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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 10.1902

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Lux, Joseph August: Klinger's Beethoven und die moderne Raum-Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.6695#0197
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Klinger's Beethoven und die moderne Raum-Kunst.

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ist. Genug der Aufzählung! In näherer
oder fernerer Beziehung zu Beethoven's
Gefühls - Welt stehend, bilden sie den
Schmuck und die Kostbarkeit des Raumes
und stimmen in den grossen Akkord der
hier weihevoll verkörperten Raum-Idee.

Bald wird diese Raum-Schöpfung aus
dem Reich der Wirklichkeit verschwunden
sein. Dann lebt sie nur mehr ein papierenes
Dasein in den vorhandenen Abbildungen,
und ein Traum-Leben in der Erinnerung
jener, die sie gesehen haben. Sie zielte auf
ein grosses einheitliches Wirken aller bil-
denden Künste ab, auf ein Zusammenfassen
zu einer grossen Harmonie, zu einem Hym-
nus an die Schönheit. Sie hat dabei das
Wesen der Schönheit betont, welches Wahr-
haftigkeit ist, Selbst-Bekenntnis, Ausdruck.
Kopie, Lüge, Schein kann darum niemals
schön sein, es kann nur täuschen durch das,
was es als Maske von wo anders her-
genommen hat. Man sieht, Kunst und Ethik
haben zutiefst eine gemeinsame Wurzel.
Was hat aber das alles mit der Idee einer
modernen Raum-Kunst zu schaffen? Bedarf
es noch einer umständlichen Beweisführung,
dass wir nicht Assyrer oder Ägypter, nicht
Griechen und Römer, nicht Araber oder
Japaner sind, sondern Europäer des 20. Jahr-
hunderts, Menschen, die keine Pracht-
Kostüme tragen, sondern einen dunklen
Rock, die mit einem gesteigerten Innen-Leben
eine hochgradige Sensibilität verbinden, und
deren Kunst als Ausdruck ihres Innen-
lebens folgerichtig in ganz anderen Formen
sich äussern muss, als in andern Zeiten und
bei anderen Völkern? So selbstverständlich
die Theorie, so verkannt die Praxis. Den
meisten gibt sie nur Anregungen zu archäo-
logischen Ideen-Assoziationen. Sie meinen
zu verstehen, wo sie von Verbindungen mit
assyrischen, ägyptischen, byzantinischen und,
was weiss ich, welchen Vorbildern reden
können. Wie thöricht! Wie unwahr! Nicht
um die Ausgrabung eines alten Tempels handelt
es sich, sondern um Abkehr von der Schablone,
um rücksichtslose Bekennung und Sichtbar-
machung der Grund - Prinzipien, welche im
Zweck - Begriff und in der Material - Eigen-

schaft liegen, und die früheren hohen Kul-
turen bewusst waren. Der Zusammenhang
ist somit nicht historisch, sondern teleologisch.
Diese von allem Zeitlichen unabhängigen,
immanenten Grund-Prinzipe, die in dem Ver-
such moderner Raum-Kunst wieder zu Ehren
gebracht wurden, sind der begrabene Tempel,
den wir nicht aus dem Schutt der Jahr-
tausende, sondern aus unserer eigenen Seele
an das Tageslicht fördern müssen. Der neue
Ideen-Strom, der in allen Kultur-Ländern
die modernen Geister befruchtet, macht das
zur Bedingung. Er zielt damit gleichzeitig
auf die Freimachung und Entfaltung der
Persönlichkeit ab, die künstlerisch betrachtet,
wie ein Krystallisations-Punkt das Begehren
der Zeit, ihre Wünsche und Sehnsüchte in
sich aufnimmt und rein ausstrahlt. Darum:
soviel des Gemeinsamen, soviel des
Trennenden. Glasgow, Darmstadt, Wien,
es wird überall anders ausfallen. Und was
unser Beispiel von Raum-Kunst angeht —
wer dürfte hier von Unpersönlichkeit reden!
Gerade hier? Wo alles auf das persönliche
Empfinden gestellt ist, und zugleich auf
reine Sachlichkeit! Etwa weil alles von
einer Leit-Idee beherrscht ist? Wenn hier
Unpersönlichkeit Harmonie der Kräfte heissen
soll, dann mag es gelten. In Wahrheit aber
verhält es sich so: Gerade die ausgesprochene
persönliche Eigenart der Raum-Gestaltung
setzt sich gegen die Eigenart Klinger's
stark ab; zwei verschiedene Empfindungs-
Sphären schwingen durcheinander, zweierlei
Kulturen, hier zur Einheit verbunden. Es
ist kein Widerspruch, aber es ist ein
Unterschied. Freuen wir uns dessen. Denn
er gibt beiden Teilen recht. Beide Teile
werden erst dann im rechten Lichte sicht-
bar. Hier erscheint Klinger's abgeschlossene,
ausgereifte Persönlichkeit als die Ver-
schmelzung des germanisch - christlichen
Geistes mit der in unserer Bildung fort-
lebenden hellenischen Vorstellungs - Welt.
Hellenismus und Christentum sind auch die
stärksten Empfindungs-Pole, die sein Schaffen
bestimmen. Der Rahmen, den sein Werk
hier bekommen hat, ist aus anderen An-
schauungen hervorgegangen. Diese suchen
die Quelle auf, die Empfindung, den Puls-
 
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