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mit der Welt in Verbindung bringen würden. Sie verlangen
aber nicht nach auswärtigem Verkehr; sie selbst wissen mit
ihren Pferden und leichten Wagen auf den Sandwegen gut wei-
terzukommen, und der Fremde mit seinem an feste Landstras-
sen gewöhnten Rosse mag sehen, wie er fertig wird. Selbst
an den Mängeln und Unbequemlichkeiten ihrer Einrichtungen
hängen sie mit Treue: schlecht scheint ihnen nur das Neue und
Fremde, gut das Heimische und Altherkömmliche.

Allerdings ändert sich dieser Charakter des Landes man-
nichfach, sobald man die hannoversche Gränze überschritten hat
und ins Osnabrückische gekommen ist. Hannover hat ein Netz
von trefflichen Kunststrassen über seine Länder ausgebreitet,
und die meisten derselben brechen an der preussischen Gränze
plötzlich ab. Auch hat in diesen Gegenden die Reformation
frühzeitig Eingang gefunden und den Sinn der Bewohner viel-
fach geändert. Aber die allgermanische, acht westfälische Na-
tur des Landes verläugnet sich in den Thälern des Teutoburger
AValdes ebensowenig wie in den Haiden des Münsterlandes, und
die alten Sitten und Gewohnheiten bestehen unter den Land-
leuten in unverminderter Kraft. Schon der eine Umstand zeugt
davon, dass man auf dem Lande an der Kleidung den Unter-
schied der Confessionen erkennen kann: die protestantischen
Bewohner unterscheiden sich durch einfache, schwarze oder
doch dunkle Tracht von den Katholiken, die der Gewohnheit
bunter Gewänder treu geblieben sind. Osnabrück scheint durch
seine Lage von der Natur zur Abgeschlossenheit bestimmt. Es
Hegt in der Thalebene, welche sich zwischen dem Teutoburger
Walde und dem Kappeier Bergrücken erstreckt, und durch die
sich der nicht sehr ansehnliche Haasefluss windet, dem die
Stadt ihren Namen verdankt. Diese anmuthig bewaldeten Hü-
gelreihen bilden die letzte Grenzscheide gegen das von hier ab
beginnende norddeutsche Marschland.

Dass solche Lage des Landes und solche Sinnesrichtung
der Bewohner nicht ohne Einfluss auf den Gang der Kunstent-
wickelung geblieben sein kann, ist vorauszusetzen. In der That
ist es charakteristisch, wie lange noch in Westfalen an den Prin-
cipien des romanischen Styles festgehalten wurde, als schon
an andern Orten der gothische Styl zur Herrschaft gekommen
war; ja, die meisten Eigenthümlichkeiten der dortigen Ueber-
gangsarchitektur sind Anwehungen, die man vom gothischen
Style bekam, und deren man sich nicht ganz zu erwehren ver-
mochte. Der Uebergangsslyl mit seinem hartnäckigen Festhallen
an der alten Bauweise und seinem vielgestaltigen Hinüberrchwan-
ken zu neueren Formen ist daher recht eigentlich der Styl sol-
cher Binnenländer, während die gothische Architektur zuerst
ihren Triumphgang an den Ufern mächtiger Ströme und den Ge-
staden des Meeres hin nahm. Sodann aber betrat sie schnell
die grossen Handelswege der Hanse, und daher kommt es, dass
in Westfalen jene uralte Heerstrasse, die sich auf der Wasser-
scheide zwischen Lippe und Ruhr hinzieht, die fruchtbarste Ge-
gend durchlaufend und die reichsten Städte verbindend, zugleich
durch eine Reihe der frühsten und bedeutsamsten gothischen
Bauwerke Westfalens bezeichnet wird. So verband sich -in
Deutschland das Aufblühen dieses Styles mit dem Wachsthum
der Städte, während die alten Kathedralen und Stiftskirchen in
einer Art von Gegensatz meist dem romanischen Style folgten.
Ein solches Verhältniss wird sich auch bei der Betrachtung der
Bauwerke Osnabrücks ergeben. Die älteste Kirche sowohl der
Gründung, als auch dem Style nach ist

der Dom.

