Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 41.1917-1918

DOI Artikel:
Greve-Hamburger, C.: Der Segen der Knappheit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8537#0340

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
LIZZIE MARX-DIESTELHANN.

»KISSEN IN WOLLSTICKEREI«

DER SEGEN DER KNAPPHEIT.

Es ist durchaus nötig, jedem Zustand, auch
dem übelsten, soviel Nutzen wie möglich
abzuzwingen. Kein Ding ist so böse und keine
Not so hoffnungslos, daß wir ihnen nicht doch
noch einen Segen abringen könnten. — Nun
haben wir eine Knappheit aller Dinge, deren
Vorstellung uns vor dem August 1914 mitleidig
hätte lächeln machen. Diese Knappheit konnte
eine immer schneller und erfinderischer sich ent-
wickelnde Technik und die früher so oft und
stolz zitierte Verkürzung aller Entfernungen
nicht verhindern. Die Stickerin spürt diese
Knappheit nicht weniger als jeder, der Garne
und Stoffe aus jeglichem Grundstoff verarbeitet.
Für ihre Arbeit ist sogar das wenige Verfügbare
schwerer zu haben, da ihre Hände ja nicht Dinge
des unentbehrlichen Lebensbedarfs schaffen.
Und zu Surrogaten wird sie um so weniger gern
greifen, als sie gewöhnt war, immer das beste
Material zu wählen, um den Resultaten ihres

Fleißes eine möglichst lange Dauer zu sichern.
Die notgedrungene Sparsamkeit werden wir noch
recht lange üben müssen. Wenn uns die Tage
des Friedens beglücken werden, deren Kommen
wir schon zu spüren glauben, so füllen sich doch
noch lange nicht die Läger mit feinen und grob-
körnigen Stoffen aller Art, mit flaumiger Wolle
in hundert Farben, Fäden in allen Drehungen,
Tönen und Schattierungen. Die Spinnereien und
Webereien werden vorerst für viel nüchternere
Dinge Sorge zu tragen haben bis die klaffendsten
Lücken geschlossen und wieder Kräfte frei sind
für Schmückendes. Es verlohnt sich darum wohl,
sich gründlich auf diesen Zustand einzustellen,
um seines Segens teilhaftig zu werden, den er
uns trotz seiner Feindseligkeit geben muß.

Mag es erlaubt sein, hier einmal eine Paral-
lele zu ziehen zwischen der Kunst der Stickerin
und derjenigen der Köchin, um zu finden, wo
der Segen verborgen ist, den wir heben können.
 
Annotationen