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Ludwig Wilser: Germanischer Stil.
H. VOGELER-WORPSWEDE.
Radiriing. »Frosch-Königs Märchen«.
mit Absicht als Zierwerk benützt wurden,
zeigen nicht nur die Drachenhäupter am
Steven der Schiffe und an Hausgiebeln,
sondern u. A. auch ein von Verelius (Ma-
nuductio compendiosa ad Runographiam,
Upsalae 1675) abgebildeter Runenstein von
Warfrukyrke, dessen Inschrift besagt, dass
ein gewisser Lifsten seinem Vater und Sohn
»zwei schöne Drachen« (tuä gutha draka,)
d. h. mit Verschlingungen gezierte Grab-
steine errichtet habe. In einem aber darf
man Söderberg mit gutem Gewissen bei-
stimmen, dass nämlich die von manchen
Kunstschriftstellern, z. B. Knackfuss (1. c. —
Im herzoglichen Museum zu Braunschweig
befindet sich unter Nr. 58 ein kleiner
Reliquienschrein aus Walrosszahn mit Bronze-
beschlag und einer angelsächsischen Runenin-
schrift. Die Verzierung, Thiergestalten, deren
immer dünner werdende Schweife die mannig-
faltigsten Verschlingungen bilden, ist sehr
fein und eigenartig. Trotz der Inschrift, deren
Anfang zweifellos writne thiisi lautet, ist der
Schrein in dem vom Direktor Riegel 1879
herausgegebenen Führer als »irische Arbeit«
bezeichnet. Warum ? ? — Solches Zierwerk
heisst angelsächsisch brodenmael von bredan,
flechten, und vundenmael von vindan, winden),
in ihrem Einfluss auf die deutsche Zierkunst
sehr überschätzte irische Buchmalerei nichts
anders ist als eine von den Germanen über-
nommene Verzierungsart, dass die Entlehnung
in umgekehrter Richtung stattfand (att länet
gätt i en motsatt rigtning), als gewöhnlich
angenommen wird. Dass die Germanen bei
ihrer Südwanderung schon gewisse Zierformen
aus ihrer nordischen Heimath mitgebracht,
dafür haben uns die Gothen in dem Grabmal
ihres grossen Königs zu Ravenna ein
unvergängliches und eine deutliche Sprache
redendes Denkmal hinterlassen. Unter der
gewaltigen Kuppel läuft über Schneckenrollen,
einem seit der Bronzezeit in Nordeuropa
beliebten Zierrath, ringsum das zangenförmige
»Gothenornament«. DieseWerzierung findet
sich nicht nur auf einer ebenfalls zu Ravenna
Ludwig Wilser: Germanischer Stil.
H. VOGELER-WORPSWEDE.
Radiriing. »Frosch-Königs Märchen«.
mit Absicht als Zierwerk benützt wurden,
zeigen nicht nur die Drachenhäupter am
Steven der Schiffe und an Hausgiebeln,
sondern u. A. auch ein von Verelius (Ma-
nuductio compendiosa ad Runographiam,
Upsalae 1675) abgebildeter Runenstein von
Warfrukyrke, dessen Inschrift besagt, dass
ein gewisser Lifsten seinem Vater und Sohn
»zwei schöne Drachen« (tuä gutha draka,)
d. h. mit Verschlingungen gezierte Grab-
steine errichtet habe. In einem aber darf
man Söderberg mit gutem Gewissen bei-
stimmen, dass nämlich die von manchen
Kunstschriftstellern, z. B. Knackfuss (1. c. —
Im herzoglichen Museum zu Braunschweig
befindet sich unter Nr. 58 ein kleiner
Reliquienschrein aus Walrosszahn mit Bronze-
beschlag und einer angelsächsischen Runenin-
schrift. Die Verzierung, Thiergestalten, deren
immer dünner werdende Schweife die mannig-
faltigsten Verschlingungen bilden, ist sehr
fein und eigenartig. Trotz der Inschrift, deren
Anfang zweifellos writne thiisi lautet, ist der
Schrein in dem vom Direktor Riegel 1879
herausgegebenen Führer als »irische Arbeit«
bezeichnet. Warum ? ? — Solches Zierwerk
heisst angelsächsisch brodenmael von bredan,
flechten, und vundenmael von vindan, winden),
in ihrem Einfluss auf die deutsche Zierkunst
sehr überschätzte irische Buchmalerei nichts
anders ist als eine von den Germanen über-
nommene Verzierungsart, dass die Entlehnung
in umgekehrter Richtung stattfand (att länet
gätt i en motsatt rigtning), als gewöhnlich
angenommen wird. Dass die Germanen bei
ihrer Südwanderung schon gewisse Zierformen
aus ihrer nordischen Heimath mitgebracht,
dafür haben uns die Gothen in dem Grabmal
ihres grossen Königs zu Ravenna ein
unvergängliches und eine deutliche Sprache
redendes Denkmal hinterlassen. Unter der
gewaltigen Kuppel läuft über Schneckenrollen,
einem seit der Bronzezeit in Nordeuropa
beliebten Zierrath, ringsum das zangenförmige
»Gothenornament«. DieseWerzierung findet
sich nicht nur auf einer ebenfalls zu Ravenna