher Philomusus, dessen Carmi-
na Philomusi in Vitam Sancti Benedicti mit insgesamt 39 Disticha de miraculis et vita Sancti Benedicti secundum tabu-
lae pictas imagines et figuras ad D. Abbatem Sancti Egidij nur mehr durch die Abschrift Hartmann Schedels in einem
1500 erschienenen Inkunabeldruck diverser Ordensregeln aus dessen Bibliothek überliefert werden (Fig. z/j)43.
EHEMALIGES BENEDIKTINERKLOSTER ST. EGIDIEN
Affectus tedio monalibus dum liminae transit
Sacra Monastery sevo removatur abangue. ijoi.
[Voller Überdruss will ein Mönch das Kloster verlassen,
aber ein furchtbarer Lindwurm zwingt ihn zu schleuniger Umkehr.]
Vir quidam pauper cum debitu solvere nescit
Largitur solides tredecim Benedictus eidem. 1501.
[Einem Mann, der zu arm ist, die fällige Schuld zu begleichen,
hilft Benedictus und schenkt ihm dreizehn Schilling aus Mitleid.]
Dum custos differt oleum donare potenti
Deycit ampullam Benedictus salvaq(ue) mansit. 1501.
[Geizig zögert der Kustos, sein Öl mit Fremden zu teilen;
Benedikt wirft das Gefäß in die Tiefe - es bleibt unbeschädigt!]
In mulo sedens Benedicto Daemon iniquus
Obvuit insidias fratibus quoponere t..tam. 1501.
[Benedikt trifft unterwegs einen ränkeschmiedenden Dämon.
Auf einem Maultiere sitzend, ersinnt dieser tückische Fallen.]
Haurit aquam Monachus quem Spiritus intrat et iuget
Impius huncprope Benedicti dextra repellit. 1501.
[Einen Mönch, der gerade mit Wasserschöpfen beschäftigt,
plagt ein unreiner Geist, doch Benedikts Rechte vertreibt ihn.]
Hicpuerum exanimam dura quo morte peremptu
Suscitat ad vitam precibus Benedictus amicis. 1501.
[Diesen verstorbenen Knaben, den grausam sein Ende ereilte,
ruft Benedictus auf Bitten der Freunde zurück in das Leben.]
Hortutur fratrem veneranda Scholastica secum ut
Permaneat noctem, miracula grandia cernit. 1501.
[Dringend bittet den Bruder Scholastika, dass er doch bleibe,
und im Laufe der Nacht erblickt sie gewaltige Wunder.]
Hic animam chara? coelum ascendisse sororis
Vidit, fratibus sive boetus denunciat ipsis. 1501.
[Hier sieht er, wie die Seele der Schwester zum Himmel emporsteigt,
freudig ruft er die Brüder, um ihnen die Schau zu verkünden.]
Ante suam faciem collectum viderat orbem.
Germaniq(ue) animam sedes petysse tonantis. 1501.
[Vor seinem Antlitz erblickt er den weiten Erdkreis in Gänze,
und des Germanns Seele, die aufsteigt zum göttlichen Throne.]
Mortis signa suae praedixit mira viamq(ue)
Ad superos fratribus digito monstravit amicis. 1501.
[Wundersam sagt er voraus die Zeichen des eigenen Todes,
zeigt mit dem Finger den Brüdern den Weg zu den himmlischen
Höhen.]
Illustres Benedictus et alma Scholasticapartu
Sunt gemino nati charus uterque S(anct)o. 1501.
[Benedikt und seine Schwester, als Zwillinge einstmals geboren,
strahlen in himmlischem Glanz, sich der Liebe Gottes erfreuend.]
Romanus monachus Benedictum veste sacrata
Intuit et vitam Sancti cognovit Ephebi. 1501.
[Staunend über das Leben des heiligmäßigen Jünglings,
hüllt ihn Romanus, der Mönch, in das Kleid der frommen Askese.]
Per rupem monachus panem dimittit: at illic
Campanam rumpit Sathanas funemque resi..udit 1501.
[Mitten in felsiger Kluft lässt der Mönch die Mahlzeit hinunter,
Satan aber zerbricht das Glöcklein und schneidet das Seil ab.]
Dieße Verße, welche S. Benedicti Leben be(sch)riften,
sind in den Fenstern deß Creutzgangs eingethailt,
darin(n)en die Mönche in braunen Kutten wie auch
weiße zu sehen, und die Wunderwerckh nebens dem
wappen, so solche gestifted gemahlt angezeigt41.
Die Aufzählung der Tituli lässt erkennen, dass der Schreiber beim Abschreiten der Folge offenbar nicht bei deren
Anfang, d.h. im richtigen Kreuzgangsflügel, mit den Aufzeichnungen begonnen hatte. So sind die Einkleidung Bene-
dikts durch den Mönch Romanus und die Speisung Benedikts bei der Höhle von Subiaco, die den Auftakt des Zyklus
bildeten, hinter die Verherrlichung von Benedikt und Scholastika42 an das Ende seiner Auflistung gerückt. Zudem sind
wesentliche Ereignisse aus der Vita des Heiligen, die in den Entwürfen, Umzeichnungen und erhaltenen Restscheiben
(gleichviel ob als Erst- oder Zweitausführung) vertreten sind, in den Epigrammen nicht überliefert, sodass man zum
damaligen Zeitpunkt (zwischen 1615 und 1696) an Ort und Stelle bereits mit einer reduzierten Folge zu rechnen hat,
die ursprünglich sicher deutlich mehr Szenen umfasst haben muss.
Dank eines glücklichen Umstands kennen wir den Verfasser der zweizeiligen Verse, die den Einzelszenen zur Erläute-
rung beigegeben wurden. Es ist der aus Ehingen an der Donau gebürtige, 1498-1503 als Nachfolger von Konrad Celtis
auf dem Poeten-Lehrstuhl der Universität in Ingolstadt wirkende Humanist Jakob Locher Philomusus, dessen Carmi-
na Philomusi in Vitam Sancti Benedicti mit insgesamt 39 Disticha de miraculis et vita Sancti Benedicti secundum tabu-
lae pictas imagines et figuras ad D. Abbatem Sancti Egidij nur mehr durch die Abschrift Hartmann Schedels in einem
1500 erschienenen Inkunabeldruck diverser Ordensregeln aus dessen Bibliothek überliefert werden (Fig. z/j)43.