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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 4.1899

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Wilser, Ludwig: Germanischer Stil und deutsche Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6387#0044
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324

Ludwig Wils er:

h. vogeler—Worpswede. Gestickter Buch-Umschlag.

wobei sich oft thierische und pflanzliche Ge-
bilde in scheinbar unentwirrbarem Knäuel
verschlingen und durchdringen, eine unver-
gleichliche Wirkung erzielt, wie wir sie an den
geschnitzten Thürplanken der älteren, nor-
wegischen Stabkirchen, wie Urnes, Borgund,
Hitterdal, Hyllestad, Lomen, Stedje u. v. a.
bewundern können. Dabei sind der Erfindungs-
und Einbildungskraft der Künstler keine
Schranken gesetzt: er kann immer neu und doch
immer »stilvoll« schaffen. Dieser handgreif-
liche Vorzug zeichnet den germanischen Stil
vor allen anderen aus. Wer in der Zerdehnung
der Thierleiber in immer dünner werdende
Bänder, wer in dem oft wilden, aber nie
unschönen Ringen, Durchdringen und Um-
schlingen nur »Entartung, Verstümmelung,
Entstellung und Verwirrung« erblickt, für
den ist nicht nur der germanische Stil
unverständlich, der weiss überhaupt nicht,

reizvolle Rankengeschlinge die
öde Starrheit der altägyptischen
Lotosmuster gebrochen und be-
lebt zu haben, (darauf hat ganz
besonders Riegl in seinem ge-
nannten gedankenreichen Buch
»Stilfragen» hingewiesen), ist ein
Verdienst der hellenischen Kunst;
dieser Vorgang hat schon in
mykenischer Zeit begonnen und
später im »hellenistischen« Stil
seine höchste Vollendung erreicht.
Es kann kein Zweifel darüber
obwalten, dass dieser Fortschritt
der wiederholten Einwanderung
arischer Volkswellen, Pelasger,
Hellenen, Makedonier in die
Balkanhalbinsel zu verdanken ist.
Die germanische Zierkunst, die
ursprünglich nur mit Verschling-
ungen und stilisirten, in Bänder
und Fäden aufgelösten Thier-
leibern arbeitete, hat im Laufe
ihrer späteren Entwickelung auch
die Aufnahme pflanzlicher Vor-
bilder nicht verschmäht und durch
die Verbindung der Wellenranke
mit allerlei sich durchwindendem
und herumkletterndem Gethier,

h. vogeler—worpswede.

Gestickter Buch-Umschlag-
 
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