Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 4.1899

DOI article:
Wilser, Ludwig: Germanischer Stil und deutsche Kunst, [2]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6387#0048
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
328

Ludwig Wilser: Germanischer Stil.

Herodots Beschreibung (IV 108: denn es sind
daselbst Tempel hellenischer Götter auf
hellenische Art ausgeschmückt mit Bildsäulen,
Altären, Gotteshäuschen, alles von Holz) der
»hölzernen« Stadt Gelonos im Lande der
Budiner, eines den Hellenen verwandten
Volkes, vorstellen. Aus alledem dürfen wir
schliessen, dass der Holzbau, als die Germanen
in die Geschichte traten, nichts Neues war,
sondern schon eine lange Entwickelung hinter
sich hatte. Aus der angeführten Bemerkung
des Tacitus (citra speciem aut delectationem)
schliessen zu wollen, die Häuser der Germanen
seien damals nichts weiter als roheste Block-
hütten gewesen, ist daher nicht statthaft.
Dass die freien Bauern einzeln (discreti ac
dispersi Germ. 16) wohnten und ihre mit
einem Hofraum (spatio) umgebenen Häuser
dahin stellten, wo es jedem beliebte (ut fons,
ut campus, ut nemus placuit), geschah nicht
aus Unerfahrenheit im Bauen (inscitia
aedificandi), sondern aus Freiheitsliebe und
Unabhängigkeitssinn, wohl auch mit Rück-
sicht auf die Feuersgefahr (adversus casus
ignis remedium). Wir müssen uns diese
Gehöfte so vorstellen, wie sie noch heute in
Gegenden, wo sich ein germanischer Bauern-
stand erhalten hat, wie in Schweden, zu

sehen sind. In südlicheren Gegenden hat
sich die altgermanische Bauweise besonders
in den deutschen Bergen erhalten, und als
der Verfasser vor Jahren einmal durch den
Pinzgau wanderte, glaubte er Bauernhöfe
vor sich zu sehen, wie sie in den alten
Volksrechten geschildert sind. Selbst am
Giebel bleichende Thierschädel und aus ge-
schnitzten Pferdeköpfen sprudelnde Brunnen
fehlten nicht, um die Täuschung vollständig
zu machen. Es ist möglich, dass Tacitus
die Höfe der Germanen mit dem Auge des
Grossstädters betrachtet und deshalb etwas
geringschätzig beurtheilt hat, es kann aber
auch sein, dass in den streitigen, immer
wieder durch Feuer und Schwert ver-
wüsteten Grenzgebieten die Gebäude nicht
mit gleicher Sorgfalt wie sonst aufgeführt
wurden. Doch spricht auch er (Ann. I 50)
von »Weilern« (vici) der Marsen, von Wohn-
gebäuden und Heiligthümern (profana simul
et sacra) und dem berühmten »Tempel«
der Tanfana, die der Erde gleich gemacht
wurden. Auch Marbod's Burg und Königs-
hof, wohl beim heutigen Prag mit dem
Hradschin zu suchen, wird von Tacitus er-
wähnt (regiam castellumque juxta situm,
Annal. II 42); ein König, der ein stehendes
 
Annotationen