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Dr. Max Osborn—Berlin :
Aus dem Wiener Interieur Leder-Einband.
VON PROF. OLBRICH—DARMSTADT.
phetenton zu verfallen nöthig hat. Das wäre
schon deshalb sündhaft, weil gerade die
Welt-Ausstellung selbst zugleich beweist,
dass wir noch keinen Grund zum Uebermuth
haben. Es fehlen unter den Möbeln nicht die
missstimmenden sklavischen Nachahmungen
deutschen und anderen Ursprungs, es fehlen
bei den Gold- und Lederarbeiten nicht die
trivialsten Massenfabrikate, wir sehen noch
immer mehr als uns lieb ist die furchtbaren
naturalistischen Blumendekors, sehen nüch-
terne Leere und sinnlos-protzige Ueberladung,
und in der Ausstellung der Porzellan-Manu-
fakturen wimmelt es immer noch von er-
müdenden Wiederholungen abgethaner Mo-
delle, von süsslichen oder »grossartigen« Be-
malungen, die nicht hierher gehören, von
kleinlichen Zuckerbäcker-Waaren, die einen
guten Deutschen schamroth machen können.
Und andererseits erweckte so manches
monströse Missverständniss nachgebeteter
Muster, so manches gequälte Produkt eines
industriellen Kopfes, der ohne innere Antheil-
nahme durchaus »modern« sein will, weil das
heute die Marke ist, so manche haarsträubende
Uebertreibung des neuen Stils höchst un-
behagliche Gefühle. Man merkt es wohl,
es ist noch keine Sicherheit vorhanden, und
die Gefahr ist
Aus d. W. Interieur. Leder-Einband.
nicht gering,
dass uns das Aus dem Wiener Lnterieur. Leder-Einband.
Errungene ge-
legentlich wieder aus den Händen gleitet. Darum alle Mann
an Bord! und aufgepasst! Wir sind noch nicht am Ziele!
Etwas mehr Sicherheit als im Reiche ist schon heute
in Oesterreich anzutreffen. Der Grund ist nicht schwer zu
finden. Oesterreich besitzt — Hamburg vielleicht ausge-
nommen — eben die einzige deutsche Stadt, die sich einer
gesellschaftlichen Kultur rühmen darf. Der dicke Parvenü
Berlin kann sich in diesem Punkte nicht entfernt mit dem
Aristokraten Wien messen. Hier lebt und wirkt ein sorg-
sam gepflegter Geschmack, eine allgemeine aesthetische An-
schauung, die sich im Verlauf von mehreren hundert Jahren
organisch entwickelt hat. Die Luft ist erfüllt von kultur-
bildenden Keimen, und diese Luft, diese undefinirbare wie-
nerische Atmosphäre, umweht alles, was in der alten
Dr. Max Osborn—Berlin :
Aus dem Wiener Interieur Leder-Einband.
VON PROF. OLBRICH—DARMSTADT.
phetenton zu verfallen nöthig hat. Das wäre
schon deshalb sündhaft, weil gerade die
Welt-Ausstellung selbst zugleich beweist,
dass wir noch keinen Grund zum Uebermuth
haben. Es fehlen unter den Möbeln nicht die
missstimmenden sklavischen Nachahmungen
deutschen und anderen Ursprungs, es fehlen
bei den Gold- und Lederarbeiten nicht die
trivialsten Massenfabrikate, wir sehen noch
immer mehr als uns lieb ist die furchtbaren
naturalistischen Blumendekors, sehen nüch-
terne Leere und sinnlos-protzige Ueberladung,
und in der Ausstellung der Porzellan-Manu-
fakturen wimmelt es immer noch von er-
müdenden Wiederholungen abgethaner Mo-
delle, von süsslichen oder »grossartigen« Be-
malungen, die nicht hierher gehören, von
kleinlichen Zuckerbäcker-Waaren, die einen
guten Deutschen schamroth machen können.
Und andererseits erweckte so manches
monströse Missverständniss nachgebeteter
Muster, so manches gequälte Produkt eines
industriellen Kopfes, der ohne innere Antheil-
nahme durchaus »modern« sein will, weil das
heute die Marke ist, so manche haarsträubende
Uebertreibung des neuen Stils höchst un-
behagliche Gefühle. Man merkt es wohl,
es ist noch keine Sicherheit vorhanden, und
die Gefahr ist
Aus d. W. Interieur. Leder-Einband.
nicht gering,
dass uns das Aus dem Wiener Lnterieur. Leder-Einband.
Errungene ge-
legentlich wieder aus den Händen gleitet. Darum alle Mann
an Bord! und aufgepasst! Wir sind noch nicht am Ziele!
Etwas mehr Sicherheit als im Reiche ist schon heute
in Oesterreich anzutreffen. Der Grund ist nicht schwer zu
finden. Oesterreich besitzt — Hamburg vielleicht ausge-
nommen — eben die einzige deutsche Stadt, die sich einer
gesellschaftlichen Kultur rühmen darf. Der dicke Parvenü
Berlin kann sich in diesem Punkte nicht entfernt mit dem
Aristokraten Wien messen. Hier lebt und wirkt ein sorg-
sam gepflegter Geschmack, eine allgemeine aesthetische An-
schauung, die sich im Verlauf von mehreren hundert Jahren
organisch entwickelt hat. Die Luft ist erfüllt von kultur-
bildenden Keimen, und diese Luft, diese undefinirbare wie-
nerische Atmosphäre, umweht alles, was in der alten