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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 7.1900

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Zum Hinscheiden Meister Wilhlem Leibl's
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https://doi.org/10.11588/diglit.6699#0281

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Zum Hinscheiden Meister Wilhelm Leibl's.

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hat er nichts. »Als ikh kan«. Diese Worte
des alten Viaamen wären auch auf Leibis
Werke zutreffend. Mit peinlichster Geduld
setzt er in Farben um, was sein scharfer
Jägerblick sieht. Mag es eine Tischplatte
oder ein Strohstuhl sein, der hagere Kopf
eines Wildschützen oder eine derbknochige
Bäuerin — sein Ziel ist, mit der Genauigkeit
der Spiegelplatte die Natur zu reflektiren.
Ja, er sucht nach Dingen, die möglichst
reich sind an minutiösem Detail: Runzlige
alte Gesichter und sehnige Knie, gemusterte
Kleider und geblümte Halstücher, haarige
Loden-Joppen und schwere Nagel - Schuhe,
Zeitungen, Spinnrocken, Filigranschmuck und
Besen, — das sind die Elemente von Leibl's
Bildern. Wie Jan van Eyck bringt er gern
spiegelnde Gegenstände an: Schnapsgläser,
Wasserflaschen und silberne Knöpfe. Wie
dieser lässt er durch das Fenster noch
hinaus, auf eine Wiese, auf ein Ackerfeld
blicken. Dem Kleinen räumt er gleiche
Wichtigkeit wie dem Grossen ein, möchte

jeder Blume, jedem Blatt, jedem Strohhalm
das Geheimniss ihres Daseins abfragen. Man
denkt an die »Naturfrömmigkeit« der alten
Meister, denkt an die Tage des Franziskaner-
Ordens, als die Natur, bisher verflucht, ein
»vom Finger Gottes geschriebenes Buch«
geworden war. —

Dass einer so peinlichen Genauigkeit
stets Trockenheit anhaftet, ist selbstverständ-
lich. Den Pulsschlag des Lebens zu fixiren
gelang ihm nicht. Nicht nur die Menschen
seiner Bildnisse haben die versteinerte Pose
des Gemalt-Werdens. Auch seine grösseren
Bilder sind Still-Leben mit Menschen-Staffage.
Er schiebt Bildnissfiguren zusammen, malt
jeden Einzelnen in der starren Ruhe, in der
er festgenagelt Modell sass. Das Muster eines
Kleides und einer Schürze, die Schwielen
einer Hand und die Stoppeln eines Bartes
sind ihm wichtiger als das zuckende Leben.
In diesem Sinne ist er der Gegenpol des
Impressionismus, und man versteht, dass auf
Leibl's Malerei jene andere folgen musste,

CÜRJEL Sc MOSER, ARCHITEKTEN, KARLSRUHE. Villa C. E. L: Brown in Baden (Schweiz). Oestliehe Terrasse.

1901- V. B.
 
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