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Wilhelm Schölermann—Kiel:
Man könnte viel-
leicht vermuthen,
dass die Nähe
Dänemarks als
germanischen
Nachbarstammes
auf eine selbständige
Kunst - Entfaltung in
den beiden Grenz-Provinzen
nachtheilig einwirken müsste
und eingewirkt hätte, weil
in der bildenden Kunst die trennende
Schranke der Sprach-Verschiedenheit weg-
fällt , welche der Schleswig - holsteinischen
Dialekt - Dichtung ihr autochtones Gepräge
gesichert hat. Aber die Erfahrung lehrt
das Gegentheil. Seit altersher neigte das
Gefühl der Rassen-Verwandtschaft bei uns
immer mehr nach Westen als nach Norden
oder Osten. Es scheint, als habe das Meer
die Eigenschaft, Fernliegendes zu verbinden,
Naheliegendes dagegen zu trennen. In
der Malerei sind niederländische Einflüsse
deutlich nachweisbar. In der Möbel-Kunst-
tischlerei spielen ebenfalls holländische An-
klänge bei den alten Snitkern mit hinein.
In Holland und den flandrischen Provinzen
hatte ein den Friesen und Ditmarschen nah-
verwandter niederdeutscher Bauernstamm
seinen bis dahin höchsten Gipfelpunkt natio-
nalen und künstlerischen Lebens erreicht.
Die Daseins - Bedingungen der West- und
Südwesttheile Holsteins sind ähnliche. Der
flache, meist weiche trüb verschleierte Hori-
zont, die dicke »diesige« Dunst-Atmosphäre
geben dem Bewohner der Marschen einen
holländischen Zug in Land und Leuten,
Lust und Leid. Ja, in Leid und Lust: denn
ihr gemeinsamer Freund, aber auch gemein-
samer Feind, ist das Meer. Wenn die gierige,
grollende, Haus und Hof bedrohende Nord-
und Mordsee ihre Wogen zu Winters- und
Herbstzeiten gegen die Dünen und Watten-
küsten wüthend wälzt, so bilden diese Wellen
eine Kette von Naturgewalten, deren gleiche
Glieder von Hallig-Hooge und Westerland
bis nach Texel und Vlissingen reichen. Das
ist auch ein Bindeglied, welches für die
kunsthistorische Betrachtungsweise, aus deren
Vergangenheit wir die Lehre für unsere
Zukunft und unser heimathliches Schaffen
ziehen wollen und sollen, in PVage kommt.
Wir haben, wie früher so auch jetzt,
von der Nähe und Nachbarschaft Dänemarks
wenig zu befürchten, leider aber auch von
der guten Seite dieser Nachbarschaft, von der
grösseren Empfänglichkeit und Regsamkeit
der Skandinaven und ihrer Opferwilligkeit
für national künstlerische Zwecke bisher
wenig angenommen, obwohl wir darin gern
einmal unserem deutschen Nachahmungstrieb
die Zügel freigeben könnten!
Langsam und schwerbeweglich ist der
Schleswig - Holsteiner bis zur »Gemüthlich-
keit« im schlimmen Sinne. Es gehört ein
kleines Erdbeben dazu, ihn aus der ange-
borenen Ruhe und Kaltblütigkeit heraus-
zubringen! Aber er empfindet einfach und
gemüthstief, und wo Gemüth vorhanden, da
kann künstlerisches Fühlen eindringen und
Wurzel fassen. Es bedarf aber der An-
regung. Und der Anregung mögen diese
Zeilen dienen. — Denn es steckt ein ge-
sunder, treuherziger Kern im Holstenvolke,
geistig am tüchtigsten und regsamsten im
Westen und Süden, wo das
niedersächsische Volksthum
sich am selbständigsten
erhalten und behaupten
Wilhelm Schölermann—Kiel:
Man könnte viel-
leicht vermuthen,
dass die Nähe
Dänemarks als
germanischen
Nachbarstammes
auf eine selbständige
Kunst - Entfaltung in
den beiden Grenz-Provinzen
nachtheilig einwirken müsste
und eingewirkt hätte, weil
in der bildenden Kunst die trennende
Schranke der Sprach-Verschiedenheit weg-
fällt , welche der Schleswig - holsteinischen
Dialekt - Dichtung ihr autochtones Gepräge
gesichert hat. Aber die Erfahrung lehrt
das Gegentheil. Seit altersher neigte das
Gefühl der Rassen-Verwandtschaft bei uns
immer mehr nach Westen als nach Norden
oder Osten. Es scheint, als habe das Meer
die Eigenschaft, Fernliegendes zu verbinden,
Naheliegendes dagegen zu trennen. In
der Malerei sind niederländische Einflüsse
deutlich nachweisbar. In der Möbel-Kunst-
tischlerei spielen ebenfalls holländische An-
klänge bei den alten Snitkern mit hinein.
In Holland und den flandrischen Provinzen
hatte ein den Friesen und Ditmarschen nah-
verwandter niederdeutscher Bauernstamm
seinen bis dahin höchsten Gipfelpunkt natio-
nalen und künstlerischen Lebens erreicht.
Die Daseins - Bedingungen der West- und
Südwesttheile Holsteins sind ähnliche. Der
flache, meist weiche trüb verschleierte Hori-
zont, die dicke »diesige« Dunst-Atmosphäre
geben dem Bewohner der Marschen einen
holländischen Zug in Land und Leuten,
Lust und Leid. Ja, in Leid und Lust: denn
ihr gemeinsamer Freund, aber auch gemein-
samer Feind, ist das Meer. Wenn die gierige,
grollende, Haus und Hof bedrohende Nord-
und Mordsee ihre Wogen zu Winters- und
Herbstzeiten gegen die Dünen und Watten-
küsten wüthend wälzt, so bilden diese Wellen
eine Kette von Naturgewalten, deren gleiche
Glieder von Hallig-Hooge und Westerland
bis nach Texel und Vlissingen reichen. Das
ist auch ein Bindeglied, welches für die
kunsthistorische Betrachtungsweise, aus deren
Vergangenheit wir die Lehre für unsere
Zukunft und unser heimathliches Schaffen
ziehen wollen und sollen, in PVage kommt.
Wir haben, wie früher so auch jetzt,
von der Nähe und Nachbarschaft Dänemarks
wenig zu befürchten, leider aber auch von
der guten Seite dieser Nachbarschaft, von der
grösseren Empfänglichkeit und Regsamkeit
der Skandinaven und ihrer Opferwilligkeit
für national künstlerische Zwecke bisher
wenig angenommen, obwohl wir darin gern
einmal unserem deutschen Nachahmungstrieb
die Zügel freigeben könnten!
Langsam und schwerbeweglich ist der
Schleswig - Holsteiner bis zur »Gemüthlich-
keit« im schlimmen Sinne. Es gehört ein
kleines Erdbeben dazu, ihn aus der ange-
borenen Ruhe und Kaltblütigkeit heraus-
zubringen! Aber er empfindet einfach und
gemüthstief, und wo Gemüth vorhanden, da
kann künstlerisches Fühlen eindringen und
Wurzel fassen. Es bedarf aber der An-
regung. Und der Anregung mögen diese
Zeilen dienen. — Denn es steckt ein ge-
sunder, treuherziger Kern im Holstenvolke,
geistig am tüchtigsten und regsamsten im
Westen und Süden, wo das
niedersächsische Volksthum
sich am selbständigsten
erhalten und behaupten