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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 4.1899

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Die Darmstädter Künstler-Kolonie
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https://doi.org/10.11588/diglit.6387#0146
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Die Darmstädter Künstler-Kolonie.

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Interesses aus beurtheilt, in deren Beziehungen
zu den Gewerbetreibenden und zu dem Pub-
likum. Sie soll künstlerischen, von deutschem
Empfinden getragenen Geist hineintragen in
die Werkstätten und in die Häuser. Es ist
im Grunde genommen ein richtiges Reform-
Werk, das hier aus der persönlichen Initia-
tive des Landesherrn in die Wege geleitet
wird, und das verdient nicht nur von allen
Freunden der Kunst gefördert zu werden,
sondern auch von allen denen, welche Sinn
und Verständniss haben für den gemein-
nützigen Vortheil, welchen diese Gründung
in sich schliesst. Nur unter dieser Voraus-
setzung kann die Kolonie für Stadt und
Land das werden, als was sie von aller-
höchster Stelle aus gedacht ist. In fast
allen grösseren Städten, in München, Berlin,
Dresden, Hamburg, Karlsruhe, Leipzig, Wien
treten in neuester Zeit Bestrebungen zutage,
die alle eine intimere Fühlung zwischen der
Kunst und namentlich der angewandten
Kunst und den gebildeten Volkskreisen zum
Ziele haben. Ueberall stellen sich hervor-
ragende Persönlichkeiten: Minister, Gallerie-
direktoren, Künstler, Gelehrte, Schulmänner,
die Chefs grosser kunstgewerblicher An-
stalten, Verleger und Schriftsteller in den
Dienst dieser Bewegung. Denn ganz ab-
gesehen von der lokalen Bedeutung solcher
Einrichtungen, muss auch der erzieherische
Werth, den ein näheres Verhältniss der Ge-
bildeten zur Kunst und zum geläuterten
Kunstgeschmack in sich birgt, dabei sehr
in die Wagschale fallen. -»Die werbende
Kraft« des deutschen Volkes soll gehoben
werden, wie erst kürzlich eine im deutschen
Kunstleben hochangesehene und gerade für
diese Bewegung an hervorragender Stelle
thätige Persönlichkeit in München ausführte.
Die Beziehungen des deutschen Reiches zum
Auslande nehmen immer mächtigere Dimen-
sionen an, und es unterliegt keinem Zweifel,
dass wir erst am Anfange einer grossen
Epoche stehen, welche deutschen Geist und
deutsche Arbeitskraft hinäus rufen wird in
alle Erdtheile als Träger der Kultur und
Mehrer des Nationalwohlstandes. Ein Volk,
das sich zu solchen Thaten anschickt, muss
nicht allein Thatkraft und Wissen und Geld

besitzen, sondern auch durch seine an her-
vorragender Stelle im Auslande wirksamen
Vertreter eine gewisse »werbende Macht«
ausüben. Es muss imponiren durch das
sichere vornehme Auftreten seiner Repräsen-
tanten , durch die Verfeinerung und den
innerlichen. Reichthum seiner kulturellen
Elemente. Die Völker, welche bisher in
der Weltkultur tonangebend waren, die
Engländer und Franzosen, haben wohl ge-
wusst, warum sie der ästhetischen Durch-
bildung so ausserordentlichen Werth bei-
massen. Auch ihnen, wie neuerdings den
Amerikanern, galt die bildende Kunst und
vornehmlich die Kunst, in welcher sich die
kulturellen Elemente am stärksten und un-
mittelbarsten zum Ausdrucke bringen, als
ein unersetzliches Mittel zur Stärkung der
werbenden Kraft der Nation. In den grossen
Seestädten und in den zentralisirenden Gross-
städten, wo nunmehr auch in Deutschland
die gleiche Tendenz zum Durchbruche kommt,
hat man, jeden lokalen Verhältnissen ange-
passt, Institutionen der verschiedensten Art
theils schon durchgeführt, theils in Anregung
gebracht, die alle darauf berechnet sind, das
ästhetische Niveau der gebildeten Volkskreise
zu heben. Bezeichnender Weise hat diese
Bewegung in Hamburg den grossartigsten
Aufschwung genommen und die dortigen
grossen Rheder, die gewiss am Besten
wissen, was den Deutschen noch fehlt im
Weltverkehre, sind die eifrigsten Förderer
derselben.

Die Massnahmen, welche nunmehr in
Darmstadt im gleichen Sinne getroffen
werden, sind jedoch ganz eigenartiger Natur
und gewinnen durch die leitende und begei-
sterte Theilnahme des Landesherrn an dieser
überaus »modernen« Frage eine besondere
Bedeutung, welche nicht verfehlen wird,
auch in den grossen Zentren Aufsehen und
lebhafte Anerkennung hervorzurufen.

Zunächst wird, um eine konstante Ver-
bindung des Gewerbes mit den Künstlern
zu gewährleisten, die Gründung eines Kunst-
Gewerbe-Vereins in's Auge gefasst werden
müssen. Solche Vereine bestehen in viel
kleineren Städten, wie Darmstadt und es
bietet sich hiermit Gelegenheit, eine Lücke

99. ix. 5.
 
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