Willy von Beckerath — München.
WILLY VON BECKERATH—MÜNCHEN.
Gemälde: Sitzende Harpyie.
die Fahnenträger des Naturalismus in der
Presse allmählich wieder umzulernen. Mit
hoffendem Blick durchzieht man heute die
Ausstellungen und hat fast einzig Acht auf
die Fortschritte und die persönlichen Ab-
wandlungen dieser Richtung.
Merkwürdigerweise steht aber die ganze
reisige Schaar — freilich mit anderer Aus-
rüstung — einer ähnlichen Situation gegen-
über wie damals, als im Jahre 1814 Cornelius
sein berühmtes Manifest über die Wiederein-
führung der grossdekorativen Malerei oder,
wie man damals es verstand, der Fresko-
malerei aus dem römischen Cafe Greco an
Görres losliess. Da heisst es: »Das öffent-
liche Leben ist so arm an allem edlen
Schmuck und so viel Talente und Kraft
verzehren sich in unbefriedigter Sehnsucht
nach Tätigkeit und Anwendung. Was hilfts,
dass ein Licht unter dem Scheffel brenne
und es soll leuchten vor der Welt Denn
es ist genug Finsternis in derselben. Käme
aber mein Vorschlag in Erfüllung, so glaube
ich voraussagen zu dürfen, dass dieses gleich-
sam das Flammenzeichen auf den Bergen zu
einem neuen, edlen Aufruhr in der Kunst
gäbe.« Getrost darf behauptet werden: die
Künstler verstehen heute von der Haupt-
sache ihres Handwerks unendlich mehr als
damals und an Ernst der künstlerischen Ge-
sinnung, an Arbeitsmut und unverdrossenem
Opfersinn stehen sie nicht hinter jenen edlen
Vorläufern zurück, die nur deshalb ihr Ziel
nicht erreichten, weil sie schliesslich mit
Cornelius verzweifelt ausrufen mussten: »Wir
haben den Kopf voller Ideen, aber wir
könnens nicht machen«. Das ist nicht mehr
zu befürchten. Aber ein anderes ist's, das
bedenklich macht: die Nation rührt sich
kaum. Deutschland ist gegenwärtig an
dekorativen Begabungen so reich, wie viel-
leicht niemals vorher; aber die Öffentlichkeit
kümmert sich nicht um sie. Unglücksraben
krächzen, den Philistern zu Gefallen, da-
zwischen: wir haben keine monumentale
Kunst. Natürlich haben wir sie noch nicht,
WILLY VON BECKERATH—MÜNCHEN.
Gemälde: Sitzende Harpyie.
die Fahnenträger des Naturalismus in der
Presse allmählich wieder umzulernen. Mit
hoffendem Blick durchzieht man heute die
Ausstellungen und hat fast einzig Acht auf
die Fortschritte und die persönlichen Ab-
wandlungen dieser Richtung.
Merkwürdigerweise steht aber die ganze
reisige Schaar — freilich mit anderer Aus-
rüstung — einer ähnlichen Situation gegen-
über wie damals, als im Jahre 1814 Cornelius
sein berühmtes Manifest über die Wiederein-
führung der grossdekorativen Malerei oder,
wie man damals es verstand, der Fresko-
malerei aus dem römischen Cafe Greco an
Görres losliess. Da heisst es: »Das öffent-
liche Leben ist so arm an allem edlen
Schmuck und so viel Talente und Kraft
verzehren sich in unbefriedigter Sehnsucht
nach Tätigkeit und Anwendung. Was hilfts,
dass ein Licht unter dem Scheffel brenne
und es soll leuchten vor der Welt Denn
es ist genug Finsternis in derselben. Käme
aber mein Vorschlag in Erfüllung, so glaube
ich voraussagen zu dürfen, dass dieses gleich-
sam das Flammenzeichen auf den Bergen zu
einem neuen, edlen Aufruhr in der Kunst
gäbe.« Getrost darf behauptet werden: die
Künstler verstehen heute von der Haupt-
sache ihres Handwerks unendlich mehr als
damals und an Ernst der künstlerischen Ge-
sinnung, an Arbeitsmut und unverdrossenem
Opfersinn stehen sie nicht hinter jenen edlen
Vorläufern zurück, die nur deshalb ihr Ziel
nicht erreichten, weil sie schliesslich mit
Cornelius verzweifelt ausrufen mussten: »Wir
haben den Kopf voller Ideen, aber wir
könnens nicht machen«. Das ist nicht mehr
zu befürchten. Aber ein anderes ist's, das
bedenklich macht: die Nation rührt sich
kaum. Deutschland ist gegenwärtig an
dekorativen Begabungen so reich, wie viel-
leicht niemals vorher; aber die Öffentlichkeit
kümmert sich nicht um sie. Unglücksraben
krächzen, den Philistern zu Gefallen, da-
zwischen: wir haben keine monumentale
Kunst. Natürlich haben wir sie noch nicht,