Schon zu Karls des Grossen Zeit wurde in Osnabrück ein
Bisthum gestiftet und zugleich ohne Zweifel der Grund zu einer
Domkirche gelegt. Im Jahre 1100 jedoch zerstörte ein Brand

den Dom samint dem bischöflichen Palaste. Vermuthlich war
diese Zerstörung keine totale, denn schon nach sechs Jahren
scheint das Gebäude wiederhergestellt gewesen zu sein, da nur
so lange die Reliquien der Schutzheiligen Crispinus und Cris-
pinianus in ihrem Zufluchtsort zu lburg blieben. Unter Bischof
Udo (f 1141) sind die beiden Westthürme des Domes erbaut
worden, und mit dieser Nachricht versiegen die urkundlichen
Quellen über den Bau. Ohne Zweifel ist nun der nördliche der
beiden Westthürme noch der von Bischof Udo herrührende;
wann aber sein südlicher Nachbar die unförmliche Umgestaltung
erfahren hat, die ihn weit über den Umfang des älteren hin-
auswachsen Hess; wann ferner die ganze Kirche die Gestalt
erhalten hat, in welcher sie noch jetzt dasteht, darüber schwei-
gen die geschichtlichen Aufzeichnungen. Es lässt sich aber
aus dem Style des Gebäudes darthun, dass es einen durchgrei-
fenden Umbau nach 1141 erfahren haben muss, wenngleich
alle Nachrichten darüber verloren gegangen sind. Die Gurten
und Schildbögen zeigen nämlich jene leis prononcirte Spitzbo-
genform der Uebergangszeit, und auch die Arkaden des Lang-
hauses haben spitzbogige Verbindung. Dass jedoch Theile eines
älteren Baues im gegenwärtigen enthalten sind, beweisen die
beiden breiten rundbogigen Quergurten, welche das Mittelschiff
nach Westen gegen die Thurmhalle, nach Osten gegen das Quer-
schiff schliessen; ja selbst ein Theil der älteren rundbogigen
Arkadenanordnung hat sich erhalten, denn der dem nordwest-
lichen Thurme zunächst Hegende Pfeilerabstand ist ohne Zweifel
der letzte Rest der vormaligen Arkadenreihe. Es ist mir des-
halb unzweifelhaft, dass wir in diesen Theilen die Spuren jenes
nach 1100 aufgeführten Baues vor Augen haben, die man bei
dem späteren Umbau beibehalten hat. Diese Annahme scheint
durch den Umstand, dass auch der achteckige Thurm, der sich
über einer hohen Kuppel auf der Kreuzung von Langhaus und
Querschiff erhebt, von einem älteren Baue herrührt, an Glaub-
würdigkeit zu gewinnen. Zwar sind die inneren Theile der
Kuppel ebenfalls später umgestaltet worden und zeigem dem-
gemäss spitzbogige Schildbögen: allein die äussere, sehr stumpfe
und sehwerfällige Form des Thurmes, die höchst primitiven
Würfelkapitäle an den Säulen seiner Fensteröffnungen, so wie
der Umstand, dass er nicht füglich in der kurzen Zeit von 1100
—1106 miterbaut sein kann, machen es unzweifelhaft, dass der
Thurm einem früheren Bau, vielleicht sogar der ersten Anlage
angehöre. Seine Mauern ruhen vermittelst Zwickel auf den vier
mächtigen Gurtbögen der Vierung; die Wirkung der hohen Kup-
pel mit dem durch Seilenfensler einfallenden Licht ist von ho-
hem malerischen Reize. (Schluss folgt.)

Erklärung.

Ich sehe mich zu der Erklärung veranlasst, dass die Daten,
welche ich Hrn. W. Lübke bei seiner Anwesenheit hieselbst
über hiesige Bauten milzutheilen das Vergnügen hatte, nur die-
jenigen waren, welche sich in Schröders Pap. Mecklenb. finden.
Darnach muss die Angabe, dass der Chor der S. Marienkirche
hieselbst 1339 angefangen wurde (Jahrg. III. S. 307), dahin be-
richtigt werden, dass mit dem Meister J. Grote ein Contract 1339
abgeschlossen wurde ad regendum magistrandum ei murandum
chorum et ecclesiam — usque ad consummacionem; der Chor
wurde 1353 consecriert. — Der mit dem Meister Hinrich von
Bremen abgeschlossene Contract von 1381 zur Nicolaikirche
sagt, dass er den chorum per eum inceptum ad finem consum-
mare debet et complere, während derselbe Chor nach einer an-
deren Nachricht erst 1386 gegründet (upiecht) wurde.

Wismar. Dr, Crull.
 
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