Fritz Erler—München.
279
ausschnitten auskommen
lassen. Liebermann, der
gewaltige Naturalist, kann
hier als Beispiel dienen,
er ist typisch für die
völlige Loslösung der
Malerei von aller äusse-
ren Bedingtheit, für die
Beschränkung auf Licht-
und Paletten-Reize, aber
auch typisch für das
völlige Versagen, wenn
es sich um Anwendung
der gewonnenen Erfah-
rungen und um Raum-
Wirkungen handelt. Die
ganz grossen, wie Manet,
versagen freilich nicht;
aber sie sind auch von
der Natur bewusst ab-
gewichen. Um dieses
schwierigste aller Ge-
biete, um das souveräne
Schalten mit der Natur
zu Gunsten einer inneren
Vorstellung, einer ge-
schlossenen, von gewissen
äusseren oder inneren
Bedingungen freiwillig
abhängig gemachten Wirkung handelt es
sich eben. Nichts ist leichter nachzuweisen,
als dass diese Abweichungen fast zu allen
Zeiten stattgefunden haben. Die attischen
Vasen-Künstler des 5. Jahrhunderts, ebenso
die Künstler, welche in der Hoch-Gothik
Figuren von 12 und mehr Kopflängen
machten und dann später in der sogenannten
Spät-Gothik, als alles wieder breiträumiger
wurde, ihre Statuen gedrungen und breit
machten, all diese wTussten sehr wohl, dass
gewisse Dinge in ihren Arbeiten nicht mit
der Natur übereinstimmten, aber sie haben
sie dennoch gemacht, genau wie die grossen
Renaissance-Meister, weil eben diese Ab-
weichungen künstlerisch wirksam waren und
die künstlerische Harmonie mehr erhöhten
als erniedrigten. Diese Erscheinung beruht
im letzten Grunde auf dem schon berührten
organischen Denken des Künstlers und seiner
Fähigkeit, Um- und Neubildungen der Natur
FRITZ ERLER —MÜNCHEN.
Porträt-Skizze: Pablo Sarasate.
vorzunehmen. Wie weit diese Neubildung
bei einem hoch veranlagten Künstler gehen
kann, lehrt uns die von Schick (Tagebuch
p. 19) bewahrte Thatsache, dass Böcklin sein
Gefühl für den Bau von Pflanzen durch
Studium derart geschult hatte, dass er niemals
gesehene Blumen erfand, die später von
Blumen-Kennern als bestimmte, existirendc
Arten erkannt worden sind. Selbstverständ-
lich sei mit diesen Hinweisen nicht etwa der
schrankenlosen Willkür der Kartonperiode
das Wort geredet. In einer Zeit, welche
einer eigenen, durch strengste Schulung er-
rungenen und durch unablässige Uebung
täglich neu erworbenen Farben- und Natur-
anschauung entbehrte, musste diese für den
Künstler schliesslich unumgängliche Freiheit
in Willkür ausarten. Heute ist der starke
Stilist auch ein starker Naturalist, — aber
zur ehrlichen Uebung. Nichts als dieses
fortwährende Vollsaugen der Phantasie an
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ausschnitten auskommen
lassen. Liebermann, der
gewaltige Naturalist, kann
hier als Beispiel dienen,
er ist typisch für die
völlige Loslösung der
Malerei von aller äusse-
ren Bedingtheit, für die
Beschränkung auf Licht-
und Paletten-Reize, aber
auch typisch für das
völlige Versagen, wenn
es sich um Anwendung
der gewonnenen Erfah-
rungen und um Raum-
Wirkungen handelt. Die
ganz grossen, wie Manet,
versagen freilich nicht;
aber sie sind auch von
der Natur bewusst ab-
gewichen. Um dieses
schwierigste aller Ge-
biete, um das souveräne
Schalten mit der Natur
zu Gunsten einer inneren
Vorstellung, einer ge-
schlossenen, von gewissen
äusseren oder inneren
Bedingungen freiwillig
abhängig gemachten Wirkung handelt es
sich eben. Nichts ist leichter nachzuweisen,
als dass diese Abweichungen fast zu allen
Zeiten stattgefunden haben. Die attischen
Vasen-Künstler des 5. Jahrhunderts, ebenso
die Künstler, welche in der Hoch-Gothik
Figuren von 12 und mehr Kopflängen
machten und dann später in der sogenannten
Spät-Gothik, als alles wieder breiträumiger
wurde, ihre Statuen gedrungen und breit
machten, all diese wTussten sehr wohl, dass
gewisse Dinge in ihren Arbeiten nicht mit
der Natur übereinstimmten, aber sie haben
sie dennoch gemacht, genau wie die grossen
Renaissance-Meister, weil eben diese Ab-
weichungen künstlerisch wirksam waren und
die künstlerische Harmonie mehr erhöhten
als erniedrigten. Diese Erscheinung beruht
im letzten Grunde auf dem schon berührten
organischen Denken des Künstlers und seiner
Fähigkeit, Um- und Neubildungen der Natur
FRITZ ERLER —MÜNCHEN.
Porträt-Skizze: Pablo Sarasate.
vorzunehmen. Wie weit diese Neubildung
bei einem hoch veranlagten Künstler gehen
kann, lehrt uns die von Schick (Tagebuch
p. 19) bewahrte Thatsache, dass Böcklin sein
Gefühl für den Bau von Pflanzen durch
Studium derart geschult hatte, dass er niemals
gesehene Blumen erfand, die später von
Blumen-Kennern als bestimmte, existirendc
Arten erkannt worden sind. Selbstverständ-
lich sei mit diesen Hinweisen nicht etwa der
schrankenlosen Willkür der Kartonperiode
das Wort geredet. In einer Zeit, welche
einer eigenen, durch strengste Schulung er-
rungenen und durch unablässige Uebung
täglich neu erworbenen Farben- und Natur-
anschauung entbehrte, musste diese für den
Künstler schliesslich unumgängliche Freiheit
in Willkür ausarten. Heute ist der starke
Stilist auch ein starker Naturalist, — aber
zur ehrlichen Uebung. Nichts als dieses
fortwährende Vollsaugen der Phantasie an